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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 16.02.2015
LeuteAuf a Glas'l mit dem Jugendarbeiter

„Kein Kuschelpädagoge”

Veröffentlicht
am 16.02.2015
„Jugendliche müssen Grenzen ausloten“, sagt Armin Mutschlechner. Der Jugendarbeiter über den Ruf von Jugendlichen und was diese tatsächlich brauchen.
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Selfie mit Jugendlichen

Armin Mutschlechner ist einer der bekanntesten Jugendarbeiter des Landes. Weil er sich nicht nur bei seiner Arbeit kein Blatt vor den Mund nimmt. Der 46-jährige Mühlbacher hat drei Kinder und ist seit rund 20 Jahren in der Jugendarbeit aktiv, seit 2012 im Jugendtreff in Sterzing. Öffentlich zu Wort meldet sich Mutschlechner immer wieder auch als Mitglied des Künstlerduos Artbrothers Kraxentrouga. Im Laurin bestellt er ein Spumeral, lernt die gehobene Mangelwirtschaft kennen und muss sich mit einem Sportwasser zufrieden geben.

Armin, was ist ein Jugendzentrum eigentlich genau?
Jugendarbeit ist unter anderem die Freizeit, die Kinder und Jugendliche außerhalb der Familie und des schulischen Umfelds mit einem Verein oder einem Privaten verbringen. Ein Jugendzentrum oder -treff ist das Wohnzimmer der Jugendlichen. Da können sie sich verwirklichen. Hier können und sollen sie Grenzen überschreiten. Diese Grenzüberschreitungen thematisieren wir dann. Wir sanktionieren nicht, oder nicht nur, denn nur durch Grenzüberschreitungen lerne ich meine Grenzen und die Grenzen der anderen kennen.

Als Jugendarbeiter bist du eine Autoritätsperson, die Grenzen setzt. Wie machst du das den Jugendlichen klar? Bist du Onkel, Chef, Kumpel?
Du musst jedem auf Augenhöhe begegnen. Man entwickelt mit der Zeit ein Gefühl für Problemkinder. Man merkt, mit wem man Probleme bekommen wird, weil derjenige das auch braucht und sucht. Aber es gibt ganz einfache Regeln des Zusammenlebens. Respekt, den anderen wie auch der Struktur gegenüber. Wenn es Sachschäden gibt, wenn es schmutzig ist, wenn es laut ist, ist ja nicht der Jugendliche xy schuld, sondern die Gesellschaft sagt, die Jugend macht Dreck. Wir versuchen mit den Jugendlichen zu thematisieren, dass sie für ihren Ruf auch selbst verantwortlich sind. Ich bin kein Kuschelpädagoge. Mit mir kann man im Grunde jeden Blödsinn anstellen, aber fluchen ist bei mir zum Beispiel nicht drinnen. Oder spucken. Da hat man schon oft zu kämpfen. Ich bin in den letzten Jahren sehr rigide geworden, was das Grenzensetzen angeht. Bis hierher und nicht weiter.

„Leider haben Jugendliche nicht die Lobby, die ihnen zustehen würde.”

Der Ruf der Jugend ist in der Tat nicht der beste. Welchen Eindruck macht sie auf dich? Und ist es schlimmer als vor 20 Jahren oder sogar besser? Was ist anders?
Jugend ist immer das Kind ihrer Zeit. Und Jugend ist der Spiegel der Gesellschaft. Jugend muss Grenzen ausloten. Heute wird alles immer rigider, enger, die ganzen Auflagen … Vor 15 Jahren wollte eine Jugendgruppe ein Open Air veranstalten und hat es einfach gemacht. Heute geht das gar nimmer. Die Jugend von heute hat es bestimmt nicht leichter. Aber es gibt nicht „die“ Jugend. Man sagt ja auch nicht „die Erwachsenen sind alle so“. Es sind halt immer einzelne, die das Bild der Jugend prägen. Wie es bei diesen Einbruchserien und Gewaltgeschichten ja auch immer ein paar wenige sind, die dann das Bild prägen. Als Jugendarbeiter sehe ich mich als Anwalt der Jungen. Jugend ist nicht Zukunft, wie man in den Sonntagsreden immer schön hört, sondern Jugend ist Heute.

Was braucht die Jugend? Braucht sie mehr Geld, weniger Regeln, weniger Bürokratie? Wo würdest du ansetzen?
Leider haben Jugendliche nicht die Lobby, die ihnen zustehen würde. Jugend kostet nur. Politik misst ihre Entscheidungen an Wählerstimmen. Der Datenschutz macht alles schwieriger. Für uns in Sterzing bietet sich ein Tagesausflug nach Innsbruck an. Aber das ist ein riesiger Papierkrieg. Mit einem Minderjährigen, besonders wenn er unter 14 ist, kannst du dich nicht mehr trauen, außer Landes fahren. Aber im Grunde wollen Jugendliche einfach nur ernst genommen werden. Sie brauchen Zeit, und jemanden, der ihnen zuhört. Nicht mehr.

Stichwort Migration. Wie geht ihr mit dem Thema Zuwanderung um?
Für die Offene Jugendarbeit ist das eigentlich kein Thema, sondern es wurde immer offen damit umgegangen. In der Offenen Jugendarbeit geht es um den Menschen, egal welcher Sprachgruppe er angehört, oder woher er kommt. Das Zwischenmenschliche muss passen, respektvoller Umgang, keine Ausgrenzung. Aber natürlich, da treffen total unterschiedliche Weltauffassungen aufeinander. Wer sagt, dass eine Frau weniger wert ist, dem muss man ganz klar sagen, dass das hier anders ist. Dass muss man verlangen dürfen. Aber auch etwas anderes macht Integration schwierig. Südtirol ist institutionell auf Trennung aufgebaut. Oft ist es unglaubwürdig, weil wir selbst auch trennen, aber sagen, dass die anderen sich integrieren müssen. Die Jugendlichen spüren, ob man offen und ehrlich mit ihnen ist.

Gibt es mehr Konflikte, seit mehr Zuwanderer hier sind?
Die allermeisten Migranten fallen nicht auf. Weil sie vom Äußeren her europäisch aussehen. Aber vor allem, weil sie ihr Leben leben. Schule, Beruf, Freizeit. Und dann gibt es natürlich auch einige mit sozialen Problematiken. Die es genauso unter den deutsch- und italienischsprachigen gibt. Migranten und Ehrenamt ist nicht leicht, weil sie es nicht vorgelebt bekommen haben. Es ist eben eine andere Kultur. Viele legen mehr Wert auf Äußerlichkeiten. Sie sind in der Gruppe sozialisiert, das Individuum zählt relativ wenig. Das eigene Herkunftsland ist sakrosankt, viele waren aber noch nie dort. Manche machen dort Urlaub, aber Urlaub ist eben nicht Alltag. Es gibt aber auch sehr viele sehr gut integrierte, ehrliche, fleißige, anständige Leute. Die müssten sich mehr zu Wort melden, damit wir auch diese Seite kennenlernen. Wir müssen überhaupt mehr miteinander reden. Frag den, der dir das Feuerzeug verkaufen will, wer er ist und woher er kommt. Und warum er da ist.

„Frag den, der dir das Feuerzeug verkaufen will, wer er ist und woher er kommt. Und warum er da ist.”

Wie ist die Jugendarbeit in Südtirol organisiert?
Sie hat drei Standbeine: Die kirchliche Jugendarbeit, dazu zählen Ministrantengruppen, katholische Jugend, Jungschar oder Pfadfinder. Das hat bei uns eine lange Tradition. Dann die verbandliche Jugendarbeit, die mit den Vereinen zu tun hat. Weißes-Kreuz-Jugend, Alpenvereinsjugend, Vereine allgemein. Wobei, Sportvereine sind da eine Ausnahme. Wenn ein klarer Leistungsgedanke der Arbeit zugrunde liegt, und das ist bei einer Mannschaftssportart so, dann ist das meiner Meinung nach kontraproduktiv. Die Offene Jugendarbeit ist das jüngste Kind. Die Offene Jugendarbeit läuft meist über Vereine, die Jugendtreffpunkte oder -zentren führen. Der Mensch wird abgeholt, wo er im Leben steht, unabhängig von Konfession, Politik und Lebenseinstellung. Du kannst die Struktur nutzen, wirst zu nichts gezwungen, du kannst entscheiden, wie weit du mitmachst oder auch nicht, und musst auch nicht Mitglied sein. Die Offene Jugendarbeit begleitet und unterstützt die Jugendlichen. Wir machen Angebote, aber wir helfen auch, wenn die Jugendlichen selbst etwas auf die Beine stellen wollen.

Wie wird man Jugendarbeiter, wieso bist du Jugendarbeiter geworden?
Jugendarbeiter ist eine spannende Arbeit, kein Nullachtfünfzehn-Job. Man hat mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen zu tun. Ich war selbst „Klient“, habe mich dann ehrenamtlich engagiert. Und irgendwann, über fünf Ecken, bin ich in der Jugendarbeit gelandet. Wer einen Job mit Bürostunden sucht, hat den falschen Berufswunsch. Einen guten Zugang hat sicher der, wer sich in Vereinen engagiert.

Du stehst als Teil des Künstlerduos Artbrothers Kraxentrouga in der Öffentlichkeit und meldest dich auch mit deiner politischen Meinung immer wieder zu Wort. Beeinflusst das deine Arbeit? Bekommen die Jugendlichen das mit und sprechen sie dich darauf an?
Ich versuche es zu trennen, auch aus dem Grund, da ich der Meinung bin, Beruf und Privatleben gehören getrennt. Für die eigene Psychohygiene braucht es Abgrenzung. Ganz geht das natürlich nicht. Wir leben in einer Demokratie, und jeder Bürger hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich zu äußern. Die Politik ist nicht der Herr xy, Politik sind wir alle. Die Gemeinde sind ihre Einwohner, die Politik verwaltet nur. Deshalb soll sich jeder dazu äußern und sich einbringen. Sonst kann unser System nicht funktionieren. Das versuche ich den Jugendlichen vorzuleben, ohne sie in eine Richtung zu beeinflussen. Ich frage sie auch nach ihren Meinungen und hinterfrage sie dann, damit sie selbst darüber nachdenken. Oder ich gebe Inputs, dass sie nicht alles glauben sollen, was sie im Internet lesen.

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