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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 22.02.2017
LeuteAuf a Glasl mit der Direktorin des Museion

„Jede Zeit hat ihre Sprache“

Veröffentlicht
am 22.02.2017
Letizia Ragaglia ist die Direktorin des Museion in Bozen. Ein Gespräch über Geld, Müll und ihr ganz persönliches, spirituelles Erlebnis in der Kunst.
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Ein futuristischer Glaskubus beherbergt Südtirols moderne und zeitgenössische Kunst. Er steht mitten in Bozen, direkt hinter der Universität und lockt seit fast zehn Jahren Künstler aus aller Herren Länder an. Doch ein Glaskubus allein reicht dazu nicht. Direktorin Letizia Ragaglia ist es, die die hochkarätigen Ausstellerinnen und Aussteller nach Bozen holt. Ihre kristallklaren, grünen Augen spiegeln das Sonnenlicht, das durch die hohe Glasfront direkt ins Café Museion fällt. Dort bestellt sie sich eine „centrifuga senza pera e con zenzero“ und wir kommen ins Gespräch.

Frau Ragaglia, Sie sind irgendwo zwischen Deutsch und Italienisch aufgewachsen. Ist die Kunst die Sprache, in der Sie am liebsten kommunizieren?
Eindeutig. Die Kunst war für mich immer schon sprachenübergreifend. Mit dieser Universalsprache muss niemand übersetzen.

Liegt die Kunst bei Ihnen denn in der Familie?
Eigentlich überhaupt nicht. Aber ich hatte einen Onkel, der ein ziemlicher Musikliebhaber war. Er hat mich jedes Jahr zu den Salzburger Festspielen mitgenommen, wo er mit mir in Galerien gegangen ist und immer verschiedenste Grafiken gekauft hat. Schließlich habe ich meine Eltern – ich bin ein verzogenes Einzelkind (lacht) – immer dazu gebracht, auf dem Heimweg vom Meer in die schönsten Ausstellungen der Großstädte wie Rom oder Florenz zu gehen. Mein Vater hat das zwar immer gefördert, aber viel übrig hatte er dafür ehrlich gesagt nicht.

Für Ihr Studium sind Sie schließlich nach Bologna, Florenz und Paris gegangen. Warum haben Sie sich am Ende doch dazu entschieden, ins kleine Provinzstädtchen Bozen zurückzukehren?
Ich habe immer wieder versucht, in der Großstadt Fuß zu fassen. Aber irgendwie habe ich gemerkt, dass es hier in Bozen, der kleinen Provinzstadt, noch eine Lücke gab. Als ich Ende der 90er-Jahre hier angefangen habe, gab es das Wort Kurator in Südtirol noch gar nicht. Immer wieder hat man es mir in öffentlichen Texten durchgestrichen. Nach verschiedensten Projekten hat mich das Museion schließlich gefragt, ob ich als Kuratorin einsteigen möchte, und so ist diese Ehe dann entstanden.

„Ich habe versucht, dem Haus eine Identität zu geben.“

Mittlerweile sind Sie fast zehn Jahre im neuen Museion. Ist die Leidenschaft nach wie vor dieselbe?
Ja, absolut. Vor allem, weil sich mein Parcours immer wieder verändert hat und es immer wieder neue Herausforderungen gab. Für mich selbst habe ich vor allem die Leidenschaft beibehalten, mit lebenden Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten. Und gleichzeitig bin ich natürlich auch ein Museumsmensch. Ich mag die Idee, eine Verantwortung für das Publikum zu haben und es für etwas zu begeistern.

Haben Sie das geschafft?
Ich habe versucht, dem Haus eine Identität zu geben. Es geht nicht ums Verstehen. Viel eher muss man sich dazu bereit erklären, sich mit vielen Sinnen auseinanderzusetzen. Für mich ist es ganz wichtig, dass die Besucher hier eine Erfahrung machen können. In diesem Sinne ist die zeitgenössische Kunst für alle zugänglich. Das Feedback des breiten Publikums ist aber durchwegs positiv. Und für uns ist das wichtiger, als wenn jemand von der Kunstwelt kommt und sagt: „Das habt ihr gut gemacht.”

Welche Herausforderungen hat die „Ehe“ mit dem Museion denn mit sich gebracht?
Sicherlich der noch nicht vergessene Kippenberger Frosch. Das Museion danach zu übernehmen war eine echte Herausforderung. Wir waren bei so vielen auf der schwarzen Liste.

Ein Moment, den Sie hier hingegen nie vergessen haben?
Ich verehrte immer schon den amerikanischen Künstler Carl Andre, den man in allen Handbüchern der Kunstgeschichte findet. Eine Ausstellung von einem solchen Künstler, den man vorher selbst während des Studiums durchgenommen hat, hier nach Bozen zu bringen, war schon ein besonderer Moment für mich.

Wie kommt es, dass Künstler aus New York, wie Andre, überhaupt in Bozen ausstellen wollen?
Das ist nicht selbstverständlich. Die Kulturszene wird immer hipper. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin aus London oder New York eine Einladung von uns bekommt, muss er oder sie sich zuerst informieren, wo das kleine Bozen überhaupt liegt. Dabei ist Mundpropaganda anderer Künstlerinnen und Künstler das Wichtigste. Durch unsere professionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert haben und mit viel Erfahrung punkten, konnten wir uns mittlerweile einen guten Ruf aufbauen.

Also hat das Museion bereits einen internationalen Namen?
Vielleicht sogar mehr als einen lokalen, ja. (lacht) Als Beispiel nenne ich Rosemarie Trockel, die zeitgleich in New York, London und Bozen ausgestellt hat. So können wir für junge Südtiroler Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellen, in einer gewissen Hinsicht auch als Sprungbrett fungieren. Das ist mir auch wichtig.

„Aber auch in der Sixtinischen Kapelle hatte ich einen solchen Moment. Da habe ich verstanden, was das Stendhal-Syndrom ist, wenn einem vor Kunst schlecht wird.”

Welches Werk hat Ihnen im Laufe Ihrer Karriere denn den Atem geraubt?
Das war in der Tate Modern in London, als ganz monochrome, dunkle Gemälde von Mark Rothko ausgestellt wurden. Ich konnte damals nicht mehr aus dem Raum rausgehen. Ich wusste, dass er sie in einer spirituellen Phase gemacht hat. Ich saß damals in der Mitte des Raumes und hatte wirklich selbst einen spirituellen Moment, ein richtiges „Aha“-Erlebnis. Aber auch in der Sixtinischen Kapelle hatte ich einen solchen Moment. Da habe ich verstanden, was das Stendhal-Syndrom ist, wenn einem vor Kunst schlecht wird. (grinst)

Sie sind also von „alter“ und „neuer“ Kunst fasziniert. Das Museion ist ein Platz für Zeitgenössisches und Modernes. Haben Sie vielleicht eine Definition für diese Art von Kunst?
An einer Definition schlagen sich die größten Experten und sind dann zur Eskamotage gekommen, dass man nicht danach fragt, was sie ist, sondern wie sie auftritt. Die Künstlerinnen und Künstler suchen sich eine Sprache aus, mit der sie etwas am besten kommunizieren können. Schließlich geht es darum, die Besucher in die Lage zu bringen, sich auf diese Sprache einzulassen. Es geht also irgendwie auch um Toleranz. Auch umgedrehte Pissoirs oder Leinwände mit Schlitzen kommunizieren Etwas, man muss es nur sehen.

Sie haben es unter anderem auch in die Schlagzeilen geschafft, weil Ihre Putzfrauen so eifrig waren, ein Werk aufzuräumen, das in ihren Augen vermeintlicher Müll war. Kann Müll wirklich Kunst sein?
Wir haben immer wieder Künstler, die mit Recycling-Materialien arbeiten. Zum Beispiel sind in der aktuellen Ausstellung einige Skulpturen auch mit Müllresten ergänzt worden. Damit wird auf Menschenrechte und den Müllstreik von 1968 in Memphis angespielt, bei dem Martin Luther King ermordet wurde. Wir sind aber stolz darauf, wie wir mittlerweile gelernt haben, durch bessere Kommunikation zeitgenössische Kunst den Besucherinnen und Besuchern näher zu bringen. Auch Kunstwerke der Antike haben Geschichten erzählt. Aber vielleicht brauchen aktuelle Themen auch zeitgenössische Formen. Jede Zeit hat ihre Sprache.

Die Verwaltung des Museion setzt sich aus zwei Stiftern zusammen: Der Autonomen Provinz Bozen und dem Verein Museion. Gemeinsam verwalten sie ca. 2,5 Millionen Euro öffentlichen Budgets.

Frau Ragaglia, Kritiker bemängeln, dass der Verein Museion als private Instanz zu großen Einfluss auf die Verwaltung des öffentlichen Budgets hat. Was sagen Sie dazu? Ist die Kritik gerechtfertigt?
Achso? Sagt man das noch über uns? Das habe ich gar nicht mitgekriegt. Ich sage Ihnen nur, dass es das Museion ohne diesen Verein von engagierten Leuten nicht geben würde. Mit dem Modell einer Stiftung, in der Verein und öffentliche Hand eingebunden sind, ist das Projekt Museion vorangetrieben worden. Eine gewisse Autonomie zu haben, war natürlich auch die Idee. Immerhin funktionieren wir wie eine öffentliche Verwaltung, haben viele Pflichten und doch nicht so viele benefits. Der Verein gehört einfach zur Geschichte dieses Museums und hat am Anfang auch viele Kontakte gebracht, durch die sich das Museion etablieren und zu dem werden konnte, was es heute ist.

Sie bemängeln unter anderem das knappe Budget. Findet man für die Kunst keine Firmen, die als Sponsoren dienen könnten?
Südtirol hat das Glück gehabt, dass die öffentliche Hand stets die Kultur unterstützt hat. So hat sich bis dato eine private Förderung in diesem Bereich noch nicht etabliert. Nichtsdestotrotz versuchen wir als Museion unser Bestes, um private Sponsoren zu akquirieren und mit privaten Partnern zusammenzuarbeiten.

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