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Caroline Profanter ist Klangkünstlerin. Für ihre Kompositionen sammelt sie Geräusche aus der Natur und der urbanen Umgebung und kombiniert sie mit elektronischem Material. Das Ergebnis: experimentelle akusmatische Musik. Die Klangkünstlerin studierte „Computer Musik und Elektronische Medien“ in Wien und schloss ihren Master in „Akusmatische Komposition” in Belgien ab. Seit 2013 lebt und arbeitet sie in Brüssel. Im Interview erzählt die gebürtige Boznerin, was sie genau macht und warum sie anfangs keinen wirklichen Zugang zur akusmatischen Musik fand, dann aber nicht mehr davon loskam.
Hast du als Studentin in Wien und Brüssel je mit einer Musikerkarriere gerechnet?
Ich hätte mir nie erträumt, dass ich mich irgendwann Komponistin nennen darf. Ich wollte eigentlich für das Radio arbeiten. Während der Schulzeit habe ich mit Kassettenrekordern Klänge aufgezeichnet und versucht, mit Klang und Text Geschichten zu kreieren. Durch meine Faszination fürs Radio und das Studium in Wien hat sich mir die Welt der experimentellen elektroakustischen Musik und Komposition geöffnet, die ich in Belgien vertiefen konnte. Das Spannende an dieser Musik ist, dass ich mir so ziemlich alles vorstellen kann und Wege finde, diese Vorstellungen umzusetzen: Was will ich zum Klingen bringen? Wie baue ich es in mein Stück ein? Und wie soll es die Hörerinnen und Hörer erfassen? Die Tatsache, dass ich so vieles beeinflussen kann, fasziniert und inspiriert mich.
Du bist Klangkünstlerin. Wie können wir uns deine Arbeit vorstellen?
Ich nehme Klänge in meiner Umgebung auf, von denen ich mir vorstellen kann, sie als Material für meine Kompositionen zu verwenden. Das kann beispielsweise das Quietschen einer Tür sein. Aus jedem aufgezeichneten Klang kann im Kompositionsprozess etwas Neues entstehen. Im Studio transformiere ich die Klänge, löse sie aus ihrem Kontext und kombiniere sie mit anderen Materialien. Dadurch entstehen neue, losgelöste Welten. Der Ursprung des Klanges bleibt verdeckt, deshalb wird oft von unsichtbaren Klängen oder von Kino für die Ohren gesprochen.
Die verschiedenen Materialien lösen Assoziationen und Szenen im Kopf aus. Inwieweit gestaltest du die Geschichte, die deine Musik erzählt?
Das Narrativ, also die Geschichte, die durch meine Kompositionen entsteht, finde ich wichtig. Es bleibt aber abstrakt, es sei denn, die Klänge werden mit Texten kombiniert – etwa bei Hörspielproduktionen, beim Film oder wenn ich mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammenarbeite. Ich habe einen narrativen Strang im Kopf, von dem ich mich in meiner Komposition leiten lasse. Ich schicke die Hörerinnen und Hörer auf eine Art klangliche Reise, die irgendwo beginnt, deren Ziel aber unbekannt ist. Das Zuhören wird zum Erlebnis.
Kannst du ein Beispiel nennen, bei dem du so ein Narrativ umgesetzt hast?
Für Wien Modern habe ich die Komposition „Créatures composites“ geschaffen – übersetzt „zusammengesetzte Kreaturen“. Aus unterschiedlichem Klangmaterial habe ich abstrakte, hybride Figuren kreiert. Diese klanglichen Figuren sollten sich in einer Art Choreografie im Raum bewegen und sich zu einem Tanz entwickeln. Durch den Klang bestimme ich, ob etwas als leicht oder schwer empfunden wird. Physische Gesetze wie Gravitation sind dabei wichtig. In „Créatures composites“ gibt es beispielsweise einen Moment, in dem die klanglichen Figuren wie in einer Spirale um sich selbst kreisen. Die Beschleunigung schafft einen Effekt, der die Figuren irgendwann zum Abheben bringt. Ich wollte das Gefühl des Abhebens von der Erde ins Außerirdische vermitteln, in dem sich die Figuren letztendlich zerstreuen.
Wie kommen diese rein akustischen Effekte und ihre Narration bei den Zuhörerinnen und Zuhörern an?
Akusmatische Musik erfordert eine gewisse Konzentration. Die ideale Hörsituation ist ein Konzertsaal mit Lautsprecherorchester. Die Musik ist so konzipiert, dass sie von den die Zuhörerinnen und Zuhörer umrundenden Lautsprechern wie in einem Orchester wiedergegeben wird. So können sich die vorgestellten Figuren im Raum bewegen. Wegen der Pandemie musste „Créatures composites“ im Internet gestreamt werden. Da ich die Komposition auch für Stereo programmieren kann, ist trotzdem eine ähnliche Erfahrung möglich: Mit guten Kopfhörern und geschlossenen Augen können die Hörerinnen und Hörer die Musik ebenfalls erfahren.
Die Akusmatik ist Teil der elektroakustischen Musik, die in den experimentellen Radiostudios der 50er-Jahre entwickelt wurde. Sie entstand, als es technisch möglich war, Klänge auf Tonbändern aufzunehmen und sie zu Musikstücken zusammenzusetzen. Obwohl das Publikum für diese Musik relativ klein ist, ist Akusmatik mittlerweile an vielen Veranstaltungsorten fester Teil des Programms.
Woran orientiert sich die akusmatische Komposition: Gibt es eine Art Notenlehre?
Klangcharakteristiken werden nicht durch Noten, sondern im sogenannten spektromorphologischen Sinn wahrgenommen: Welche Textur hat ein Klang und wie ist seine Form? Die Komposition ist ein Zusammenspiel aus den Elementen, die wir aus der klassischen Musik kennen. Dazu gehören Tonhöhe, Tondauer und Lautstärke und neue Elemente wie Klangfarbe oder Textur, das Spektrum zwischen Geräusch und purem Ton … Das Verkehrsbrummen in der Stadt weist beispielsweise ein relativ dichtes, kontinuierliches Spektrum auf. Daraus lassen sich Klänge herausfiltern, die sich aus dem Spektrum hervorheben – Hupen beispielsweise. Auch die Akustik spielt eine Rolle: Während ein Schrei auf dem Berg durch das Echo zurückgeworfen wird, zerstreut er sich im Verkehrsbrummen der Stadt recht schnell. Der Verkehr ist wie eine Maske, die sich über die Klänge legt.
Für meine Kompositionen beschäftige ich mich damit, welche Klänge ich heute aufnehmen kann, die es morgen nicht mehr gibt.
Fast schon eine eigene Wissenschaft …
Die Klanglandschaft wird tatsächlich auch für ökologische und soziologische Zwecke analysiert. Das kanadische „World Soundscape Project“ untersuchte etwa die klangliche Umgebung mit der Frage: Wie verändert sich die Klanglandschaft? Was versteckt sich hinter dieser Veränderung? Im Rahmen des Klimawandels kann die Analyse der klanglichen Umgebung beispielsweise Aufschluss geben über das Verschwinden verschiedener Tierarten. Für meine Kompositionen beschäftige ich mich damit, welche Klänge ich heute aufnehmen kann, die es morgen nicht mehr gibt. Nostalgische Klänge, die mich an meine Kindheit in Südtirol erinnern, interessieren mich besonders. Vor Jahren habe ich die alten Schlepplifte in Kastelruth aufgenommen.
Den Zugang zur akusmatischen Musik zu finden ist nicht ganz einfach. Wie hast du selbst dazu gefunden?
Als ich in Wien zum ersten Mal experimentelle elektronische Musik gehört habe, erschien mir diese Musik distanziert, beinahe ungreifbar. Sie hat mich aber sofort neugierig gemacht: Das war Musik aus den 50er-Jahren, die aus der Zukunft zu kommen schien. Elektroakustische und akusmatische Musik zielen darauf ab, das Hören zu transformieren und aktives Hören zu trainieren. So wird eine „Tabula rasa“ geschaffen, um ungewohnte, fremde Klänge unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen. Dieses Zuhören entwickelt sich durch Beschäftigung mit der Materie. Man kann nicht alles beim ersten „Konsumieren“ verstehen, weder intellektuell noch emotional. Berührend war die Musik für mich aber von Anfang an.
Caroline Profanter trat mit ihrer Musik beim Transart Festival in Bozen und bei den Gustav-Mahler Musikwochen in Toblach auf. Im Kunsthotel Amazonas, auch als Aspmayrhof am Ritten bekannt, präsentierte sie ihre Musik im Rahmen einer jahrhundertealten Tradition: dem weihnachtlichen Schweineschlachten. Nebst hauseigenem Gulasch vom Schwein wurden die Gäste mit Gedichten von Roberta Dapunt und dazu passender Klangkunst verköstigt.
Wie kamen Klangkunst und Lesung zum Schweineschlachten beim Südtiroler Publikum an?
Das ist sehr gut angekommen! Ich saß in der Stube des Hotels auf der Ofenbank und habe die Texte von Roberta Dapunt klanglich begleitet. Die Klänge hatte ich schon vorher vor Ort aufgenommen – Tierlaute, Scharren, Grunzen. Das Ambiente war fantastisch. Ich fühlte mich an früher, an die Stube meiner Oma erinnert.
Hat das Publikum deine Musik verstanden?
Das Ambiente und die Texte haben sicher dazu beigetragen, dass meine Musik beim Publikum ankam. Wenn ich nach einem Konzert auch nur eine oder zwei positive Rückmeldungen von mir unbekannten Personen bekomme, bin ich schon sehr zufrieden. Viele Leute kommen mit Fragen, wie das ganze produziert ist, und ich diskutiere gerne darüber. Dieses Verstehen ist mir wichtig. Ich kann und will mich nicht hinstellen und mein Ding machen nach dem Motto: Wenn ihr mich nicht versteht, ist das euer Problem. Zuschreibungen wie „künstlerische Elite“ oder „Nische“ sind mir zuwider. Wenn Menschen mit abstrakter Kunst nichts anfangen können und sich über Kleckse auf der Leinwand ärgern, kann ich das verstehen. Genau deshalb ist Vermittlung wichtig; nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Musik. Gleichzeitig freue ich mich, wenn Menschen sich bemühen, anfängliche Hürden zu überwinden.
Die letzten Monate waren aufgrund von Corona auch für darstellende Künstlerinnen und Künstler nicht einfach. Wie ist es dir ergangen?
Live-Auftritte und die Auseinandersetzung mit dem Publikum sind wichtig. Trotzdem habe ich sehr viel gearbeitet und konnte geplante Projekte auf die eine oder andere Weise umsetzen. Durch die Pandemie haben sich neue Formate ergeben: Zusammen mit meinen Künstlerkolleginnen Teresa Cos und Julia E Dyck haben wir wöchentlich Klänge aufgezeichnet, die während dieser Zeit draußen aber auch drinnen zum Vorschein kamen. Diese Klänge haben wir uns gegenseitig übers Internet geschickt und wöchentlich eine kontinuierlich wachsende Komposition daraus fabriziert. Die finalen Kompositionen wurden auf dem Takuroku-Label von Cafe Oto in London veröffentlicht.
Es ist nicht einfach, sich das Leben durch die Musik zu finanzieren. Inwieweit bist du auf das Einkommen von Kompositionen, Produktionen und Auftritten angewiesen?
Ich bin zwei Tage die Woche als Organisatorin und Kuratorin für Q-O2 Workspace tätig, ein Laboratorium für experimentelle Musik und Sound Art in Brüssel. Den Rest der Zeit kümmere ich mich um meine eigenen Projekte. Damit sichere ich meine Existenz. Nicht mehr, aber – und das möchte ich betonen – auch nicht weniger. Es braucht einen gewissen Biss, aber ich empfinde meine Arbeit als Privileg.
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