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„Guten Morgen, Freunde, i bin heit schun im Tattoostudio. I nimm enk wieder mit und zoag enk amoll, wos bei mir heit olls so afn Programm steat!“ Mit kupferrotem, langem Haar und einem Funkeln in den Augen begrüßt Maria Egger täglich ihre fast 6.000 Follower:innen in einer Instastory auf ihrem Account „tattoosbymarypoppinks“. Das Besondere an der Tätowiererin: Sie ist mit ihren 21 Jahren Südtirols wahrscheinlich jüngste Tattoostudio-Besitzerin. Das macht mich als Tattoo-Närrin und Feministin natürlich neugierig. Was bewegt eine so junge Frau dazu, sich selbstständig zu machen – und ausgerechnet in einer so umstrittenen Branche? Ich beschließe Maria in ihrem Studio in Bozen einen Besuch abzustatten – und ihr Können mal hautnah unter die Lupe zu nehmen … und das meine ich wortwörtlich.
Ich bin in diese Branche regelrecht „reingeflogen“.
Maria EggerEine Woche vor unserem Termin scrolle ich mich auf Pinterest durch meine – seit mehr als zwei Jahren auf Eis gelegten – Tattoowünsche und werde schnell fündig. Ich beschließe auf meinem rechten Arm, den schon so einige Tattoos zieren, mit einem Alice-in-Wonderland-Motiv weiterzumachen und schicke Maria meine Idee via DM zu.
Ein paar Tage später mache ich mich auf den Weg in die Bozner Industriezone. Maria Eggers Studio ist dort im oberen Stock einer Spielhalle untergebracht. Ein schlichtes Studio, ohne übermäßigem Schnickschnack, in elegantem Gold und tiefem Schwarz gehalten.
Die Jenesierin hat sich hier ihr eigenes kleines Reich geschaffen, in dem sie kreativ sein und mit Menschen in Kontakt treten kann. Hier kann sie „ihr Ding durchziehen“ – und lässt sich dabei nicht beirren. „Man spürt den Konkurrenzkampf in der Branche. Es gibt zwar auch einen konstruktiven Austausch, aber viele Tätowierer:innen gönnen einem nicht den Erfolg.“ Den hat Maria auf jeden Fall: Sie ist bis Mitte Sommer komplett ausgebucht. Das liegt nicht nur an ihrem Ehrgeiz, sondern auch an ihrer fine-line-Technik, auf die sie sich spezialisiert hat und die momentan bei sehr vielen Leuten, vor allem Frauen, sehr gut ankommt. „Am Anfang wollte ich Realistic Tattoos machen, aber die Nachfrage nach fine line war einfach groß – und ich habe gemerkt, dass das auch genau meins ist – und vielleicht auch nicht jede:r kann.“
No risk, no business!
Für Maria Egger ist die Arbeit in ihrem eigenen Studio der erste Job als Tätowiererin überhaupt, erzählt sie. Vorher habe sie im Gastgewerbe und als Friseurin gejobbt. Als sie von ihrem damaligen Tätowierer vor drei Jahren eine Maschine in die Hand gedrückt bekommt, wird ihr Feuer entfacht: Das erste Mal versucht sie sich an einer Orange, dann auf Kunsthaut. „Kunsthaut ist nicht vergleichbar mit richtiger Haut, das Üben darauf eignet sich nur deshalb, weil man die Nadelführung etwas erproben kann.“ Über YouTube-Tutorials eignet sich die damals 18-Jährige das Handwerk an. Eine Freundin, die ebenfalls als Tätowiererin arbeitet, gibt Maria zusätzliche Tipps. Schließlich beginnt Maria an sich selbst Tattoos zu stechen – und einige ihrer Freunde stellen sich als „Versuchskaninchen“ zur Verfügung.
In London macht Maria eine Kurzausbildung zur Tätowiererin, dann hat sie eigentlich vor, als Praktikantin in einem Bozner Tattoostudio anzufangen – wie es als Anfänger:in üblich ist. „Dort sollte ich aber wieder ganz von vorne anfangen – und hätte nicht stechen dürfen, weder im Studio noch daheim. Das ist eigentlich normal in dem Sektor.“ Der jungen Frau aus Jenesien ist schnell klar, dass sie diesen Weg nicht einschlagen möchte: Denn sie weiß, was sie kann und was sie will. Und sie möchte: tätowieren. Nachdem sie sich beim Gesundheitssprengel als Tätowiererin befähigen lässt, eröffnet sie drei Monate später ihr eigenes Studio. Marias Eltern bekräftigen sie in ihrem Vorhaben, vor allem ihr Vater. Dass Tätowiererin ein Beruf ist, den nicht unbedingt jede:r Zweite ausübt, ist ihm dabei egal. Und dass Maria damit auch neugierig macht, ist ihr vollkommen bewusst – und es hat den Eindruck, als würde sie das auch ein wenig genießen. Sie spürt die Blicke, sei es die, die sie bewundern, als auch die kritischen, die sie wegen ihrer Tätigkeit und wegen ihrer eigenen Tattoos zugeworfen bekommt. „Ich bekomme generell positiven Zuspruch, auch was meine eigenen Tattoos anbelangt. Meine 94-jährige Oma sagt immer zu mir: Zeig mal, was du Neues hast!“
Von schlaflosen Nächten und Lieblingsmotiven
Bei den ersten Kund:innen war Maria ganz schön nervös, verrät sie. „Manchmal konnte ich die Nacht vorher kaum schlafen, so aufgeregt war ich.“ Mittlerweile ist sie routiniert, setzt Tattoos auf Wunsch um, entwirft Konzepttattoos, „bastelt“ also aus mehreren Motiven ein großes Tattoo, und quatscht ganz selbstverständlich mit den Leuten über dieses und jenes.
Als ich mit 17 mein erstes Tattoo habe stechen lassen, habe ich mich wie eine Nummer gefühlt. Das wünsche ich mir für meine Kund:innen anders.
Maria tätowiert auch bei anderen nur das, von dem sie selbst auch überzeugt ist und sagt es gerade heraus, wenn ihr ein Motiv mal nicht zusagt. Tribals oder Motive mit zwielichtiger Bedeutung setzt sie nicht um. Am liebsten sticht sie Tier-Schädel und Schriften, Arm und Brustkorb sind ihre liebsten Körperstellen zum Tätowieren. Auch mein Motiv findet seinen Platz auf der Innenseite meines rechten Unterarms. Maria hat es bereits im Vorfeld auf dem IPad vorgezeichnet und druckt es nun in unterschiedlichen Größen aus.
Mit viel Geduld sucht sie mit mir gemeinsam die ideale Position des Motivs – immerhin soll es sich perfekt zwischen meinen anderen schon vorhandenen Tattoos einbetten. „Das Geduldig-Sein ist etwas, das ich mir erst aneignen musste“, verrät sie mir lächelnd, „aber der Job hilft mir dabei, ruhiger zu werden.“ Wir haben den Platz gefunden – ich lege mich hin und Maria macht Musik an. „Was hörst du gerne?“, fragt sie mich und weil ich verschiedene Musikgenres mag, entscheidet Maria: Softrock. Während sie bis jetzt sehr viel geplaudert hat, wird die 21–Jährige nun sehr ruhig und konzentriert. Maria beginnt zu tätowieren. Auf dem Arm sind die Schmerzen locker auszuhalten, das weiß ich. Also lehne ich mich entspannt zurück, lausche dem vertrauten „Bsss“ der Tätowiernadel und dem leisen Singen und Summen von Maria, die sofort in einen Flow kommt.
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Das Drink-me-Fläschchen und der Eat-me-Keks schmücken nun fein säuberlich gestochen meinen Unterarm. Ich bin zufrieden – und auch Maria freut sich über das Resultat. Sie schätzt das Vertrauen, das ihr die Leute entgegenbringen. Dass sie ihr ein Stück ihrer Haut anvertrauen, macht die Jungunternehmerin stolz und glücklich. Immerhin tragen sie ein Leben lang Marias Kunst am Körper. So wie ich nun auch.
Bilder und Video: Julia Inderst
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