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„Hey, könnt ihr bitte ein bisschen leiser sein?“, ruft Mohammed über den Bildschirmrand hinweg und blickt entschuldigend in die Webcam. „Sorry, mir scheint, ich habe den sudanesischen Bürgerkrieg in mein Wohnzimmer eingeladen. Meine Töchter sind zu Besuch!“ Mohammed Terwis ist jemand, der vor keinem Witz zurückschreckt. Dem sudanesischen Schauspieler und Comedian, der seit knapp 25 Jahren in Europa lebt, geht es nicht nur darum zu unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anzuregen und sein Publikum herauszufordern. In seinen Comedy-Shows bricht er Tabus, erzählt von seinen Erfahrungen im Flüchtlingszentrum und parodiert die sudanesische und niederländische Gesellschaft.
Mohammed war ein neugieriges Kind und schon immer ein Freigeist. Als ausländische Archäolog:innen zu den Nubischen Pyramiden in der Nähe seines Dorfes kamen, lief er zu ihnen, um sich zu unterhalten und Neues zu lernen. Sein Vater, ein Lehrer und politischer Aktivist, brachte ihm Offenheit für andere Kulturen bei, auch jene im eigenen Land – im Sudan gibt es auch heute noch hunderte Volksgruppen mit verschiedenen Bräuchen und Sprachen. Mohammeds Vater unterstützte ihn auch, als er mit fünfzehn Jahren beschloss, Schauspieler zu werden und später in der Hauptstadt Khartum ein Schauspielstudium begann. Die sudanesische Theaterszene in den Neunzigern war klein, aber von Experimentierfreude und Intellekt geprägt. Dies änderte sich jedoch schnell, als die Muslimbruderschaft – eine im arabischen Raum einflussreiche islamistische Bewegung – die Macht ergriff: Die Freiheit der Kunst und des Theaters waren zunehmend eingeschränkt und bestimmte Witze wurden zum roten Tuch.
„Wer für den Staat nur eine Nummer ist, hat dort ein Leben. Und während die Regierung Integrationspläne ausarbeitet, werden dort eigene Pläne geschmiedet.“
Vom Flüchtlingsheim auf die Bühne
Für ein Theaterfestival in Amsterdam kam Mohammed kurz vor der Jahrtausendwende schließlich zum ersten Mal nach Europa und war sofort von der Freiheit und den Möglichkeiten der künstlerischen Entfaltung dort begeistert. Er beschloss, sein Heimatland zu verlassen und suchte um politisches Asyl in den Niederlanden an. In den frühen Zweitausendern als Geflüchteter nach Europa zu kommen war ganz anders als heute, meint Mohammed: Die Gesellschaft war offener und man war nicht nur einer von vielen. Trotzdem war es für Mohammed zunächst alles andere als einfach, in Europa Fuß zu fassen. Er lebte in einer Einrichtung für Geflüchtete und verdiente sein Geld mal als Putzkraft, mal als Türsteher. Die Schauspielkarriere, die er sich in Europa erträumt hatte, schien fern. Doch Mohammed gab nicht auf. Im Flüchtlingsheim lernte er Menschen aus aller Welt kennen – der junge Mann war begeistert von der Vielfalt der Sprachen, Kulturen und dem Wunsch aller nach einem besseren Leben. Schnell lernte er Englisch und Niederländisch und absolvierte eine zweite Schauspielausbildung. Immer wieder kehrt er zurück in die Flüchtlingseinrichtungen, auch wenn er längst nicht mehr dort wohnt. „Dort spielt sich das richtige Leben ab“, sagt er. „Dort muss man hingehen, um zu verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wer für den Staat nur eine Nummer ist, hat dort ein Leben. Und während die Regierung Integrationspläne ausarbeitet, werden dort eigene Pläne geschmiedet.“
Seine Erfahrungen mit Zensur, Flucht und Integration machen Mohammed in seiner Branche besonders. Er beschließt, seine Karriere darauf aufzubauen, gibt Comedy-Shows und Workshops für Kinder in Flüchtlingseinrichtungen und arbeitet als interkultureller Mediator und Coach für Firmen, Gefängnisse und die niederländische Polizei. Humor ist für ihn auch eine Methode, das Eis zu brechen und einen Kontakt aufzubauen. Oft verarbeitet er so seine eigenen Schwächen und macht sich damit angreifbarer und zugänglicher für das Publikum. Er spielt viel mit Sprache, macht Witze über sein nicht perfektes Englisch, seine Hautfarbe und Herkunft. Bei einer Comedy-Show als Teil eines Spendenabends für den Sudan beschreibt er zum Beispiel seine ersten Erfahrungen in Europa: Eine niederländische Beamte will seine Adresse im Herkunftsland wissen, er hingegen beschreibt den genauen Weg zum Haus seiner Mutter. Adresse gäbe es keine, alle wüssten doch, dass sie direkt links von der Moschee wohnt. Auch will die Beamte um jeden Preis seine ethnische Herkunft in das Formular eintragen, er hingegen kann sich nicht entscheiden, ob er nun Afrikaner oder doch Araber ist.
Lachen gegen den Krieg
Aus dem Ausland verfolgt Mohammed die politische Situation in seinem Heimatland mit. Als sich 2015 ein politischer Wandel anbahnte, der schließlich im Sturz des fundamentalistischen Al-Bashir Regimes – der sogenannten Revolution von 2019 – gipfelte, war er aus der Ferne mit dabei. Seine Form des politischen Aktivismus besteht darin, regimekritische Videos zu drehen und diese über soziale Medien zu verbreiten. In kurzen Sketches stellt er verschiedene Charaktere dar, parodiert damit die sudanesische Gesellschaft und betreibt politische Satire. Er ist überzeugt, dass die Videos, die mittlerweile über eine Million Aufrufe haben, ihren Beitrag dazu leisteten, dass mehr Sudanes:innen sich trauten, öffentlich Kritik am Al-Bashir-Regime zu äußern. Und das war einer der Aspekte, die schließlich zum Umsturz führten.
Zuhause, sagt er, ist für ihn die Bühne, das Schauspiel – dort fühlt er sich wohl, dort kann er verwundbar sein und eine so enge Verbindung zu Menschen aufbauen, wie sie ihm im Alltag nicht häufig gelingt.
Nach der Revolution kehrte Mohammed in den Sudan zurück, um zu sehen, ob er dort wieder leben kann. Doch nicht nur das Land, sondern auch er hatten sich verändert. Nach fast zwanzig Jahren im Ausland fühlte er sich nicht mehr zu Hause im Sudan. Aber auch die Niederlande, deren Staatsbürger er mittlerweile ist, oder die USA und Großbritannien, wo Teile seiner Familie leben, sieht er nicht als sein Zuhause. Mohammed ist ein Sudanese im Ausland, ein Einzelgänger, ein Kosmopolit. Zuhause, sagt er, ist für ihn die Bühne, das Schauspiel – dort fühlt er sich wohl, dort kann er verwundbar sein und eine so enge Verbindung zu Menschen aufbauen, wie sie ihm im Alltag nicht häufig gelingt. Als 2023 der Krieg im Sudan ausbricht, ist Mohammed zunächst wie viele andere Sudanes:innen geschockt und kann es kaum glauben. Wenig hatte darauf vermuten lassen, dass ein so blutiger und vor allem so lange anhaltender Konflikt ausbrechen würde. Mohammed unterstützt seitdem Bekannte beim Verlassen des Landes und hilft Sudanes:innen, die in die Niederlande geflüchtet sind, beim Aufbau eines neuen Lebens.
Die humorvollen Videos, die er nun täglich postet, haben sich seit Kriegsbeginn in einem Aspekt verändert: Dieses Mal hat er sich entschlossen, keine Persona zu verkörpern, sondern präsentiert sein authentisches Selbst. Das mache ihn noch verbundener mit seinen Landsleuten. Irgendwie fühlt sich das in dieser schwierigen Situation richtig an, meint er. Dass der Krieg immer noch nicht vorbei ist, kann sich Mohammed nur dadurch erklären, dass größere Weltmächte ein Interesse daran haben, dass im Sudan gekämpft wird. Die Sudanes:innen, sagt er, sind Marionetten in einem Machtspiel, das über die Landesgrenzen hinausgeht. Ginge es nach ihnen – witzelt er – würden sie fünf Minuten lang kämpfen, dann gemeinsam essen, ein bisschen tanzen und dann weitermachen mit dem Krieg. Auch wenn die Situation in seinem Heimatland ihm große Sorgen bereitet, ist für Mohammed klar: Obwohl Lachen die Konflikte dieser Welt nicht löst, macht es sie doch um einiges erträglicher.
Text: Anna Palmann
Dieser Text ist erstmals in der Straßenzeitung zebra. (03.02.2025 – 03.03.2025 | 103) erschienen.
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