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„For you being normal is a virtue. For me it has always been a cage.” Marion, weiblich geboren, wird Marian, ein Mann. Die Filmemacherin Martine De Biasi begleitet ihn dabei mit der Kamera – ein Versuch, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu verarbeiten und Marians Zweifel und Ängste und seinen Wunsch nach Normalität festzuhalten. Gleichzeitig wirft sie damit die Frage auf: Was gilt in der Südtiroler Gesellschaft als normal? Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er die Rolle, die ihm die Gesellschaft zuschreibt, nicht ausfüllen kann?
Du hast Marian über acht Jahre mit der Kamera begleitet. War denn von Anfang an klar, dass das ein Film mit allem Drum und Dran wird, oder ging es erstmal nur darum, Marians Geschichte zu dokumentieren?
Nein, ich wollte von Anfang an einen Film daraus machen. Ob es ein langer oder ein kurzer Film, ein guter oder ein schlechter Film wird, das hat keiner von uns gewusst. Und die Frage war damals auch, ob Marian die Geschlechtsangleichung wirklich durchzieht. Er hat sich lange Gedanken darüber gemacht, ob er diesen Schritt sich selbst, aber auch seinem Umfeld zumuten konnte. Große Sorgen machte er sich auch wegen seiner beruflichen Position als Lehrperson. Für mich wäre es so oder so ein Film geworden, denn ich hätte auch die Entscheidung, keine Geschlechtsangleichung zu machen, interessant gefunden. Wir haben uns auf jeden Fall nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Ich weiß auch nicht, ob wir das nochmal machen würden, wenn wir zurückgehen könnten. Es war einfach eine lange, schwierige Zeit.
Hast du rückblickend das Gefühl, dass das Filmen eine Art Therapie für dich war, um Marians Identitätswechsel zu verarbeiten?
Der gesamte Film ist ein Verarbeitungsversuch meinerseits. Deshalb habe ich es auch gemacht. Als Marian das erste Mal zu mir gesagt hat: „Ich glaube, ich bin ein Mann“, da war mein erster Gedanke: Das geht ja gar nicht, hallo? Ich wollte total offen und unterstützend sein, aber ich merkte, dass bei mir Emotionen aufkamen, die mich genau das Gegenteil sagen ließen. Ich wollte, dass diese Person so bleibt, wie sie ist oder wie ich sie mir vorstellte. Diese ganzen negativen Gefühle haben mich dazu geführt, Marian zu fragen, ob wir einen Film darüber machen wollen. Anfangs war er nicht so begeistert von der Idee. Nach intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik im Rahmen seiner Therapie, aber auch durch den Kontakt mit Betroffenen, Psychologen und Ärzten änderte er allmählich seine Meinung. Es wurde öfters darüber diskutiert, dass es wichtig sei, wenn Betroffene sichtbar würden, um zu zeigen, dass es Transidentität nicht nur anderswo, sondern auch hier in Südtirol gibt.
„Zwar sehe ich mich als offenen und liberalen Menschen, der alles akzeptieren kann, aber als es dann darauf ankam, hatte ich Gefühle, gegen die ich ankämpfen musste.”
Ich habe ihm immer gesagt, was ich denke, auch als ich am Anfang Schwierigkeiten hatte, „er“ zu sagen und ihn als Mann zu sehen, und ich hoffe, das wird im Film auch klar. Im Schnitt habe ich dann gemerkt, dass ich ihm am Anfang nicht geglaubt hatte. Ich sah mir die Aufnahmen an, in welchen er sagte, er fühle sich als Mann und ein Mann zu sein, wäre für ihn das Normale. Aber ich glaubte ihm das einfach nicht. Ich war mir sicher, er würde schon noch zur Einsicht kommen und erkennen, dass das ein Blödsinn ist. Total krass. Ich hatte das ganz anders interpretiert, also dass er einfach mit sich selber nicht zufrieden war. Ich hatte ihm einfach nicht zugehört. Diese Einsicht war für mich total faszinierend und ich hoffe, das kommt im Film auch zum Ausdruck. Denn ich glaube, es gibt viele Menschen, die dieselben Ängste haben wie ich. Zwar sehe ich mich als offenen und liberalen Menschen, der alles akzeptieren kann, aber als es dann darauf ankam, hatte ich Gefühle, gegen die ich ankämpfen musste.
Es muss doch extrem schwierig sein, einen Film über ein Thema zu machen, in das man als Filmemacherin so stark persönlich involviert ist. Schafft man es denn, immer wieder auf eine objektive Position zurückzukommen, damit einem der Film nicht entgleitet?
Für mich ist es so: Alles, was ich mache, kommt von mir. Das war nie ein objektiver Film, das ist ein zutiefst persönlicher Film, in dem über mich und meine Gefühle und über Marian und seine Gefühle gesprochen wird. Es gibt für mich in dem Fall einfach keine neutrale Position. Was ich sehr schwierig fand, war die Balance zwischen meiner Stimme und Marians Figur im Film zu finden, weil ich Marian als facettenreiche Person porträtieren wollte. Man hat ja als Filmemacherin sehr viel Macht. Man kann eine Person auf tausend verschiedene Arten darstellen. Dabei kann man auch viele Fehler machen. Mir war es immer wichtig, Marian nicht bloßzustellen und ihn doch möglichst authentisch darzustellen, mit seinen Ängsten und schließlich mit seinem Glück, jetzt das zu sein, was er immer schon sein wollte.
Stichwort bloßstellen: Hattest du nie Angst, dass du mit so einem persönlichen und intimen Film Marian dem Voyeurismus des Publikums preisgibst?
Auf jeden Fall. Das war das größte Problem, das ich bei dem Film hatte. Aber Marian wusste von Anfang an, dass er bei jedem Bild zu jeder Zeit sein Veto einlegen konnte. Das wusste er, das wusste ich, das wusste die Produktionsfirma und das wusste auch die Schnittmeisterin. So haben wir von Anfang an gearbeitet. Zweitens war es natürlich immer so, dass Marian bereits während der Dreharbeiten sagen konnte, ob er mit bestimmten Ideen, Inhalten, welche besprochen werden sollten, oder Aufnahmen einverstanden war oder nicht. Mir war es stets ein Anliegen, achtsam mit den Aufnahmen umzugehen, denn ich glaube, Menschen, die nicht mit Film oder Medien arbeiten, ist oft nicht so klar, wie bestimmte Sachen rüberkommen. Das heißt, ich hatte eine doppelte Verantwortung: eine ethische der gesamten Thematik gegenüber, aber auch gegenüber Marian.
„Marian war stets sehr bedacht darauf, sein Umfeld zu schützen, auch vor dem Film.”
Auffallend ist, dass Marian im Film zwar die ganze Zeit darüber spricht, was seine Familienangehörigen bzw. seine Partnerin zu einer möglichen Geschlechtsangleichung sagen würden, wir diese Personen aber nur aus seinen Erzählungen erleben. Erst am Ende des Films kommen sein Vater, seine Mutter und seine Lebensgefährtin zu Wort. War es eine bewusste Entscheidung, während des Prozesses der Geschlechtsangleichung sein Umfeld außen vor zu lassen?
In der ersten Zeit war es so, dass Marian und ich uns trafen und ich einfach Interviews mit ihm drehte. Das Umfeld mit in den Film hineinzunehmen, war anfangs aus dem Grund nicht möglich, weil Marian noch nicht vollständig geoutet war. Erst nach seiner Entscheidung, die Geschlechtsangleichung vorzunehmen, hat Marian sich wieder mehr der Welt geöffnet, so ist es mir zumindest vorgekommen. Marian war stets sehr bedacht darauf, sein Umfeld zu schützen, auch vor dem Film. Er wollte niemanden mit hineinreißen, deshalb haben wir nicht viel mit anderen Leuten gefilmt, weder mit der Familie noch mit anderen Leuten, die ihm nahestehen.
Die Familie ist also erst gegen Ende des Films präsent, genau umgekehrt ist es mit dir. Über das Voiceover bist du mit deinen Gedanken und Gefühlen am Anfang sehr präsent, nimmst dich dann aber im Laufe des Films zurück. Wie kommt das?
Was soll ich denn noch sagen, wenn man sieht, dass es ihm gut geht? Wie soll ich das erklären … Ich hatte von Südtirol und von meiner Beziehung zu Marian – im freundschaftlichen Sinne – immer so ein Bild im Kopf: Stell dir vor, es ist ein Novemberabend, es ist dunkel, da steht ein Haus, in dem Licht brennt, und drinnen sitzt die Familie gemeinsam am Tisch und isst zu Abend. Ich stehe draußen und Marian steht neben mir und wir schauen hinein in diese heile Welt der Südtiroler Gesellschaft. Weil ich mich immer schon als anders empfunden habe, weil ich das auch sein will, weil ich lesbisch bin, weil ich Italienerin bin, weil ich haufenweise Sachen bin, die mich nicht automatisch drinnen sein lassen. Bei Marian hatte ich immer das Gefühl, er steht neben mir, als Mensch mit gleichen bzw. ähnlichen Ideen und Gesinnungen usw.
Aber das Bild am Ende des Films ist ein anderes: Er ist jetzt mittendrin. Ich stehe immer noch draußen, aber er sitzt jetzt mit am Tisch. Das ist es auch, warum ich mich dann zurücknehme. Mir ist erst jetzt aufgefallen, dass ich mit der Kamera immer weiter weggehe. In der ersten Hälfte des Films bin ich ganz nah an ihm dran, in einer Einstellung von Stirn zu Kinn. Danach werden die Einstellungen immer weiter. Das finde ich total faszinierend. Und er ist mir ja auch als Mensch ein bisschen entglitten und steht in der Gesellschaft jetzt mittendrin.
Würdest du sagen, dass sich durch den Film euer Verhältnis verändert hat? Oder vielleicht eher durch die Geschlechtsangleichung?
Ich glaube, wir hätten uns nicht so intensiv damit auseinandergesetzt, wenn wir den Film nicht gemacht hätten. Dann hätte ich gesagt: Gut, mach das, ich steh dir bei. Wir hätten halt mal darüber gesprochen, aber nie so wie durch den Film. Also kann man sagen, dass die Beziehung besser geworden ist bzw. dass uns dieses gemeinsame Projekt sehr verbindet.
Im Film ist natürlich auch diese Distanz da, aber ob sie auch in der Wirklichkeit da ist, kann ich echt nicht sagen. Unsere Leben haben sich ja einfach auch weiterentwickelt, die Prioritäten sind anders. Aber auf jeden Fall haben wir ein tolles Projekt miteinander gemacht, das ist schon etwas Besonderes.
Der Film an sich spielt eher die leisen Töne, trotzdem platzierst du damit gerade im konservativ-provinziellen Südtirol eine ziemliche Bombe. War das auch deine Absicht?
Das war überhaupt keine Absicht und es hat uns, ehrlich gesagt, auch ein bisschen überrollt. Dass der Film auf so großes Interesse stößt, hätte ich mir nicht gedacht. Deshalb weiß ich auch nicht, ob wir das Projekt gemacht hätten, wenn wir das vorher gewusst hätten. Trotzdem finde ich, der Film ist wahnsinnig wichtig und Südtirol braucht diesen Film. Aber das sage ich nur aus einem nicht-persönlichem Standpunkt. Aus persönlicher Sicht hat so eine Bombe natürlich auch Auswirkungen auf das Leben der Menschen im Film, die hier leben und auch weiterhin ihr geregeltes Leben hier leben wollen. Den Presserummel rund um den Film sind diese Menschen nicht gewohnt. Den werden sie vorerst verarbeiten müssen und sich dann auf die Zeit freuen, wenn wieder Ruhe einkehrt.
Danke für das Gespräch!
„Becoming Me“ ist im Rahmen des Bolzano Film Festival Bozen an folgenden Terminen auf der Kinoleinwand zu sehen:
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