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Der Kontrast sticht ins Auge. Auf der einen Seite, in drei Reihen aufgestellt: Männer in ihren 50ern, 60ern und 70ern, mit wenigen jüngeren Ausnahmen; auf der gegenüberliegenden Seite: eine junge Frau im gestreiften Kleid, Anfang 30. Das Kommando in der Gruppe hat sie.
Katharina Hasler ist seit Anfang des Jahres stellvertretende Chorleiterin des Männerchor Seis am Schlern. Sie ist damit die erste, denn der 28-köpfige Chor wurde seit seiner Gründung 1980 immer von Männern geleitet, auch die Rolle der Stellvertreter war stets männlich besetzt. Bis Toni Schgaguler, der Chorleiter und Mitbegründer des Männerchors, „die Neue“ in die Gruppe brachte.
Katharina und Toni begegnen sich fast täglich – sie wohnen nebeneinander. Und trotzdem: erst Jahre später erfährt Toni vom musikalischen Talent seiner Nachbarin. „Letztes Jahr zu Weihnachten mussten wir spontan Kantoren für die Kirche finden, und Katharina meldete sich“, erzählt er. Die Stimme der jungen Sterzingerin begeistert den Chorleiter. Als er erfährt, dass sie eine Ausbildung an der Kirchenmusikschule in Brixen hat und sieben Jahre lang einen Frauenchor in ihrer Heimatstadt leitete, bietet er Katharina die Stelle als seine Vize-Leiterin an.
“Es ist nicht leicht einen Chorleiter zu finden. Ob es ein Mann oder eine Frau ist, spielt keine Rolle.”
„Der Reiz war sofort da“, gibt Katharina zu. Doch zögert die junge Mutter anfangs, denn mit drei Kindern zuhause ist Zeit ein seltenes Gut, den Frauenchor in Sterzing hatte sie nach dem zweiten Kind aufgegeben. Am Ende gewinnt ihre Begeisterung für Musik doch die Oberhand und sie sagt Toni zu: “Ich habe mich eine Weile zufrieden gestellt und gesagt: Jetzt ist Zeit für Familie und Kinder. Aber ich wusste immer: Irgendwann finde ich wieder Zeit für die Musik.”
Katharina ist keine aufdringliche oder ungeduldige Frau. Sie hält sich im Hintergrund, wartet; und setzt ihren Willen am Ende unbemerkt durch. So fand sie wieder zurück in die Musik. So lernte sie, neben ihrem Gitarren– und Klavierunterricht, trotzdem das Hackbrett spielen, obwohl ihr alle davon abrieten – „Das brauchst du doch nicht“ – und verdiente damit bei Auftritten in den Hotels von Ratschings als Schülerin im Sommer ihr Taschengeld. Mit ebenjener leisen Art geht sie auch den Männerchor Seis an: Sie sitzt am Rande, beobachtet, wie Toni den Chor leitet, macht sich Notizen. Vorsichtig dirigiert sie ein paar Lieder. Sie weiß: sie muss „langsam hineinwachsen“, wie sie sagt; aber sie wird den Raum noch für sich gewinnen können.
„Das war gar kein Thema!“ versichern Chorleiter Toni und Obmann Willi Plunger, der auch im Chor singt, auf die Frage, wie die Sänger die weibliche Neubesetzung aufgenommen hätten. “Es ist nicht leicht einen Chorleiter zu finden. Ob es ein Mann oder eine Frau ist, spielt keine Rolle”, so der Obmann. Katharina bestätigt die vorurteilsfreie Aufnahme in den Chor: „ich habe mich sofort akzeptiert gefühlt.“
Der Männerchor singt meistens traditionelle Lieder – Volksmusik, ein paar Balladen und Kirchenlieder – doch sind die „Seiser Mander“ anders als viele traditionelle Chöre Südtirols, die oft keine Vize-Leiter haben, und ungern die Leitung aus der Hand geben oder hierarchische Strukturen aufbrechen. Woher kommen die Weltoffenheit und der Teamgeist bei diesem Männerchor? Eine Erklärung bietet die abenteuerlustige Vergangenheit des Chors.
“Da ist so ein Zusammenhalt im Chor. Schon bei der ersten Probe ist mir deren Organisation und Disziplin aufgefallen. Und ein großer, gegenseitiger Respekt“, sagt Katharina über den Männerchor. „Man merkt, dass sie schon viel gemeinsam erlebt haben.“ Auch im Dorf kennt man die Seiser Mander als eine „eingeschworene Truppe“, und weiß über ihre Reiseabenteuer Bescheid.
Die erste große Fahrt brachte den Männerchor auf eine Pilgerreise nach Israel, wo sie täglich über 100 Leute bei mehreren Gottesdiensten mit ihrem Gesang begleiteten. „Das war anstrengend für die Mander“, erinnert sich Toni. „Aber es war mega“, ruft er. So mega, dass den Chor das Reisefieber packte. Aus einem Abenteuer wurde eine jährliche Entdeckungsreise: “Immer, wenn wir ein wenig Geld zusammenbringen, geben wir es zusammen in einer Reise aus”, erklärt Toni. Gesungen haben die Seiser Mander an vielen Orten: im Oman, auf einem Kreuzfahrtschiff in Russland, mit einem Chor aus New Jersey in den USA, begleitet von Luis Durnwalder auf Sri Lanka. Dabei spielt das Soziale eine wichtige Rolle. Neben Hilfsorganisationen in Südtirol unterstützt der Chor regelmäßig Projekte in anderen Ländern und besucht diese vor Ort. Als Mitbringsel bieten sie ihren Gesang.
So ging es auch nach Bolivien, wo der Männerchor 2.000 Euro an Spendengelder für eine Kinderklinik gesammelt hatte. „Schnell hatten alle Männer Durchfall“, erinnert sich Toni schmunzelnd. Doch diese Erfahrung sei wichtig gewesen für den Zusammenhalt, der dem Chor heute anzusehen ist. In Südafrika besuchten sie ein kleines Dorf “in der Pampa”, wo ein Südtiroler Missionar seit 30 Jahren Projekte führt, kauften den Verkäuferinnen eines Frauenprojekts ihre gesamte selbst produzierte Erdnussbutter ab und verschenkten sie Kindern einer Schule, vor der sie sangen. Die zweite Südafrika-Reise war da schon anstrengender, erzählt Toni: “Wir haben eine Bischofweihe begleitet und vier Stunden lang unter der brennenden Sonne bei 40 Grad mit unserer Tracht gesungen. 3.000 Leute hörten uns auf der Wiese zu. Das vergisst du dein Leben nicht.”
Mit seinem Temperament und seiner Begeisterung war Chorleiter Toni bei fast allen Abenteuern dabei. Seine Art, den Chor zu führen, ist dabei ganz anders, wie Katharinas: laut und lässig, stets einen Witz auf den Lippen. Doch hinter der lockeren Art steckt eine effiziente Disziplin. Beim Zettelausteilen wird keine Zeit verloren, jeder Sänger kennt seine Aufgabe. Klingt eine Strophe schlecht gesungen, lässt Toni sie auch fünf Mal hintereinander singen. „Gut“, ruft er und fügt hinzu „gut gemeint, aber schlecht getroffen. “ Und noch mal von vorn.
Toni dirigiert in der Rolle des strengen, aber gerechten Lehrers, der aus jedem Schüler das Beste ziehen will. Die Mander werden zu Schuljungen, die ihren Lehrer dafür schätzen, und greifen alle gleichzeitig eifrig in ihre Musikmappe, um den nächsten Text hervorzuholen. So eingespielt mit den Mandern ist Katharina noch nicht. Umso mehr freut sie sich auf die Herausforderung „einen Männerchor auf einem guten Niveau mit so viel Erfahrung zu leiten.”
Mit dem Wort „Feminismus“ können die „Seiser Mander“ wohl wenig anfangen. Umso authentischer wirkt dieses Zeugnis von Gleichstellung: es beruht nicht auf politischem Symbolismus, sondern auf einem genuinen Blick auf die Welt, der nicht das Männliche als Gegensatz zum Weiblichen sieht, sondern in erster Linie den Menschen und sein Talent. Für den Männerchor von Seis am Schlern zählen keine vorgefertigten Rollen von Mann und Frau, sondern in erster Linie der Spaß am gemeinsamen Singen, das soziale Miteinander, und das wohlverdiente Bier mit Weißwurst nach einem festlichen Auftritt.
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