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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 07.09.2016
LeuteInterview mit Verena Massl

Im Friedensdorf

Veröffentlicht
am 07.09.2016
Fünf Monate arbeitete Verena Massl in einem Friedensdorf in Israel. Ihre Erfahrungen dort haben ihren Blick auf Südtirol verändert.
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Verena Massl beim Backen des Fladenbrots fuer das jüdische Pessach-Fest

Vor einigen Wochen ist die Studentin Verena Massl wieder in ihr Heimatdorf im Vinschgau zurückgekehrt. Nachdem sie fünf Monate lang im Friedensdorf „Neve Shalom – Wahat al-Salam“ gearbeitet hat, sieht sie Südtirol mit anderen Augen, sagt sie. Bereits im letzten Jahr hielt sie sich im Rahmen kürzerer Austauschprogramme zwei Mal in Israel auf. Damals hörte sie auch das erste Mal von diesem Friedensdorf, wo jüdische und palästinensische Israelis als Nachbarn zusammenleben. Bald schon stand für sie fest, dass sie an dem bislang noch einzigartigen Projekt mitwirken will. Dass sich dies in ihren Masterstudiengang IRIS (Innovation in Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit) eingliedern lässt und sie nun ihre Masterarbeit über das Dorf schreiben kann, erwies sich als zusätzlicher Glücksfall.

Du hast jetzt fünf Monate lang im Kommunikationsbüro des Dorfes gearbeitet. Worin bestanden deine Aufgaben?
Das war meistens ganz flexibel, je nachdem, wo es eine helfende Hand brauchte. Zu meinen Hauptaufgaben gehörte die Organisation von verschiedenen Veranstaltungen an der Dorfschule, wie etwa von Ausflügen oder Familienfeiern. Die Dorfschule ist eine bilinguale Schule, hier werden jüdische und palästinensische Kinder unterrichtet. Ein solches Schulmodell ist in Israel eine Ausnahme, leider. Inzwischen gibt es circa acht Schulen im Land, die nach dem Konzept arbeiten, welches im Dorf entwickelt wurde. Insgesamt dreht sich im Dorf sehr viel um die Kinder und es wird viel mit ihnen unternommen. Die verschiedenen Veranstaltungen im Dorf habe ich dann meistens dokumentiert und darüber geschrieben.

Was du geschrieben hast, waren meistens Presseaussendungen oder Berichte, unter anderem auch für verschiedene Medien. Wie sieht die mediale Resonanz zum Projekt aus?
Es gibt viele Berichte internationaler Medien – vor Kurzem gab es beispielsweise eine Reportage eines großen französischen Senders. In Israel wird auch ab und zu berichtet, aber deutlich weniger, da das Projekt Ziele hat, die der Politik des Landes und auch einem breiten Anteil der öffentlichen Meinung nicht entsprechen. Man könnte vom Dorf vieles lernen, will es aber (noch) nicht…

Welche sind diese Dinge, die man vom Zusammenleben im Dorf lernen kann?
Was sie sich konkret abschauen können, ist das bilinguale Schulsystem. Es wurden einige Studien dazu gemacht, die zeigen, dass hier viele Berührungsängste abgebaut werden. Im israelischen Bildungssystem gibt es sonst drei große Stränge: das israelisch-jüdisch klassische – das ist sekulär, dann gibt es das jüdisch-orthodoxe und schließlich noch die Bildungslaufbahn für die palästinensischen Israelis. Die haben auch ihr eigenes System, das wird dementsprechend schwächer finanziert. Das Schulsystem will man aber weiterhin getrennt halten, da es große Ängste gibt, dass es sonst zur Vermischung der Volksgruppen kommt. Und diese Angst besteht auf beiden Seiten.

Wie sieht es im alltäglichen Leben im Dorf aus? Gibt es auch hier Konflikte, die religiös motiviert sind?
Wegen der Religion wird weniger gestritten. Wer hier ist, der ist in der Regel schon sehr sekulär eingestellt. Konflikte sind eher politisch begründet. Es gibt zum Beispiel den israelischen Unabhängigkeitstag. Für die jüdischen Israelis ist das ein großer Feiertag, an dem man Fahnen hisst, zusammen grillt, etwas unternimmt – für die palästinensischen Israelis ist das aber ein Trauertag. In den Wochen um diesen Tag sind in ganz Israel die Flaggen gehisst, an Häuserfassaden, entlang der Autobahnen, auf allen Straßen. Viele jüdische Israelis denken sich gar nicht viel dabei. Diese Art von Nationalismus ist dort ganz normal. Auch weil es noch ein junger Staat ist, wird viel Energie und Geld in die Stärkung einer gemeinsamen Identität sowie in das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Befürwortern des israelischen Staates als jüdischen Staat investiert. Den palästinensischen Israelis gilt das aber vielfach als Provokation und deswegen vermeidet man es auch im Dorf, die Flaggen zu hissen. Gleichzeitig wollten sich die jüdischen Dorfbewohner das Feiern auch nicht verbieten lassen und sind dann zum Teil woanders hin gefahren, um zu feiern. Ein anderer Konfliktpunkt ist natürlich das Militär.

Inwiefern?
Fast alle jüdischen Israelis gehen zum Militärdienst. Die palästinensischen Israelis müssen keinen Militärdienst leisten, sie dürfen es aber. Letztendlich macht das fast keiner von ihnen, aus vielerlei Gründen. Zum einen will man nicht einem Staat dienen, der die eigenen Leute unterdrückt. Zum anderen ist man als Palästinenser auch unzähligen Kontrollen und Nachforschungen ausgesetzt. Denn der israelische Staat gibt keinem Palästinenser ein Maschinengewehr in die Hand, wenn er nicht weiß, dass er ihm absolut vertrauen kann. Es gibt aber auch immer mehr jüdische Israelis, die den Militärdienst verweigern, weil sie mit der Außen- und Innenpolitik ihres Staats nichts anfangen können.

Kann man den Militärdienst einfach so verweigern?
In Israel müssen auch Frauen zum Militärdienst, es sei denn, sie erklären sich als religiös, dann geht das wegen der Hosen nicht. Denn religiöse Frauen dürfen nur weite, lange Röcke tragen. Für Frauen ist es also leichter, dem Militärdienst zu entgehen. Als männlicher Verweigerer kommt man meistens mit einem Monat Haft im Militärgefängnis davon, das Schlimme kommt aber danach: Wer den Dienst verweigert, wird in der Gesellschaft zum Außenseiter, man hat es danach schwerer, eine Arbeit zu finden. Mit zwei Jahren Zivildienst kann man sich noch einigermaßen retten. Im Allgemeinen steht man ohne Militärdienst aber da wie ein Schuljunge, der als einziger unter seinen Klassenkollegen unbestraft die Aufgaben nicht gemacht hat. Dann gibt es aber auch Menschen, die erst nach einiger Zeit aus dem Militär aussteigen. So wie die Combatants for Peace.

Wer sind die Combatants for Peace?
Das ist eine Gruppe, die aus Ex-Soldaten aus dem israelischen Militär besteht – manche von ihnen waren auch an Militäroperationen beteiligt, haben die Befehle zum Abwurf von Fliegerbomben über Gaza gegeben. Aber auch ehemalige Kämpfer aus dem gegnerischen Lager sind Teil davon, teilweise Leute, die in antiisraelischen Organisationen und bei der Ausführung von Attentaten involviert waren. Beide Seiten haben ihre Waffen weggelegt und setzen sich nun gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben der Völker und Religionen in Israel ein. Die Gedenkfeier für alle Opfer des Konflikts, die von dieser Organisation ins Leben gerufen wurde, war eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse. Es zeigte, wie auch die erbittertsten Feinde Ressentiments und Misstrauen überwinden können, um zusammenzuarbeiten. In der Öffentlichkeit werden die Combatants for Peace aber auf beiden Seiten vielfach als Verräter oder Überläufer betrachtet.

Es gibt bei jüdischen wie palästinensischen Israelis große Berührungsängste vor dem anderen. Hast du als Südtirolerin einen anderen Blickwinkel auf die Situation? Schließlich funktioniert bei uns das Zusammenleben verschiedener Volksgruppen vergleichsweise sehr gut.
In Israel ist die Situation doch eine ganz andere, da auch die Religion die Verschiedenheit der Volksgruppen bestimmt, und nicht hauptsächlich nur die Sprache, wie es in Südtirol der Fall ist. Sogar jene, die sekulär eingestellt sind, sehen es nicht gerne, wenn ein enges Familienmitglied einen Partner hat, der eine andere Religion lebt. Ich hatte oft das Gefühl, gewisse Dinge besser nachzuvollziehen, weil ich selbst Teil einer Minderheit bin. Aber wenn man bedenkt, dass es dort kein zweisprachiges Schulsystem gibt, in den öffentlichen Ämtern kein Arabisch gesprochen wird, oder wie palästinensische Israelis gesetzlich benachteiligt werden, kann man kaum sagen: Ich verstehe als Südtirolerin, wie ihr euch fühlt.

Könnte das Modell in Südtirol – trotz seiner einfacheren Situation – nicht auch eine Art Vorbildfunktion haben?
Das ist sogar schon der Fall. Einmal habe ich eine Delegation unserer Dorfschule in die Knesset, das israelische Parlament, begleitet. Dort fand anlässlich des Tages der arabischen Sprache, der von einer arabischen Parlamentarierin ins Leben gerufen wurde, eine Tagung statt. Von Arabisch verstehe ich nicht viel, aber plötzlich hörte ich das Wort „Tirol“ fallen und da fragte ich die Lehrerin von unserer Dorfschule, ob sie mir übersetzen kann, was gesagt wurde: Ein Teilnehmer der Tagung erzählte von seiner Reise nach Südtirol und von seiner Überraschung, als er erfuhr, dass öffentlich Bedienstete bei uns beide Sprachen beherrschen müssen. Das nahm er als Beispiel dafür, wie es idealerweise auch in Israel mit den beiden Sprachen Arabisch und Hebräisch sein sollte. Da wurde mir bewusst, welch starke Modellfunktion wir für andere Gebiete mit mehreren Sprachgruppen ausüben könnten.

Warum führt man nicht wenigstens im Bildungssystem mehr Zweisprachigkeit ein?
Daran besteht für die aktuelle Regierung leider wenig Interesse. An Universitäten wird beispielsweise ausschließlich auf Hebräisch, nicht auf Arabisch gelehrt. Das führt neben anderen Ursachen dazu, dass palästinensische Israelis unter den Studenten stark unterrepräsentiert sind. So bleiben die Elite des Landes, Entscheidungsträger und Beamte hauptsächlich durch jüdische Israelis vertreten. Wir in Südtirol hingegen haben die Proporzregelung, auch hier habe ich also gesehen, wie gut unser System im Vergleich ist. Bei uns zielen die Gesetze auf die Gleichbehandlung von allen – in Israel ist eher das Gegenteil der Fall.

„Es gibt sicherlich auch in Südtirol, vor allem beim Zusammenleben zwischen den verschiedenen Sprachgruppen, noch einiges, an dem gearbeitet werden sollte. Aber man hat hier nicht das Gefühl, für eine aussichtslose Sache zu kämpfen. Das ist das Entscheidende.”

Gibt es einen positiven Trend? Gibt es unter den jüngeren Leuten mehr Verständnis füreinander und den Willen zu einem größeren Miteinander in der Zukunft?
Ich habe das Gefühl, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Aus Gesprächen habe ich mitbekommen, dass die jüngeren noch extremer auseinanderdriften. Zu Zeiten des Oslo-Abkommens Anfang der 90er-Jahre gab es auf beiden Seiten eine offenere und optimistischere Stimmung. Jetzt scheint diese Hoffnung verschwunden zu sein, auch von der Kompromissbereitschaft zur Zwei-Staaten-Lösung ist nicht mehr viel zu spüren. Vor allem durch den Gaza-Konflikt wurde die negative Tendenz immer wieder verstärkt.

Haben dich die letzten fünf Monate auch persönlich verändert?
Es hat sich vor allem meine Sicht auf mein Zuhause verändert. Ich war mir auch vorher schon bewusst, dass wir hier an einem wunderbaren Ort leben, aber seitdem nehme ich dieses Glück viel deutlicher wahr. Ich will damit nicht sagen, dass hier alles gut ist. Es gibt sicherlich auch in Südtirol, vor allem beim Zusammenleben zwischen den verschiedenen Sprachgruppen, noch einiges, an dem gearbeitet werden sollte. Aber man hat hier nicht das Gefühl, für eine aussichtslose Sache zu kämpfen. Das ist das Entscheidende.

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