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Es war auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, und Michael Hofer sollte sich ein Thema für seine Masterarbeit überlegen. Er beobachtete, wie seine Freunde Jobs annahmen, die nichts mit ihrer Leidenschaft Musik und Kunst zu tun hatten, weil sie sich ihren Lebensunterhalt finanzieren mussten. Und er beobachtete, dass immer mehr junge, aber auch ältere Leute von ihrem Einkommen nicht mehr leben konnten. Und da war immer wieder die Rede vom bedingungslosen Grundeinkommen, einem Geldbetrag, der jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft individuell ausgezahlt wird – ohne Bedingungen. Ihn faszinierte diese Idee. Doch wie viele stellte auch er sich die Frage, ob diese vermeintliche Utopie eigentlich finanzierbar wäre – und nahm dies zum Anlass, eine Finanzierungsmöglichkeit für Südtirol durchzurechnen, als Abschlussarbeit für seinen Master in „Lokaler Entwicklung“ („Analisi e politiche dello sviluppo locale e regionale” ) in Florenz.
Michael, zu welchem Schluss bist du gekommen: Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar?
Ja, prinzipiell wäre es durchaus finanzierbar. Zu diesem Schluss bin nicht nur ich in meiner Arbeit gekommen, sondern auch viele Studien und mehrere Wirtschafts-Nobelpreisträger, die sich mit dieser Idee beschäftigt haben. Sie klingt im ersten Moment zwar sehr realitätsfremd, aber sie ist nicht nur finanzierbar, sondern würde viele Probleme unserer Zeit schlagartig lösen: Während meiner Studienzeit wurde das bedingungslose Grundeinkommen als möglicher Ausweg aus der Wirtschaftskrise gesehen. Und als ein revolutionäres Konzept, das unsere gesamte Gesellschaft nachhaltig verändern kann und soziale Ungleichheit, Armut und die Prekarisierung (beschreibt die stetige Zunahme von Arbeitsplätzen mit zu geringer Einkommenssicherheit; Anm. d. Red ) der Arbeitswelt mit einem Mal weitgehend abschaffen würde.
Aber woher würde das Geld dafür kommen?
Es gibt verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten. Auf alle Fälle wäre eine drastische Umverteilung der Steuerlast und des Reichtums nötig. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, es über die Mehrwertsteuer zu finanzieren. Weil es sich damit leichter simulieren ließ, habe ich den Berechnungen meiner Arbeit aber die Einkommenssteuer zugrunde gelegt: Dabei bin ich von einer flat tax ausgegangen, also einem Steuersatz, der für alle Arten und Klassen von Einkommen gilt und immer gleich hoch ist: sei es für Personen, Körperschaften, Unternehmens- oder Kapitalerträge. Momentan liegt die Steuerlast hauptsächlich auf Lohneinkommen und betrieblichen Gewinnen, obwohl auf das gesamte BIP gerechnet die Kapitaleinkommen immer stärker zunehmen. Diese Kapitaleinkommen wiederum sind derzeit sehr gering besteuert, nur mit etwa 10 bis 20 Prozent, während wir beim Lohneinkommen von durchschnittlich 30 Prozent Besteuerung sprechen, zuzüglich der Sozialbeiträge. Hier würde also zum Beispiel eine Umverteilung stattfinden. Führt man eine solche flat tax ein, sinkt klarerweise auch die Komplexität des Steuersystems extrem.
„Alle Sozialleistungen, wie wir sie jetzt kennen, würden abgeschafft, was zu einer unglaublichen bürokratischen Entlastung führen würde. Die Bürokratie würde auf ein Minimum reduziert.”
Es würden also sowohl das Steuersystem als auch das Sozialsystem vereinfacht werden – alles würde durch das Grundeinkommen ersetzt.
Genau, auch das ist die Idee hinter dem Grundeinkommen. Alle Sozialleistungen, wie wir sie jetzt kennen, würden abgeschafft, was zu einer unglaublichen bürokratischen Entlastung führen würde. Die Bürokratie würde auf ein Minimum reduziert. Das hätte auch einen finanziellen Vorteil, da diese Verwaltungs-Maschinerie, die hinter unserem Sozialsystem steckt, selbst viele Ressourcen verschlingt. In Südtirol, habe ich ausgerechnet, würde man durch eine Abschaffung der bestehenden Sozialleistungen jährlich um die 50 Millionen Euro einsparen – das bedingungslose Grundeinkommen würde allerdings momentan um die 2,2 Milliarden Euro kosten, wenn Erwachsene monatlich 600 Euro und Kinder 200 Euro bekommen würden. Der Bürokratieabbau und die Abschaffung des Sozialsystems sind also nur ein kleiner Teil des Ganzen, der große Rest würde über die flat tax finanziert, die sicher an die 50 Prozent betragen müsste. Umso niedriger würden also die Nettolöhne ausfallen.
Durch den Bürokratieabbau würden aber viele Arbeitsplätze verloren gehen.
Das stimmt. Aber hier wirken zwei Mechanismen: Zum einen geht man davon aus, dass sowieso nicht alle Leute weiterhin arbeiten gehen würden. Und dass viele, die arbeiten gehen würden, wahrscheinlich weniger Stunden machen würden, was heute schon die generelle Tendenz ist. Also wird es allein deshalb schon weniger Arbeitsplätze brauchen. Zum anderen ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auch die Antwort auf die Frage, wie wir den Verlust an Arbeitsplätzen durch die Technologisierung kompensieren können, ohne dass Armut und Kaufkraftverlust immer weiter steigen: Durch das Grundeinkommen ist der Lebensunterhalt der Leute garantiert. Wer zusätzlich Geld verdienen will, kann arbeiten, so viel er möchte – auch nur wenige Stunden pro Woche. Und dadurch, dass die Steuerlast durch die flat tax von den Lohnabhängigen auf die Produktionsmittel umgeschichtet wird, wird der Betrieb immer gleich besteuert, egal wie viele Mitarbeiter er anstellt. Zudem hätten die Leute immer Geld, was wiederum einen Vorteil für die Betriebe bedeutet.
Damit das System aber tatsächlich funktioniert, müssen genügend Leute weiterhin arbeiten gehen.
Ja, das ist tatsächlich ein Punkt, bei dem ich schon immer skeptisch war. Bei dieser Frage sieht man die unterschiedlichen Menschenbilder der Befürworter und Gegner des Grundeinkommens: Die Gegner gehen davon aus, dass der Mensch von Natur aus faul ist und er den Zwang braucht, um arbeiten zu gehen. Die Befürworter sagen hingegen, dass dem nicht so ist, dass der Mensch durch das System nur dazu erzogen wird. Südtirol wäre in dieser Hinsicht ein interessantes Versuchsfeld, weil es bei uns sehr viel Bereitschaft zum Ehrenamt gibt, was ja die These der Befürworter unterstützt. Die Befürworter sagen, dass Menschen sehr wohl auch andere Motivationen haben, arbeiten zu gehen und Leistung zu erbringen: soziale Kontakte, Anerkennung, Selbstverwirklichung, Hilfsbereitschaft, Inspiration. Und um dieses Potential frei entfalten zu können, ist der Arbeitsmarkt, wie wir ihn jetzt haben, hinderlich. Die Leute wären kreativer und freier, das zu machen, was ihnen gefällt, weil sie den ständigen Druck nicht mehr hätten, ihr Leben finanzieren zu müssen. Die Arbeit, die wir jetzt haben, ist immer an den Lebensunterhalt gekoppelt: Ich arbeite in erster Linie, um mich und meine Familie zu versorgen. Die Befürworter gehen davon aus, dass diese Entkoppelung viele neue Möglichkeiten und Entwicklungen mit sich bringen würde und letztlich die Produktivität der Menschen sogar noch steigern würde.
„Die Leute könnten flexibel sein, ohne Angst haben zu müssen, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. Auch die Erziehung von Kindern oder Pflege der Eltern würde endlich finanziell entlohnt.”
In welchen Arbeitsbereichen wäre das beispielsweise von Vorteil?
Als erstes fällt einem natürlich die Kulturszene ein, da sich mehr Leute trauen würden, Musik, Theater oder Malerei zumindest ein paar Jahre lang zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen. Aber auch alle anderen freiberuflichen Arbeitsfelder, wo wir heute Projektverträge und prekäre Arbeitsverhältnisse haben, würden einen Aufschwung erleben: Die Leute könnten flexibel sein, ohne Angst haben zu müssen, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. Sie könnten Weiterbildungen besuchen, studieren – das wird alles unterstützt. Auch die Erziehung von Kindern oder Pflege der Eltern würde endlich finanziell entlohnt.
Kritiker des Grundeinkommens fürchten, dass das bedingungslose Grundeinkommen zu hohen Immigrationsraten führt.
Ja, das nennt sich „Welfare ”-Tourismus und ist ein weiteres Argument, welches immer schnell vorgebracht wird: Dann kommt ja die ganze Welt zu uns! Aber das halte ich eigentlich für kein so großes Problem, weil man bestimmte Einschränkungen einführen kann. Die Definition ist, dass jede Person einer politischen Gemeinschaft Anrecht auf das Grundeinkommen hat, und um Teil einer politischen Gemeinschaft zu sein, gibt es ja auch heute schon Auflagen wie beispielsweise fünf Jahre Ansässigkeit.
„Diese Idee ist umso idealer, je großflächiger sie umgesetzt wird.”
Würde dadurch aber nicht eine Zweiklassengesellschaft entstehen, in der Einwanderer diese „Wartezeit“ mit Jobs überbrücken müssten, für die man durch das Grundeinkommen keine Bewerber mehr fände?
Das könnte passieren. Man könnte es zwar abschwächen und zum Beispiel das Grundeinkommen für Einwanderer schrittweise, nach Ansässigkeitsdauer einführen. Aber es ist natürlich so: Diese Idee ist umso idealer, je großflächiger sie umgesetzt wird. Am besten auf der ganzen Welt, auch wenn das leider wenig realistisch ist. Vorstellbar wäre aber auch die Europäische Union.
Siehst du politisch das Potential, dass das Grundeinkommen nicht nur eine Utopie bleibt und irgendwann eingeführt wird?
Rein verfassungsrechtlich gesehen bräuchte es eine totale finanzielle sowie sozialpolitische Autonomie und Steuerhoheit, weshalb es Südtirol, wie ich es in meiner Masterarbeit simuliert habe, nicht alleine umsetzen könnte. Aber einer der Gründe, warum das Grundeinkommen politisch so viel Potential hat, liegt meiner Meinung nach darin, dass man sowohl im linken als auch im rechtsliberalen politischen Lager dafür Unterstützer findet, weil es von vielen als gute Kombination aus Kapitalismus und Kommunismus gesehen wird. Ob das bedingungslose Grundeinkommen dann tatsächlich eingeführt wird, liegt an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Für die Umsetzung kommt es wie bei allem auf den richtigen Zeitpunkt an. Ich persönlich glaube, dass wir noch ein bisschen darauf warten sollten. Vor allem müsste man es schrittweise einführen.
Zum Abschluss habe ich noch eine letzte Frage: Was würdest du tun, wenn du ab nächstem Monat ein Grundeinkommen von 1000 Euro bekommen würdest?
Ich würde definitiv mehr Zeit mit meiner jungen Familie verbringen, also mit meiner Tochter und meiner Freundin. Ich würde etwas weniger arbeiten und mich künstlerisch mehr betätigen. Aber ich würde auf jeden Fall trotzdem arbeiten gehen, es braucht für mich das Gleichgewicht.
Wer sich Michaels Berechnungen genauer anschauen möchte, kann hier in seine Masterarbeit reinlesen: Michael Hofer – Masterarbeit.pdf
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