BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
BARFUSS LogoSüdtiroler Onlinemagazin

Support Barfuss

Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus

BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
Sara Gostner
Veröffentlicht
am 25.02.2025
LeuteProfilerin Patricia Staniek

Körpersprache: Die Sprache, die wir alle sprechen

Veröffentlicht
am 25.02.2025
„Mich anzulügen, traut sich eh niemand“, witzelt Patricia Staniek, Verhaltensprofilerin und Wirtschaftskriminologin. Sie hat die Aufgabe, Menschen und ihre Absichten zu verstehen und ihre Persönlichkeit zu analysieren. Im Interview mit BARFUSS verrät sie, wie sich ihre Arbeit auf ihren privaten Alltag auswirkt und warum Psychopath:innen zu analysieren eine besondere Herausforderung ist.
Damit BARFUSS weiterhin hinterfragen, aufklären, erzählen und berühren kann, brauchen wir DEINE Unterstützung!
Werde Teil unserer Community.
Teile unsere Story

Artikel anhören

So mancher wird beim Wort „Profiling“ sofort an Kriminal-Profiling denken, also das Erstellen eines psychologischen Profils basierend auf dem Zustand des Tatortes. Patricia Staniek ist Verhaltensprofilerin, arbeitet somit nicht am blutigen Tatort, sondern im Bereich Sicherheit und Wirtschaft. Die Österreicherin hat die Methoden des Kriminal-Profilings benutzt, adaptiert und erweitert, um ein neues Berufsbild zu erschaffen: das Wirtschaftsprofiling, das von der österreichischen Wirtschaftskammer zertifiziert ist.

BARFUSS: Frau Staniek, wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen? 
Patricia Staniek: Im Gespräch mit einem Menschen schaue ich mir zuerst sein Basisverhalten an, also wenn der Mensch möglichst entspannt ist und die Wahrheit sagt. Stelle ich dann eine Frage und die Person trifft die Entscheidung zu lügen, dann werden sich entweder die Mimik, die Gestik, die Körpersprache oder ihre Stresssymptome verändern. Es gibt bei uns Menschen – mit Ausnahme von pathologischen Lügner:innen oder Psychopath:innen – immer einen Unterschied, wie wir aussehen, wenn wir die Wahrheit sagen oder lügen. 

Ich erstelle auch Täter- und Verdächtigenprofile, zum Beispiel bei Mobbing und Stalking am Arbeitsplatz, bei Hackererpressungen, Industriespionage, Insiderhandel, Betrug, Täuschung und Hochstapelei. Außerdem analysiere ich neue Geschäftspartner, denn schon beim Einstellen von neuem Personal ist Vorsicht geboten. Wenn sich zum Beispiel ein Hacker für eine Stelle bewirbt, hat er in der Regel eine bestimmte Vorgehensweise. Er hackt nicht nur Systeme, sondern auch Menschen. Schon beim Vorstellungsgespräch erfährt er, welche Software benutzt wird, und kann einen Probemonat absolvieren. Dabei sammelt er Daten und kommt über das Personal an alle restlichen Informationen, die er braucht, um das System zu hacken und das Unternehmen damit zu erpressen. Und durch die KI kommen weitere Gefahren hinzu, wie zum Beispiel gefälschte Universitätsabschlüsse und Zeugnisse.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Hatten Sie schon immer ein gutes Gespür für Menschen?
Schon als Kind fand ich Wölfe, Menschen und deren Gruppendynamiken total interessant. Ich war eher introvertiert und habe nicht sonderlich gerne gespielt, lieber habe ich Menschen und ihr Verhalten beobachtet. Ich wollte Kriminalhauptkommissarin werden, aber meine Mutter fand das nicht so toll und wünschte sich für mich einen eher traditionellen Beruf wie Friseurin oder Sekretärin. Also habe ich mich für Sekretärin entschieden und konnte mich im Unternehmen bis zur Führungsposition hocharbeiten. Parallel dazu habe ich mich aber weiterhin für das Verhalten von Menschen interessiert und 1999 mein erstes Seminar-Unternehmen gegründet: „Rhetorik im Action-Institute for Management Development“. Ich spezialisierte mich auf Kommunikation und Verhalten des Menschen. Ich wuchs, genauso mein Unternehmen. 2018 schloss ich meine Ausbildung zur Kriminologin erfolgreich ab, danach folgte das Magister-Studium Betriebswirtin mit Schwerpunkt Wirtschafts-Kriminalistik und Wirtschaftskriminologie.

Wir alle haben Mikroexpressionen, die innerhalb von nur 45–450 Millisekunden in unserer Mimik erkennbar sind.

Zu Ihrer Arbeit gehört also, dass Sie Menschen gut lesen können? 
Ich lese wirklich gerne, am liebsten Bücher (lacht). Ich lese keine Menschen, sondern analysiere sie. Dafür brauche ich zwar eine gute Intuition, aber meine Methoden, die ich zum Analysieren von Menschen nutze, beruhen auf Fakten und sind wissenschaftlich fundiert. Schließlich muss ich ja auch beweisen können, ob ich recht habe oder nicht.
Um mir ein ganzheitliches Bild von einem Menschen machen zu können – bestehend aus Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimme und Sprache – muss ich in einer fokussierten und wertfreien Haltung sein. Wir alle haben Mikroexpressionen, die innerhalb von nur 45–450 Millisekunden in unserer Mimik erkennbar sind. Kontrollieren kann man nur Makroexpressionen, also Gesichtsausdrücke, die länger als 500 Millisekunden dauern. Ich muss stets den ganzen Fall unter die Lupe nehmen und darf mir nicht nur über die Persönlichkeitsmerkmale der Person den Kopf zerbrechen. Ich sage immer: Eine Seite meines Berufs ist das Erkennen von Indizien im Gesicht oder am Verhalten, die andere Seite ist die Ermittlung. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass jemand bei einer Frage deutliche Stressanzeichen zeigt, versuche ich durch gezielte Kommunikation herauszufinden, wieso die Person in Stress geraten ist.

Auf welcher Wissenschaft beruht diese Analyse des Menschen? 
Dr. Lisa Maria Glenk und ich leiten gemeinsam die Forschungsgruppe „ISCR International Scientific Council for research on emotions, body language and psychophysiology“. In dieser Gruppe beschäftigen wir uns mit der Erforschung des inneren Emotionssystems im Zusammenhang mit Mimik und Körpersprache von Menschen mit dissozialer Funktionsstörung, also von Psychopath:innen, Narzisst:innen und Soziopath:innen. Für die Analyse der Mimik einer Person gibt es eine wissenschaftlich fundierte Methode, die sich F.A.C.S.-CODER (Facial Action Coding System nach P. Ekman) nennt. Mit dessen Hilfe kann man beispielsweise ein echtes von einem gekünstelten Lächeln unterscheiden. Es ist somit eine Technik zur Mimik- bzw. Emotionserkennung. Hauptanwendungsgebiet ist die Emotionspsychologie.

Dann gibt es noch das „ProfilingValues“ von Robert Hartman. Das ist eine Technik, mit der man die „inneren“ Werte eines Menschen messen kann. Kurz gesagt: Sie hilft uns zu verstehen, wie ein Mensch denkt. Einerseits geht es um das Sehen von Indizien im Gesicht oder am Körper, andererseits um die Ermittlung. Wenn ich in der Mimik eines Menschen Anzeichen für verborgene Angst oder Ablehnung erkenne, ist es immer gut, das zu hinterfragen. Lügt mich jemand an, muss ich durch gezielte Kommunikationsstrategien und Methoden herausfinden, was die Wahrheit ist. 

Als Säugling können wir die Mimik und Gestik unseres Gegenübers intuitiv gut deuten. Ist das etwas, das Erwachsene verlernen?
Ich denke nicht, dass Erwachsene komplett verlernen, Körpersprache richtig zu deuten. Während wir als Baby mit sieben Grundemotionen – nämlich Freude, Traurigkeit, Angst, Wut, Überraschung, Ekel und Verachtung – zur Welt kommen und die Körpersprache unserer Bindungspersonen intuitiv verstehen, geben wir später der Sprache und dem Inhalt mehr Bedeutung. Die Körpersprache rückt oft in den Hintergrund und wir nehmen feine mimische Bewegungen oft nicht mehr so wahr, obwohl sie so viel über unser Gegenüber und dessen Geisteszustand oder Absichten aussagen. Es kann also wirklich hilfreich sein, öfter mal bewusst und achtsam zu beobachten, was in einem Gespräch mit jemandem vor sich geht. Man kann sich fragen: Was gibt mir dieser Mensch für ein Gefühl? Stimmt das, was er sagt, mit dem Eindruck überein, den er auf mich macht? Was sind seine Absichten? Erfahrungen und Personen darf man immer hinterfragen. 

Gibt es denn Fälle, in denen Körpersprache und Mimik nicht als Indikator funktionieren? Schauspielende zum Beispiel?
Schauspieler:innen sind manchmal nicht so gut, wie sie glauben. Beim Anschauen so mancher Low-Budget-Produktion leide ich sehr (lacht). Als Schauspieler:in lernt man, sich in ein Gefühl hineinzuversetzen, um es gut verkörpern zu können. Aber Vorsicht: Das Vorspielen einer Emotion und das tatsächliche Fühlen davon können sich sehr stark voneinander unterscheiden. 
Bei manchen Persönlichkeitsstörungen, wie zum Beispiel Psychopathie, ist das Lesen von Körpersprache oder Mimik natürlich besonders schwierig. Psychopath:innen empfinden keine Empathie oder Trauer und zeigen auch keine Stressanzeichen, wenn sie nicht die Wahrheit sagen, sondern lügen einen vollkommen souverän und entspannt an. Sie sind wie ein Chamäleon, das sich gänzlich seinem Gegenüber anpasst – sie sind auch dazu in der Lage, Emotionen vorzutäuschen, ohne sie selbst zu fühlen. Ihre Beweggründe sind fast immer das Bedürfnis nach Macht. Macht zieht Psychopath:innen an wie Licht die Motten. Sie sind wahre Meister der Täuschung, tarnen und manipulieren mit Bravour. Man erkennt sie deshalb grundsätzlich nur an ihren Handlungen. Sie sind meist zielorientiert und risikobereit und deshalb in Führungspositionen der Wirtschaft häufig vorzufinden. Aber Vorsicht: Psychopath:in ist man erst, wenn man die entsprechende Diagnose von einem Psychologen/einer Psychologin oder einem Psychiater/einer Psychiaterin erhalten hat. Momentan ist „Psychopath“ ein Begriff, der häufig leichtfertig verwendet wird, auch wenn jemand nur komisch schaut oder sich merkwürdig verhält.

Hat sich durch Ihre Arbeit Ihre persönliche Sicht auf Menschen verändert? 
Ich denke, ich habe feinere Antennen für andere Menschen und ihr Verhalten bekommen. Ich gehe ganz anders durch die Straßen als früher, sitze ganz anders am Flughafen, nehme Dinge wahr, die man sonst vielleicht nicht registrieren würde. Ich kann das nicht abstellen, möchte ich aber auch gar nicht. Wenn ich privat unterwegs bin, nehme ich ein gewisses Verhalten wahr und entscheide dann für mich, ob es wichtig ist oder nicht. Schließlich muss ich das Verhalten anderer Menschen ja nur bewerten oder analysieren, wenn ich im Dienst bin. Beobachte ich eine Situation, die für jemanden unangenehm werden könnte, greife ich aber gerne ein, um zu deeskalieren.

Lasst im Gespräch mit einem anderen Menschen immer auch einen analytischen Blick zu. Es gilt: präsent sein und aufmerksam sein Gegenüber beobachten.

Welche Person würden Sie denn gerne einmal analysieren?
Yuval Noah Harari würde ich gerne mal analysieren, ich finde ihn als Mensch sehr interessant. Er ist israelischer Historiker und hat großartige Werke geschrieben, wie beispielsweise „Sapiens: Eine kurze Geschichte der Menschheit“ oder sein neuestes Buch „Nexus“.

Haben Sie Tipps, wie wir uns im Alltag besser vor manipulativen oder toxischen Menschen schützen können?
Wenn man sich vor solchen Menschen schützen will, ist es wichtig, dass man sich mit den Methoden der Manipulation auseinandersetzt. Denn nur so kann man sie erkennen und fällt nicht auf sie rein. Ich habe vor Kurzem einen Fall aus dem Jahr 1840 analysiert und eine Brücke zu aktuellen Fällen geschlagen. Die Methoden der Manipulation sind heute wie damals dieselben, nur dass heute natürlich noch das Internet dazu kommt. Erpressung, Romance Scam (Anm. d. Red.: Form des Internetbetrugs, bei der gefälschte Profile in Singlebörsen und auf Sozialen Medien dazu benutzt werden, den Opfern Verliebtheit vorzugaukeln mit dem Ziel, zu Geld zu kommen), toxische Partner:innen, Mobbing, Betrug: Egal, um welche Art der Manipulation es sich handelt – wenn man weiß, wie sich ein toxischer oder manipulativer Mensch verhält, kann man weniger leicht manipuliert werden und ist somit weniger anfällig für diese Art der Manipulation. Die Täter:innen werden sich nicht verändern, aber wir alle können was dagegen tun. Wir können uns mit dem Thema befassen und die zahlreichen Plattformen wie Bücher, Internet, Podcasts und so weiter für Persönlichkeitswachstum nutzen oder um sich weiterzubilden. 

Ansonsten kann ich nur sagen: Lasst im Gespräch mit einem anderen Menschen immer auch einen analytischen Blick zu. Es gilt: präsent sein und aufmerksam sein Gegenüber beobachten. Hinsehen. Hinhören. Hinspüren. 

Dienste

  • News
  • Wetter
  • Verkehrsbericht

BARFUSS


Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support

© 2023 SuTi GmbH
© 2023 SuTi GmbH . Rennstallweg 8 . 39012 Meran . MwSt: 02797340219
DatenschutzNetiquetteCookiesImpressum