Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Pius Leitner ist ein politisches Urgestein und Schwergewicht in Südtirol. Sein Vater war Vizebürgermeister von Mühlbach und lange Zeit in der SVP. Die Leidenschaft für die Politik steckte ihm somit im Blut und mit 18 Jahren trat er der SVP bei. Die Mitgliedschaft bei mehreren Vereinen trug dazu bei sich immer weiter politisch zu engagieren, vor allem auf Orts- und Bezirksebene. Leitner war auch Mitglied des Parteiausschusses der SVP. 1993 schloss er sich den eben erst gegründeten Freiheitlichen an und war 24 Jahre lang führender Parteifunktionär. 2017 trat Leitner als Fraktionsvorsitzender seiner Partei zurück, weil er wegen Veruntreuung von Parteigeldern verurteilt worden war.
Im Gespräch mit BARFUSS thematisiert Leitner die momentanen politischen Verhältnisse und die Herausforderungen, die Südtirol in den kommenden Jahren beschäftigen werden.
Herr Leitner, sind Sie ein rechter Politiker?
Ich würde mich selbst als Mitte-Rechts einordnen. Ich habe eine soziale Ader und das eine schließt das andere nicht aus. Großzügigkeit mit sozialen Geschenken ist in Ordnung, aber das muss man sich leisten können. Das vergessen viele Linke.
Sie haben heuer zum Beispiel die Organisation „Soziales Netzwerk Südtirol” dabei unterstützt, Hilfsgüter nach Nepal zu liefern. Was können Sie davon erzählen?
Es war eine Riesenbereicherung für mich. Die Menschen sind sehr offen und freuen sich, mit dir zu sprechen. Beeindruckt hat mich die Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Religionen. Sie sind außerdem bescheiden und das wirkt sich auf das Alltagsleben aus. Auf 4000m Meereshöhe bauen sie Kartoffel und Weizen an. Sie sind gute Handwerker und stehen bei der Holzschnitzerei den Grödnern in nichts nach. Aber die Lebensverhältnisse vor Ort sind dramatisch, und teilweise schlechter, als in Südtirol nach dem ersten Weltkrieg. Ich will noch mehrere Projekte mit meinen bescheidenen Möglichkeiten unterstützen. Es tut gut zu helfen.
Warum braucht es konservative Politik?
Ich glaube in einer Gesellschaft braucht es beides: das Progressive und das Konservative. Das Konservative ist für mich nicht etwas Ewiggestriges, sondern etwas Stabiles. Und es braucht ein stabiles Fundament.
Warum?
Ich sage immer: „Ein Baum, der feste Wurzeln hat, kann sich gut entfalten. Wenn er jedoch keine hat, dann fällt er beim ersten Gewitter um.“ Wie viele Strukturen man heute braucht, im Bereich Psychiatrie und Psychologie, um Dinge wieder zurecht zu biegen, weil die Menschen keinen Halt mehr haben. Hier spielt die Familienpolitik eine zentrale Rolle. Das traditionelle Familienbild Mann-Frau-Kinder ist nicht mehr so präsent. Jeder soll so leben, wie er es für richtig erachtet. Aber dort, wo es gesunde Familien gibt, gibt es auch eine gesunde Gesellschaft.
Meinen Sie nur die traditionelle Familie mit Mann und Frau, oder können auch homosexuelle Paare oder Alleinerziehende gesunde Familien darstellen?
Für mich stellt die traditionelle Familie (Mann, Frau, Kind) nach wie vor die Keimzelle einer Gesellschaft dar. Andererseits gibt es inzwischen viele Definitionen, was Familie ist. Selbstverständlich können auch homosexuelle Paare ein gutes Umfeld schaffen. Adoptionen von Kindern durch homosexuelle Paare lehne ich jedoch ab. Alleinerziehende sind oft benachteiligt, weil sie Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind. Aufgrund diverser Förderungen gibt es leider auch „falsche“ Alleinerziehende, die den tatsächlich Alleinerziehenden schaden.
Sind bei den jungen Menschen rechte Positionen „unsexy“?
Das würde ich nicht unbedingt unterschreiben. Die akademische Jugend tendiert aktuell sicher nach links, doch die Jugend insgesamt nicht. Die Freiheitlichen haben bei diversen Wahlgängen vor allem bei jungen Menschen gepunktet, was objektive Wahlanalysen belegen.
Wie beurteilen Sie das politische Krisenmanagement der Südtiroler Landesregierung in den Pandemiejahren?
Es war eine völlig neue Situation und nicht einfach. Südtirol hat sich an anderen orientiert. Ich maße mir nicht an, groß zu kritisieren. Es sind sicherlich Fehler passiert, auch auf europäischer Ebene. Wir waren nicht einmal imstande, Masken zu produzieren. Das war ein großes Manko. Die EU vertraut die Sicherheitspolitik den Amerikanern an, die Energiepolitik den Russen und die Wirtschaftspolitik den Chinesen. Nun sehen wir das Resultat dieser Abhängigkeit und das wirkte sich in den Pandemiejahren auch auf Südtirol aus. Dass Maßnahmen hinterfragt werden, ist wichtig und richtig, grundsätzlich sollten wir aber der Wissenschaft mehr vertrauen.
Was ist ihre Meinung zum Buch „Freunde im Edelweiß“?
Die Autoren haben es verstanden, aus dieser Situation ein Geschäft zu machen, was natürlich legitim ist. So viel Neues ist für aufmerksame politische Beobachter dabei nicht herausgekommen, wenn man von den Telefongesprächen absieht. Diese haben es natürlich in sich und bilden politische Intrigen, Vetternwirtschaft und Einflussnahme in beklemmender Weise ab.
Und was sagen Sie zum SAD-Skandal?
Beim SAD-Skandal schaute die Politik zu lange zu, wie ein Privater sich mit einem öffentlichen Gut bereicherte, das ihm nicht zusteht. Dem Image des Landes hat das sicherlich geschadet. Ich bin absolut dafür, dass in öffentlichen Angelegenheiten wie bei der Sanität oder beim öffentlichen Personennahverkehr Unternehmen miteinbezogen werden. Private sind oft wirtschaftlich effizienter. Dennoch muss die Steuerung bei der Politik verbleiben und das öffentliche Interesse im Vordergrund stehen. Aber die Formen der Zusammenarbeit, die wir heute haben, zum Beispiel das PPP (Public-Private-Partnership), haben nicht unbedingt immer zuerst das öffentliche Interesse im Auge.
Sind Sie nicht auch zurückgetreten, weil Parteigelder veruntreut worden sind?
Nein, ich bin zurückgetreten, weil ich am 10. März 2017 vom Bozner Landesgericht wegen angeblicher Veruntreuung von Fraktionsgeldern verurteilt wurde. Aufgrund des „Severino“-Gesetzes bedeutete das Urteil eine Suspendierung mit Gehaltsfortzahlung. Es schien mir nicht angebracht und moralisch nicht vertretbar, bis zu den Landtagswahlen im Oktober 2018 einen (bezahlten) Landtagssitz zu besetzen, ohne eine Tätigkeit ausüben zu können.
Die Verurteilung basiert also nicht auf Tatsachen?
Mir wurde vorgeworfen, im Zeitraum 2008 – 2013 rund 47.000 Euro an Fraktionsgeldern missbräuchlich verwendet zu haben. Tatsache ist, dass ich im selben Zeitraum rund 75.000 Euro aus eigener Tasche auf das Fraktionskonto eingezahlt habe. Das Urteil sagt klar aus, dass ich keinen einzigen Cent für private Zwecke verwendet habe, sondern ausschließlich für Parteizwecke. Ich habe mich stets an die Vorgaben des Landtags gehalten, die zu diesem Zeitpunkt galten. Wer wurde je dafür verurteilt, dass er nicht genommen, sondern gegeben hat?
Zurück zum SAD-Skandal. Wie wird sich dieser auf die Landtagswahlen 2023 auswirken?
Ich sehe vor allem Verluste für die SVP voraus. In ganz Europa verlieren die großen Volksparteien an Zustimmung. Die SVP als Sammelpartei gibt es seit 1992 nicht mehr, sie ist zu einer reinen Interessenvertretung geworden. Dies kann man eindrucksvoll an der aktuellen Diskussion über den Bettenstopp festmachen. Vertreter des Bauernbundes und des Gastwirteverbandes tricksen sich gegenseitig aus, kämpfen um Partikularinteressen, und verlieren das Gesamtinteresse aus den Augen. So wichtig die Landwirtschaft und der Tourismus für Südtirol sind, so wichtig ist die Einbindung aller gesellschaftlichen Schichten für eine gedeihliche Entwicklung des Landes. Auch in Rom wechselt die SVP die Politik wie ein Fähnchen im Wind, je nachdem wer gerade an der Regierung ist. Das ist nicht glaubwürdig.
Ich sehe vor allem Verluste für die SVP voraus.
Tritt Kompatscher nochmal an?
Die SVP müsste eigentlich froh sein, wenn er wieder kandidiert. Es gibt zwar innerhalb der Partei Kräfte, die ihn nicht wollen, doch meiner Meinung wird ihn die Mehrheit letztendlich darum „betteln“. Wenn man aber Kompatscher bei seinem eigenen Wort nimmt, dann erübrigt sich die Diskussion. Demnach wollte er höchstens für zwei Amtsperioden zur Verfügung stehen.
Können die Freiheitlichen aus dieser Krisenzeit politisches Kapital schlagen?
Ich denke, dass die Opposition grundsätzlich profitieren wird. Doch wohin die Stimmen gehen, werden wir sehen. Durch den Greta-Effekt werden die Grünen einen Aufwind bekommen. Es gibt aber auch viele Südtiroler, die mit den Grünen nichts anfangen können. Die Freiheitlichen haben durchaus gute Chancen, Wähler zu mobilisieren, wenn sie ihre Kernthemen gut vermitteln.
Haben sie auf den SAD-Skandal zu zahm reagiert?
Leiter-Reber war ja der Vorsitzende im Untersuchungsausschuss. Er betreibt Sachpolitik und nähert sich dem Thema nicht in populistischer Manier. Ihm liegt vielleicht die bekannte freiheitliche Oppositionsarbeit nicht so, aber er macht seine Arbeit sehr gut. Ulli Mair hat ihre forsche Art ein wenig abgelegt; sie ist sehr gereift und gehört inzwischen zu den erfahrenen Abgeordneten im Landtag. Zum SAD-Skandal haben die freiheitlichen Abgeordneten die richtigen Fragen gestellt.
Schafft es Wirth-Anderlan in den Landtag?
Der Landtag ist das Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn jemand gewählt wird, dann hat er ein Recht dort zu sein. Falls letzten Herbst Wahlen gewesen wären, dann hätte Wirth-Anderlan wohl Erfolg gehabt. Es kommt jetzt darauf an, wie sich das Corona-Szenario entwickelt. Persönlich halte ich wenig von Personen und Bewegungen, die sich mit einem einzigen Thema einen Landtagssitz ergattern wollen.
Würde es Sie reizen, nochmals zu kandidieren?
Ich habe mit diesem Thema abgeschlossen. Man muss den Jungen Raum geben. Aber wenn ich jetzt sagen würde, es reizt mich nicht mehr, dann würde ich lügen.
Wie meistern wir den Klimawandel?
Mir kommt oft vor, dass man bei der ganzen Debatte an der Realität vorbei diskutiert. Niemand wird die Erderwärmung heutzutage leugnen und wir müssen alles daransetzen, sie einzudämmen. Aber es gibt durchaus kritische Wissenschaftler, welche die Lage etwas differenzierter bewerten und auch diese sollte man anhören, ohne sie gleich pauschal als Klimaleugner darzustellen. Von einer Hysterie halte ich ebenso wenig wie vom Versuch, eine neue Religion einzuführen.
Braucht es diesbezüglich auch neue Formen des Wirtschaftens und des gesellschaftlichen Zusammenlebens?
Ja sicherlich. Die Ressourcen sind begrenzt. Vor allem in der Energiepolitik muss man auf erneuerbare Quellen setzen. Hier ist Südtirol Vorreiter und hat seine Hausaufgaben gut gemacht. Bezüglich der Wasserkraft ist zu sagen, dass die bestehenden Anlagen potenziert werden sollen, anstatt neue zu bauen. Zu einer „enkeltauglichen“ Politik gehört der Blick auf alle Lebensbereiche. Wer hätte gedacht, dass in der Energiepolitik je wieder auf Atom gesetzt wird? In dem Moment, wo die EU Atomstrom als nachhaltig anerkennt, könnte ein Revival bevorstehen. Wenn man die Klimaziele erreichen will und gleichzeitig nicht im Stande ist eine andere Energiepolitik zu machen, wird es schwierig. Ich bin kein Befürworter der Atomenergie, doch die Klimaziele ohne Atomenergie zu erreichen, ist schwierig bis unmöglich. Der von Russland vom Zaun gebrochene Krieg in der Ukraine, die daraus erwachsenen Sanktionen und die eingeschränkte Versorgung mit Erdgas verlangen nach neuen Antworten. „Overtourism“ und Verkehr werden uns noch schwer in Atem halten und eine andere Form des Wirtschaftens erzwingen.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support