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Debora Nischler
Veröffentlicht
am 05.06.2019
LeuteStraßenkunstfestival Asfaltart

„Kein Rosa-Stereotyp“

Veröffentlicht
am 05.06.2019
Jongleurinnen, Frauen mit Bart oder Strong Ladies: Bei Asfaltart Meran treten in diesem Jahr nur weibliche Straßenkünstlerinnen auf. Damit wollen die Organisatoren ein kulturelles Zeichen setzen.
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Der Schalk oder wohl eher der Clown blitzt Claudia Bellasi aus den Augen, während sie in ihrer kleinen Gartenlaube sitzt und erzählt, wie sie das an Ernsthaftigkeit kaum zu überbietende Literaturstudium mit einer gar nicht so ernsthaften Arbeit über Komik und Clowns abgeschlossen hat und dann bei der Straßenkunst gelandet ist. Man müsse im Leben viele Kompromisse eingehen, gerade als Frau, meint sie über die Gratwanderung als Künstlerin und alleinerziehende Mutter. Keine Kompromisse machen die künstlerische Leiterin und ihr Team rund um Asfaltart. Zum diesjährigen Straßenkunstfestival, das vom 7. bis 9. Juni stattfindet, laden sie ausschließlich weibliche Straßenkünstler ein – und setzen damit ein Statement.

Claudia Bellasi

Was war die Initialzündung dafür, dass ihr gesagt habt, dieses Jahr wird Asfaltart weiblich?
Vor fünfzehn, sechzehn Jahren, als ich noch als Straßenkünstlerin tätig war, bin ich auf zwei Festivals in Cremona und in der Nähe von Rom aufgetreten. Das waren reine Frauen-Festivals. Das war neu für mich, auch von der Atmosphäre her. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass bei Asfaltart – obwohl ich und Jordi Beltramo als künstlerische Leitung ein gemischtes Team und für das Thema sensibilisiert sind – weniger Frauen als Männer auftreten, weil das allgemein so ist in der Straßenkunst. Wie in vielen anderen Bereichen sind Frauen noch in der Minderheit. Da habe ich mir gedacht, ich möchte es gern mal anders haben.

Wann ist dieser Wunsch dann konkret geworden?
Wir machen mit dem Team von Asfaltart jedes Jahr ein paar Tage Klausur, wo wir Vorschläge einbringen und besprechen und auch träumen dürfen. Oft sind das Wünsche, die vielleicht nicht sofort umsetzbar sind, aber dieser Prozess ist wichtig, um das Festival weiterzuentwickeln. So habe ich vor zwei Jahren den Vorschlag eingebracht, eine Ausgabe nur mit weiblichen Künstlern zu machen.

Wie wurde dein Vorschlag von den anderen im Komitee aufgenommen?
Sie waren alle recht schnell davon überzeugt, dass das eine tolle Sache ist. Es war trotzdem ein langer Prozess bis zur endgültigen Entscheidung, wirklich nur Frauen einzuladen, also auch keine gemischten Gruppen. Wir wollten ein starkes kulturelles Zeichen setzen und dafür mussten wir eine rein weibliche Ausgabe machen, damit die Botschaft wirklich rüberkommt. Wir hatten auch Zweifel, denn die Straßenkunst ist extrem vielfältig – von Marionetten über Akrobatik und Jonglieren gibt es viele unterschiedliche Genres. Wir haben auf dem Festival immer versucht, diese Vielfalt abzubilden. Das war schwieriger, wenn wir nur Frauen buchen wollten, weil es schlicht weniger gibt. Wir haben also länger am Programm gearbeitet und früher angefangen, Gruppen zu buchen. Es war trotzdem schwieriger, sie alle zu kriegen, weil diese wenigen weiblichen Straßenkünstler oft auf lange Zeit ausgebucht sind. Das bedeutete für uns einen größeren Aufwand. Trotzdem haben wir es geschafft, auch dieses Jahr die Vielfalt an Genres beizubehalten.

Vielleicht regen sich die Leute auch auf, aber so passiert immerhin etwas.

Du hast von einem kulturellen Zeichen gesprochen, das ihr setzen wollt. Glaubst du, dass so ein Statement auch über den Kulturbereich hinaus in die Gesellschaft und die Politik hinein etwas bewegen kann?
Das hoffen wir (lacht). Asfaltart ist für Meran und für Südtirol im Allgemeinen ein wichtiges Festival geworden, zu dem viele Besucher kommen. Wir wollen über das Festival anregen, dass man etwa über Stereotype redet, auch in Bezug auf Frauen. Wir wollen etwas bewegen und ich hoffe, dass uns das gelingt. Ich denke schon, dass das Publikum und die Sponsoren dieses Zeichen, das wir setzen, bewusst wahrnehmen und man auch mehr Raum für Frauen schafft. Ich glaube, es ist immer noch so, dass Frauen weniger Raum haben – im Kulturellen, im Politischen, in unserer Gesellschaft allgemein. Für mich ist unser Ziel erreicht, wenn wir als großes und beliebtes Festival anregen, dass man darüber redet. Vielleicht regen sich die Leute auch auf, aber so passiert immerhin etwas.

Sara Twister

Hat es denn schon erste Reaktionen gegeben?
Bis jetzt haben wir positive Rückmeldungen bekommen, sei es von der Gemeinde als auch von den Sponsoren. Ich bin gespannt, wie die Öffentlichkeit reagiert. Es wird wahrscheinlich auch Kritik geben, es kommt ja schnell der Satz: „Nur Frauen, das ist ja auch sexistisch.“ Aber das Interessante ist, dass diese Aussage nicht kommt, wenn irgendwo nur Männer teilnehmen. Wenn irgendwo nur Männer sind, wird das als normal empfunden, hingegen wenn man den Spieß umdreht, soll es plötzlich sexistisch sein. Dass es normal ist, wenn nur Männer etwas machen, darüber habe ich viel nachgedacht. Ich habe zum Beispiel noch nie eine Chirurgin kennengelernt. Gibt es die? Kann es sein, dass dieser Beruf fast nur von Männern ausgeübt wird? Oder Musikdirigentinnen? Die sieht man fast nie. Wieso? Das kann nicht sein. Auf dem Papier haben wir dieselben Rechte, aber in der Wirklichkeit sind wir von der Gleichberechtigung noch weit entfernt.

Man hört oft Aussagen wie: „Frauen sind ja gleichberechtigt, sie dürfen ja alles. Ihr könnt alles machen, ihr müsst es nur fest genug wollen.“
Das glaube ich eben nicht. Es gibt noch immer starke Männerlobbys, die den Status quo so beibehalten wollen, etwa Chirurgen oder Professoren an der Universität – da gibt es auch viel weniger Frauen. Aber wieso? Das kann nicht sein, denn in der Bildung sind die Frauen eigentlich stärker vertreten als Männer. Ich glaube schon, dass es diese gläserne Decke noch gibt. In der Politik sowieso.

Sehr oft heißt es, man habe keine Expertin oder keine Rednerin für ein bestimmtes Thema gefunden und deshalb auf Männer zurückgreifen müssen. Um dem entgegenzuwirken, gründen Frauen in immer mehr Branchen Netzwerke und Datenbanken, aus denen geschöpft werden kann. Gibt es so etwas auch in der Straßenkunst?
In Frankreich gibt es das Collectif des femmes de cirque (Dt. Kollektiv der Zirkusfrauen, Anm. d. Red.), das zeitgenössischen Zirkus macht. Ob sie auch Kontakte vermitteln, weiß ich nicht. Aber es gibt auf jeden Fall Gruppen, die versuchen, die Interessen der Frauen in der Straßenkunst zu vertreten.

Was mich stört, ist zum Beispiel dieses stereotype Bild, dass eine Frau immer graziös und elegant sein muss.

Kannst du dir vorstellen, dass es nochmal eine Frauen-Edition von Asfaltart gibt?
Unser Ziel ist es, ab der nächsten Ausgabe beide Geschlechter 50/50 zu vertreten. Das ist uns ein großes Anliegen.

Hast du das Gefühl, dass das Festival dieses Jahr insgesamt anders sein wird?
Ich bin gespannt, was für eine Atmosphäre herrschen wird. Das können wir vorher noch nicht sagen. Ich denke schon, dass es anders sein wird, weil Frauen eine andere Energie mitbringen, vor allem wenn die Frauen dann unter sich sind, meinetwegen beim Essen oder bei der Abschlussparty. Ich bin schon neugierig, wie das wird. Wahrscheinlich ganz nett, wie immer (lacht).

Francesca Mari

Auf jeden Fall habt ihr euch auch in diesem Jahr die Vielfalt auf die Fahnen geschrieben …
Mir ist es wichtig, dass die positiven Seiten der Künstlerinnen Platz haben und diese Vielfalt gezeigt wird. Was mich stört, ist zum Beispiel dieses stereotype Bild, dass eine Frau immer graziös und elegant sein muss. Es gibt so viele Facetten des Frauseins und das haben wir versucht, ins Programm zu integrieren. Wir haben etwa eine Strong Lady, die Männer hochhebt, oder Jongleurinnen. Als ich angefangen habe, gab es ganz wenige Jongleurinnen. Ich bin glücklich, dass es mittlerweile viel mehr gibt und auch sehr gute, besonders in Nordeuropa. Und auch im neuen Zirkus machen Frauen nicht nur Luftakrobatik oder Hula-Hoop, was als typisch weiblich angesehen wird. Wir haben da eine große Bandbreite im Programm, auch Rock’n’Rollerinnen oder Perkussionistinnen. Es ist wichtig, das zu zeigen, damit man nicht diesem Rosa-Stereotyp aufsitzt. Wir haben sogar eine Frau mit Bart, die erzählt, wie bärtige Frauen vor Jahren in Freakshows vorgeführt wurden. Es gibt so viele Facetten des Frauseins und man darf Frauen nicht in einem Stereotyp kleinhalten. Somit wird das Festival auch ein poetisches Zeichen sein.

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