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Wer sich an die letzte EU-Parlamentswahl erinnert, kennt ihren Namen noch. 2019 kandidierte Judith Kienzl hochschwanger für die Liste „Europa Verde“ und erzielte beachtliche 5.000 Vorzugsstimmen. Dennoch: Die italienischen Grünen konnten die 4-Prozent-Hürde damals nicht erreichen und so zog Judith Kienzl mit ihrer Familie von Bozen nicht nach Brüssel, sondern auf den Ritten. Auf dem Hochplateau will sie bald in die nachhaltige Landwirtschaft einsteigen und kandidiert zudem für die Gemeinderatswahlen.
Rock im Ring, Südtirols größtes Open-Air-Konzert, findet am Ritten statt. Ist der Ritten besonders jugendfreundlich?
Ich finde nicht, dass man sagen kann, dass der Ritten besonders jugendfreundlich oder aufgeschlossen für Jugendkultur ist, weil hier mit Rock im Ring das größte Rock-Festival Südtirols stattfindet. Eher würde ich sagen, es gibt Menschen am Ritten, die sich für Jugendkultur und alternative Kultur interessieren und sich auf gut Deutsch den Arsch aufreißen, damit solche Events stattfinden können. Das ist nur mit Einsatz, Engagement und vielen ehrenamtlich geleisteten Stunden möglich. Mehrere aus unserer Gruppe sind selbst Kulturschaffende oder haben Bezug zur Jugend- und Kulturarbeit. Mehr Sichtbarkeit und Unterstützung auch für alternative Kulturprojekte sind uns daher ein großes Anliegen.
Dass es Kulturschaffende auch am Ritten schwer haben, merkte man unter anderem am jährlichen Kampf um „Miracle Hill“. Müsste es in ländlichen Gebieten nicht eigentlich einfacher sein, freie Flächen zur Verfügung zu stellen als in einer zugebauten Stadt?
Ja, das stimmt. Natürlich gäbe es theoretisch mehr freie Flächen. Aber zum einen braucht es ja auch Infrastruktur. Ein Festival auf der grünen Wiese zu organisieren ist viel aufwändiger als zum Beispiel auf einem Sportplatz. Zum anderen hat es auch mit einer grundsätzlichen Akzeptanz vonseiten der Gemeindeverwaltung zu tun. Wo ein Wille ist, gibt es meist auch einen Weg und wo kein Wille ist, findet man hundert Hindernisse. Zum Beispiel habe ich im Sarntal mitgeholfen, das „Rock in Dusty Valley“-Festival zu organisieren. Es fand auf einem Sportplatz etwas außerhalb des Dorfes statt und natürlich fanden sich zwei, drei Anrainer, die sich gestört fühlten. Daraufhin hat die Gemeinde jedes Jahr aufs Neue die Auflagen verschärft, Uhrzeiten für Livemusik gekürzt, Ausschank von Superalkohol verboten, Anzahl an Security-Personal erhöht usw. Im Vergleich dazu findet der Sarner Kirchtag alljährlich auf einer Wiese sehr viel näher am Dorf statt und mit Sicherheit fühlen sich auch da zwei, drei Anrainer gestört. Aber es wird mit zweierlei Maß gemessen.
Wo kein Wille ist, findet man hundert Hindernisse.
Die Grünen wollen sich am Ritten für ein zentrales, professionell geführtes Jugend- und Kulturzentrum am Ritten einsetzen. Wie würde das dazu beitragen, jungen Menschen mehr Raum zu verschaffen?
Ein solches Zentrum wäre zuallererst ein geschützter Ort, an dem sich junge Menschen ohne Konsumzwang treffen können und bei Bedarf von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine niedrigschwellige Erstberatung zu jugendrelevanten Themen bekommen. Durch die professionelle Führung wäre Kontinuität gewährleistet. Als zweiten wichtigen Punkt könnte ein Jugend- und Kulturzentrum eine Bühne bieten für unterschiedlichste kulturelle Veranstaltungen, vor allem für junge Kultur. Gerade am Ritten mit seinen relativ entfernten Dörfern könnte ein zentraler Treffpunkt die Jugendlichen näher zusammenbringen. Jugendtreffs sind immer Orte, an denen junge Menschen sich ausprobieren können und die nötige Begleitung bekommen. Wir wünschen uns so einen Ort auch für den Ritten.
Gibt es in dieser Hinsicht Vorreiter bzw. Vorbilder in Südtirol?
Jeder Ort hat seine individuelle Realität, aber das Jugend- und Kulturzentrum „Point“ in Neumarkt gefällt mir beispielsweise gut, auch, weil es versucht, die deutsche und italienische Sprachgruppe zu inkludieren. Hier ist in meinen Augen in Südtirol noch Luft nach oben, angefangen bei der Tatsache, dass es getrennte Landesämter gibt. Aber das betrifft jetzt mehr die Landespolitik und weniger die Gemeindeebene. Ich habe mich bei den Landtagswahlen schon für die Zusammenlegung der Ämter ausgesprochen. Ansonsten gefällt mir das Projekt „Astra“ in Brixen gut, allerdings fehlt da der Aspekt der Jugendarbeit. Als Ort der Begegnung finde ich den „Garten der Begegnung“ in Auer cool, der sich nicht nur an Jugendliche, sondern an alle Mitglieder der Gesellschaft wendet und auch auf dem Gebiet alternativer Landwirtschaft Vorreiter ist – ein Thema, das mir auch sehr am Herzen liegt. In vielen Bereichen Vorreiter und einzigartig in Südtirol ist auch der „Ost West Club“ in Meran. Aber wie gesagt, jede Gemeinde ist einzigartig und der Ritten, als ländliche Gemeinde im Gegensatz zu den genannten, müsste sich hier wohl selbst ein passendes Konzept erarbeiten, idealerweise in einem partizipativen Prozess mit den Jugendlichen gemeinsam. Wichtig ist mir auch zu erwähnen, dass die bereits geleistete Arbeit vom Jugenddienst nicht ersetzt, sondern ergänzt werden soll.
Die Grünen wollen am Ritten auch einen Ort der Begegnung zwischen Jung und Alt schaffen. Was ist damit gemeint?
Ja, das wäre doch toll, wenn unterschiedliche Generationen sich begegnen, voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen könnten. Natürlich treffen sich Menschen unterschiedlichen Alters auch in der Bar oder als Mitglied in Vereinen. Aber hier ist etwas anderes gemeint. Ein solcher Ort müsste niedrigschwellig und ohne Konsumzwang sein. „Defroid Wunderwald“ an der Freudpromenade in Klobenstein ist in gewisser Hinsicht schon so ein Ort. Ich würde mir aber mehr Sichtbarkeit, Akzeptanz und, wieso nicht, auch Unterstützung für so ein Projekt wünschen. Auch eine Zeitbank oder offene Werkstätten könnten interessante Ansätze sein. Etwas Inspirierendes habe ich auch mal über die bayrische Gemeinde Ainring gelesen. Dort soll es eine öffentliche Dorffeuerstelle geben. Ein Ort der Begegnug, des Gesprächs, des zwischenmenschlichen Zusammentreffens. Für Feuerholz sorgt die Gemeinde. Klingt auch super. Ich denke, Möglichkeiten würde es viele geben, wenn grundsätzlich der Wille da ist, alternative Formen der Begegnung zu unterstützen.
Es darf nicht sein, dass teuer sanierte Luxuswohnungen leer stehen, während viele Menschen keine Wohnung finden.
Ein Thema, das auch alle Generationen verbindet, ist leistbares Wohnen. Kann am Ritten in dieser Hinsicht etwas verbessert werden?
Leistbares Wohnen ist in den meisten Gemeinden in Südtirol ein Thema. Am Ritten ist Wohnen besonders teuer. Wir selbst haben über ein Jahr lang nach einer geeigneten Wohnung gesucht. Durch die Nähe zu Bozen, aber auch die lange Tradition der Zweitwohnsitze am Ritten, ist es für junge Familien und zum Beispiel für Jugendliche, die von zuhause ausziehen möchten, sehr schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Hier müsste die Politik unbedingt regulierend eingreifen und durch geeignete Maßnahmen den Markt etwas entschärfen. Interessant finde ich auch die Idee vom Generationenwohnen oder andere neue Formen des Wohnens.
Welche Möglichkeiten hätte da die Gemeindepolitik?
Bei diesem Thema bin ich leider keine Expertin, aber ich weiß, dass es Möglichkeiten und Ideen gibt. Eine Arbeitsgruppe der „Young Greens Southtyrol“ hat sich mit dem Thema beschäftigt und auch bei den letzten Landtagswahlen wurden konkrete Ideen vorgeschlagen. Es ging vor allem darum, Spekulationen entgegenzuwirken und Anreize zu schaffen, Wohnraum zu vermieten. Es darf nicht sein, dass teuer sanierte Luxuswohnungen leer stehen, während viele Menschen keine Wohnung finden.
Wie ist es um die Mobilität bestellt? Fühlen sich die Einheimischen auch in diesem Bereich im Vergleich zu den Touristenangeboten vernachlässigt?
Ja, vor allem in touristischen Hauptzeiten ist es für Einheimische oft schwierig, mit Zugele (Schmalspurbahn) und Seilbahn zu pendeln, da immer längere Wartezeiten eingeplant werden müssen. Deshalb fordern wir zum Beispiel Vorzug für Pendlerinnen und Pendler im öffentlichen Nahverkehr. Außerdem sollten für diese die Preise von Zug und Seilbahn an die Buspreise angepasst werden. Auch Verbindungen im Halbstundentakt würden das Pendeln erleichtern; nach Bozen oder auch in die Dörfer (Lengstein, Wangen, Oberinn…). Um den Individualverkehr zu verringern sollte auch verstärkt auf das Fahrrad gesetzt werden, nicht nur zur Freizeitbeschäftigung, sondern als alltägliches Verkehrsmittel.
Die Grünen sind generell eher als junge, moderne und urbane Partei bekannt. Wie will sie sich in ländlichen Gemeinden wie dem Ritten profilieren?
Unser Motto am Ritten ist es, mehr Farben in den Gemeinderat zu bringen. Es geht um mehr Vielfalt und darum, eine ehrliche, transparente Politik zu etablieren, die Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Ich denke, etwas mehr Pluralität tut auch den ländlichen Gemeinden ganz gut, und in Zeiten von Fridays for Future und Klimawandel hat gerade grüne Politik klare und konkrete Antworten auf die dringenden Fragen. Das betrifft nicht nur die Städte, sondern alle Gemeinden. Politik muss wieder auf die Menschen hören und durch Bürgerbeteiligung und Transparenz das Interesse an gemeindepolitischen Themen fördern. Wir haben am Ritten ein tolles Team, sowohl Kandidatinnen und Kandidaten als auch Menschen, die im Hintergrund mitarbeiten. Dass in mehreren kleineren Gemeinden wie in Neumarkt, Auer, Eppan, Kaltern oder Vahrn grüne und grünnahe Listen sehr gut aufgestellt sind, zeigt doch, dass grüne Politik nicht nur in den Städten funktioniert.
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