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Katia Fellin hat sich bereits in ihrer Jugend im Rampenlicht wohlgefühlt: Bereits mit elf Jahren stand sie auf der Bühne der Musical School Bozen und der Vereinigten Bühnen Bozen. Heute ist die 28-Jährige professionelle Schauspielerin und lebt in Berlin, war für eine Spielzeit Ensemblemitglied am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin und hat bei verschiedenen Kino-, Film- sowie Theateproduktionen mitgespielt. Nun kommt der erste Film ins Fernsehen, bei dem sie eine der Hauptrollen besetzt: Im Tatort „Die Zeit ist gekommen“ spielt sie die Rolle der Anna Bürger – einer Frau, die gemeinsam mit ihrem Partner Louis Bürger endlich ihr Leben in den Griff bekommen möchte, dann aber in einen Gefängnis-Fluchtversuch und eine Geiselnahme verwickelt wird (hier geht’s zum Trailer).
Wie war es für dich, Anna Bürger zu spielen?
Es war sehr intuitiv und körperlich extrem anstrengend. Und es war sehr augenöffnend.
In welcher Hinsicht?
Anna Bürger ist eine Frau, die ganz jung, mit 16 Jahren, Mutter geworden ist. Sie hat jetzt ihren 12-jährigen Sohn und ist mit ihrer Jugendliebe verheiratet. Sie ist eine robuste und gutgläubige Frau, die viel Kraft aufwenden muss, um das zu erreichen, was sie möchte. Mit intuitiv meine ich, dass Anna sehr viel aus ihrem Bauchgefühl heraus macht. Man kann sich manchmal beispielsweise nicht erklären, warum man jemanden verteidigt, obwohl alle gegen diese Person sind – und genauso intuitiv habe ich sie auch zu spielen versucht. Physisch war es sehr anstrengend, weil die Geschichte einen Fluchtversuch und eine ungewollte Geiselnahme beinhaltet, und das alles im Hochsommer. Und augenöffnend, weil ich einerseits Seiten einer Person kennengelernt habe, die ich auch habe und ich andererseits nicht weiß, ob ich eine Anna Bürger in meinem Leben so einfach kennenlernen würde, da sie in einem ganz anderen Umfeld lebt.
Welche Seite von Anna Bürger hast du auch an dir?
Den Gerechtigkeitssinn.
Wie kommt man zu einer solchen Rolle im Tatort?
Über meine Agentin habe ich eine Anfrage von der Casterin Iris Baumüller bekommen, ein E-Casting für die Rolle der Anna Bürger für den Tatort zu machen. Dann habe ich drei Szenen geschickt bekommen, die ich gespielt und per Video aufgenommen habe. Diese Videos werden dann an die Regie, die Casterin und Produktion geschickt. Damit kam ich in die engere Auswahl und wurde zum Life-Casting eingeladen. Dort habe ich dann mit zwei Schauspielern, die für die Rolle von Louis Bürger in Frage kamen, meinem Ehemann im Tatort, ein Konstellationscasting gehabt. Zusammen mit dem Regisseur Stephan Lacant haben wir dann gemeinsam an den Szenen gearbeitet. Eines dieser Castings hatte ich mit Max Riemelt, der die Rolle dann seinerseits bekommen hat. Und dann ging alles ganz schnell: Eine Woche später habe ich die Zusage bekommen und drei Wochen später ging es dann mit der Produktion los. So wie es beim Tatort war, funktionieren die meisten Casting-Prozesse.
„Ich bin sehr selbstkritisch und würde manchmal am liebsten nochmal in den Film hineinspringen.“
Was war das für eine Erfahrung, eine Hauptrolle in einem Tatort zu spielen?
Wenn ich jetzt so daran zurückdenke, dann war das alles schon aufregend. Zehn Tage nach der Zusage haben wir uns zum Drehbuchlesen und Proben getroffen. Es ging alles sehr schnell und war eine unglaublich schöne Arbeit. Wir haben mehr als vier Wochen in Dresden gedreht, einer wunderschönen Stadt. Es war Hochsommer und der Dreh war ein unglaublicher Ritt: Wir haben bei dieser sommerlichen Hitze so viel gedreht und so intensive Tage gehabt, dass es ans Eingemachte ging. Es war sehr anstrengend, sehr intensiv und hat sehr viel Spaß gemacht – und ich habe viel für mich dazugelernt.
Du hast deinen Tatort bereits gesehen. Wie war es für dich, einen Film zu sehen, an dem du so intensiv gearbeitet hast?
Den fertigen Film zu sehen ist auf jeden Fall immer wieder sehr komisch. Nicht unangenehm, aber sehr, sehr befremdlich. Ich bin sehr selbstkritisch und würde manchmal am liebsten nochmal in den Film hineinspringen – auch wenn ja eigentlich alles passt. Das ist dann mein Perfektionismus. Aber ich freue mich jetzt bereits, dass der Film am Sonntag im Fernsehen läuft und ihn viele sehen können. Es ist ein guter Streifen geworden. Ich bin schon sehr gespannt, wie er ankommt und was die Leute davon halten.
Wolltest du schon immer Schauspielerin werden?
Obwohl ich in meiner Jugend viel Spaß am Schauspiel hatte, habe ich es irgendwann nicht mehr aktiv weiterverfolgt. Es ist für mich nie eine Option gewesen, weil ich es in meinem Umfeld nie als Beruf kennengelernt hatte. Nach meiner Matura bin ich nach Berlin gezogen, habe Geotechnologie und Mathematik studiert und habe da an der Volksbühne in Berlin wieder angefangen, Theater zu spielen. Dadurch habe ich sehr viele Leute in meinem Alter kennengelernt, die sich auf Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen vorbereiteten.
Vorher war mir nie wirklich bewusst, dass ich das machen könnte. Den Wunsch hatte ich zwar bereits im Hinterkopf, vielleicht aber ohne mich zu trauen, ihn laut auszusprechen. Und eines Tages habe ich mich dazu entschieden mich auch an den Schauspielschulen zu bewerben. Und so bin ich ins Schauspiel irgendwie reingerutscht. Irgendwann hat es geklappt, und ich habe einen Studienplatz an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock bekommen. Seitdem hatte ich auch viel Glück: dass ich in diesem Bereich arbeiten darf, am Theater sein kann, Filme drehen darf.
Du spielst sowohl Theater als auch in Filmen. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeitsweise?
Es sind zwei gänzlich unterschiedliche Welten. Was sie verbindet, ist, dass sie Geschichten erzählen und Bilder zeichnen. Aber von der Arbeitsweise her sind es völlig verschiedene Welten. Am Theater ist das Wunderschöne, dass man für sechs Wochen jeden Tag probt, zusammensitzt, spielt und diskutiert. Und irgendwann, nach diesen sechs Wochen, hat man ein Ergebnis. Das haut man dann raus und man weiß überhaupt nicht, was bei der Premiere passieren wird – aber auch nicht, was bei der zweiten, dritten oder vierten Vorstellung passieren wird. Das hängt vom Publikum ab, und deshalb wird es jedes Mal anders. Im Film bereitet man sich hingegen allein auf den Dreh vor. Das, was man sonst im Theater hat, hat man dann erst am Set. Es sind also verschiedene Herangehensweisen, Medien und Arbeitsweisen. Und auch das Publikum und die Erreichbarkeit unterscheidet sich voneinander. Ich möchte niemals in die Situation kommen, mich zwischen den beiden entscheiden zu müssen.
Den fertigen Film zu sehen ist auf jeden Fall immer wieder sehr komisch. Nicht unangenehm, aber sehr, sehr befremdlich.
An welchen Projekten arbeitest du zurzeit?
Zurzeit sind Produktionen sowohl am Theater als auch im Film eingefroren. Ich hätte gerade eigentlich einen Dreh für den Diplomfilm eines Regieabsolventen der Ludwigsburger Filmhochschule. Der Dreh wurde von der Filmhochschule am Tag vor Drehbeginn auf unabsehbare Zeit verschoben.
Ist die derzeitige Situation durch die Corona-Pandemie für dich eine Herausforderung?
Für uns Künstler und Künstlerinnen bedeutet die Situation gerade, dass wir viel umdenken müssen. Der soziale, menschliche und direkte Kontakt sind das A und O beim Spielen, auf der Bühne und am Set. Weil die vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten werden können, sind sehr viele Produktionen eingefroren worden. Niemand weiß, wann wieder Bedingungen herrschen, in denen man normal an Theater- oder Filmproduktionen arbeiten kann.
Aber in so einer Branche ist man ohnehin gewöhnt, mal kreativ zu werden, wenn etwas nicht so läuft, wie es geplant war. Es gibt beispielsweise viele Filme, die in einer einzigen Wohnung oder Location mit kleinstem Team gedreht worden sind, ohne Corona-Limitierung. Es gibt Online-Theaterprojekte, und zwar schon seit Längerem. Vielleicht kann Corona einen Schub an Kreativität bringen. Aber natürlich bedeutet es erstmal einen großen Einschnitt für uns alle.
War der Tatort bisher dein größtes Projekt? Du hast ja auch vor Kurzem in einem italienischen Kinofilm mitgespielt.
Für mich war der Tatort bisher die größte Herausforderung und Rolle. Ich habe vorher auch bei Fernseh- und Filmproduktionen mitgewirkt. Beispielweise auch beim italienischen Kinofilm, den du ansprichst: „Il ladro di giorni“ ist vor zwei Monaten in den italienischen Kinos erschienen. Da habe ich eine kleinere Rolle gespielt. Aber der Umfang der Rolle war beim Tatort bisher das Herausforderndste für mich.
Du spielst auf Italienisch und Deutsch, aber auch Englisch und Spanisch. In welcher Sprache spielst du am liebsten?
Ich habe da keine Präferenzen. Ich muss gar nicht in meinen Muttersprachen Deutsch oder Italienisch oder den sonstigen Sprachen, die ich spreche, spielen. Das macht für mich keinen Unterschied. Ich lerne auch gerne neue Sprachen. Ich nehme sehr viel auf, besonders Dialekte. Meine Muttersprache ist ja eigentlich Hochdeutsch, weil meine Mutter aus Hamburg stammt. Den Südtiroler Dialekt habe ich erst im Kindergarten/Schule gelernt, als wir nach Südtirol gezogen sind. Und als ich in Rostock gelebt habe, habe ich angefangen, den Mecklenburger Dialekt anzunehmen – und in Dresden, ein bisschen zu sächseln.
Du lebst ja jetzt schon einige Jahre in Deutschland. Wie ist heute dein Verhältnis zu Südtirol?
Ich bin sehr dankbar, im Umfeld aufgewachsen zu sein, das mir Südtirol geboten hat. Zum einen wegen der fantastischen Natur. Die habe ich erst so richtig schätzen gelernt, als ich weggezogen bin – so wie viele Südtiroler und Südtirolerinnen. Der Ausblick auf die Dolomiten ist doch deutlich schöner als die nächste graue Hauswand vor dem Fenster. Und zum anderen hat mich die Südtiroler Mentalität geprägt, obwohl meine Eltern keine Südtiroler sind. Dieser Mix aus Deutsch und Italienisch in Südtirol, und zeitgleich die Tatsache, gar keine richtige Südtirolerin zu sein, war eine besondere Erfahrung. Und das, obwohl ich den Rittner Dialekt spreche, den dann wiederum meine Eltern schwer verstanden haben. Ich war immer wieder mal exotisch – in Italien die Deutsche, in Deutschland irgendwie die Italienerin.
Und ich denke, dass das nicht nur sprachlich jedem viel gibt, darüber nachzudenken, was man denn für eine Identität hat. Ich war aber auch sehr froh, weggezogen zu sein. Denn auch, wenn Südtirol ein extrem gutes kulturelles Angebot hat – ich musste einfach raus aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Und das ist auch total gut so. Und während ich anfangs immer noch gerne wieder gefahren bin, wenn ich mal zuhause war, muss ich sagen, dass sich das langsam ändert: In der Kunst- und Kulturszene ist in den letzten paar Jahren viel passiert; spannende Künstler und Künstlerinnen ziehen bewusst wieder nach Südtirol zurück, um die Szene weiterzuentwickeln. Mal sehen, was die Zukunft bringt.
Der Tatort „Die Zeit ist gekommen“ wird am Sonntag, 05. April, um 20:15 im ARD gezeigt.
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