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Christian* ist 35 und unterrichtet Englisch an einer Oberschule. Er beantwortet uns die Fragen, die wir unseren Lehrern schon immer stellen wollten.
Hattest du Angst an deinem ersten Schultag als Lehrer?
Angst nein, aber ich war wahnsinnig aufgeregt. Vor allem, weil einige meiner ehemaligen Lehrer meine neuen Kollegen waren. Da war mir etwas mulmig zumute. Vor die Schüler zu treten war am Anfang total komisch. Ich wusste nicht so recht, wie ich mit ihnen umgehen sollte, weil ich selbst noch sehr jung war. Ich war 28 und wusste nicht, ob ich mir Respekt verschaffen würde. Letztendlich respektieren mich die Schüler aber, wenn ich nicht über sie hinweg, sondern mit ihnen entscheide. Meiner Erfahrung nach haben die Schüler kein Problem damit, wenn ich die Richtung vorgebe. Das ist für sie in Ordnung, solange sie Entscheidungen nachvollziehen können. So hat das eigentlich immer gut geklappt.
Was machst du, wenn Schüler dich etwas fragen und du keine Ahnung hast?
In den ersten Jahren bin ich da richtig nervös geworden, mit Schweißausbrüchen, Stottern und so. Halbwahrheiten oder Lügen bringen gar nichts, da es in den meisten Klassen sehr gute Schüler gibt, die das sofort entlarven.
Du bist ein junger, sportlicher Lehrer. Wie gehst du mit Flirtversuchen von Schülerinnen um?
Ich bekomme schon den einen oder anderen Blick zugeworfen. Auf so etwas darf ich nicht eingehen. Wenn ich neben der Bank einer Schülerin stehe, um ihr etwas zu erklären, darf ich sie auch auf keinen Fall aus Versehen berühren. Als Lehrer muss man einen professionellen Abstand bewahren.
Gab es noch nie mehr als einen Flirt?
Einmal ist mir etwas Heftiges passiert. Es war in einer zweiten Klasse der Oberschule. Da wurde eine Schülerin mit sehr großer Oberweite und sehr tiefem Ausschnitt von der Klasse dazu angestachelt, mich dazu zu bringen, eine Schularbeit zu verschieben. Als ich mich von der Tafel umdrehte, zog sie plötzlich T-Shirt und BH nach oben, legte ihre Brust direkt vor mir auf die Bank, blinzelte zweimal und fragte, ob ich die Schularbeit verschieben könne. Ich habe versucht, ihr so professionell wie möglich in die Augen zu schauen, habe „Nein“ gesagt und mit dem Unterricht weitergemacht. Im Nachhinein war ich perplex. Das alles in einer zweiten Klasse! Diese Selbsterniedrigung des Mädchens hat mich schockiert.
Was sind die blödesten Ausreden von Schülern, die etwas nicht machen wollen?
Kopfweh. Dagegen hilft schließlich Aspirin. Und Grippe, die komischerweise immer nachmittags ausbricht. Mein Arzt hat mir gesagt, die Grippe kommt drei Tage lang und geht drei Tage lang, die dauert nicht nur einen Nachmittag. Aber was soll ich machen? Die Eltern entschuldigen die Fehlstunden ja mit einer Unterschrift. Ob die dann echt ist oder nicht, will ich nicht kontrollieren. Irgendwo muss ich eine Grenze ziehen. Ich bin Lehrer, kein Polizist.
Was war das Schlimmste, was du je zu einem Schüler gesagt hast?
Ein Schüler hatte öfters den Unterricht gestört. Als er zum Lüften ein kleines Fenster öffnete, ist mir rausgerutscht, er solle lieber ein großes öffnen, durch das er durchpasst. Ich habe sofort bereut, dass ich das gesagt habe, und mich auf Knien entschuldigt. Es sollte ein Witz sein und ist mir spontan rausgerutscht, aber im Nachhinein war das natürlich gar nicht witzig. Ich bereue es noch heute. Dass sich ein Schüler aus dem Fenster stürzen soll, darf ich als Lehrer nicht sagen und es ist kein Spaß. Zuerst war der Schüler beleidigt, hat dann aber meine Entschuldigung akzeptiert. Der Rest der Klasse hat diese Geschichte wochenlang immer wieder hervorgeholt, aber der betroffene Schüler hat es nicht mehr erwähnt und mir tatsächlich verziehen.
Jetzt mal ganz ehrlich, spielt Sympathie bei der Notengebung eine Rolle?
Ja, sicher. Aber unbewusst. Speziell am Schulende kommt es schon vor, dass ich bei einer Zwischennote eher mal ein Auge zudrücke.
Was ist der größte Blödsinn, den du selbst als Schüler angestellt hast?
In der Maturaklasse habe ich mit Mitschülern während einer Doppelstunde Italienisch das Schulgebäude verlassen und Wein gekauft, ihn in Mineralwasserflaschen umgefüllt und während der restlichen Stunde getrunken. Nachdem ein Schüler dann raus ist, um sich zu übergeben, und ein anderer angefangen hat, sehr laut zu reden, hat die Lehrerin Verdacht geschöpft und gefragt: „Ma siete ubriachi?“ Aber sonst ist uns nichts passiert, abgesehen von den Kopfschmerzen am nächsten Tag.
*Namen geändert
Interview: Janine Oberhofer
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