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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 04.04.2014
LeuteZeitgesichter

Gegen den Strom

Veröffentlicht
am 04.04.2014
Ein Leben mit der Natur: Kurt Hans von Wohlgemuth ist wohl die skurrilste Persönlichkeit, die das Überetsch zu bieten hat.
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Mahlzeit

Fährt man die Weinstraße entlang, fällt einem spätestens an der Abzweigung zu St. Pauls etwas Ungewöhnliches auf. Auf der rechten Straßenseite sticht ein großer Olivenhain unter den ganzen Weinreben hervor. Dieser gehört Kurt Hans von Wohlgemuth. Der 69-jährige Eppaner hat sein Leben dem Aussteigerdasein gewidmet und würde nie mehr umkehren.

Der Weg mit der Natur

Rausgeschmissen vom Stiefvater, entscheidet sich der Eppaner schon bald für ein Leben in den Weingütern. Doch irgendwo muss das Geld zum Leben ja her. So beginnt Kurt, in verschiedensten Orten im In-und Ausland auf Bauernhöfen zu arbeiten. In der Schule sei er nie „etwas Wert gewesen“, sagt er, denn nach der Arbeit im Stall oder auf dem Feld sei die Schulbank nur zum Ausrasten gut gewesen. „Ich musste sowieso immer in der hintersten Reihe auf der Eselsbank sitzen. Die Lehrer fanden mich nur gut zum Holz holen, um die Klasse zu heizen.“ Später bearbeitet er mit seiner Mutter die Felder der Familie. Doch schon bald hat Kurt die ganzen Pestizide satt und fängt an umzudenken. Er will nicht dabei zusehen, wie Bienen und andere Tiere seinetwegen elend zugrunde gehen. Also entscheidet er sich für einen alternativen Weg. Den Weg mit der Natur. Er steigt aus.

Barfuß auf Abwegen

Erst im Jahre 2002 erbt Kurt endgültig das Weingut, auf dem er schon länger lebt. Sein Haus hat er verkauft. „Sechzig Jahre lang war ich vorher der Untertan dieser Gesellschaft", klagt er. Als er anfängt von seiner Welt zu erzählen, leuchten seine blauen Augen plötzlich heller als vorher. Er spricht von einem neuen System, das er entwickelt. Naturnähe sei dabei das oberste Prinzip, nach dem er lebe. Auf seinem Hügel züchtet er Regenwürmer, zieht alles ohne Spritzmittel und Kunstdünger auf. Leute bringen ihm Pflanzen, die sonst im Müll landen würden. Kurt gibt ihnen auf seinem Feld eine zweite Chance. Hierbei unterstützt ihn auch das Prinzip der Permakultur.
Nun lebt er mit seinen vier Katzen auf dem Hügel unter St. Pauls. Als das Interview beginnt, stellt er mir seine „Muschis" gleich vor. Die folgen ihm aufs Wort und tanzen alle an, als er sie ruft.
Als er da so sitzt und seine Katzen beobachtet, erzählt er, dass ihm die Winterstiefel jetzt langsam zu heiß werden. Als er sie auszieht, um den Sommer einzuläuten, präsentiert er mir seine natürliche Heizung für den Winter. Dicke Heuballen zieht er aus den Winterstiefeln. Diese schützen ihn, als Sohlen umfunktioniert, im Winter vor jeder Kälte.
Voller Stolz führt er mich gleich darauf barfuß durch seine persönlichen „vier Wände“. Lässt mich Kräuter probieren, zeigt mir Blumen aller Art und verrät, dass seine Lieblingsblume die königliche Orchidee sei. Er erzählt mir, dass er jeden Tag einen Baum pflanze. Das habe er von Martin Luther gelernt, der einst sagte: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ So macht es auch Kurt, denn man weiß ja nie, wann es mit uns zu Ende geht. Seinen Lebensabend will er auf alle Fälle auf seinem Hügel verbringen. „Von hier will ich nie mehr fort, bis ich sterbe nicht." Vor dem Tod hat er aber keine Angst. Denn alles sei ein Kreislauf in der Natur.

Alles Glück kommt von …

Ernesto

Auf die Frage hin, ob er denn nun mit seinem neuen Leben glücklich sei antwortet Kurt mit einer Gegenfrage. „Was heißt denn glücklich sein?“ Also formuliere ich um. „Bist du zufrieden mit dem, was du machst?“. „Ja“, antwortet er, „wenn mich keiner beim Mittagsschlaf stört schon, da werd ich nämlich fuchsteufelswild“, er lacht laut auf. „Wenn ich abends in meinem Bunker oben liege und mir denke, was ich am Tag alles geleistet habe, da bin ich zufrieden. Und außerdem hält mein Leben hier jung.“ Und schon zückt der 69-Jährige seinen Hut und sprintet los, um mir seine Fitness zu beweisen. Vorbei an Olivenbäumen, Kräutern, frisch blühenden Bäumen und Blumen. Und einem seiner Untermieter.

Ernesto Lombardo ist einer der neun Hobbygärtner, die ein Stück Land auf Kurts Hain haben. Der Aussteiger hilft ihnen zur richtigen Zeit das Richtige zu pflanzen und übernimmt die Pflege und das Gießen, wenn die Leute nicht da sind. „Ho poco tempo e Kurti mi da una mano. È una collaborazione perfetta“, schwärmt der Bozner, dem in der Stadt der eigene Garten fehlt. Dafür, dass er ein Stück Land bei Kurt haben kann, bringt Ernesto ab und an eines von Kurts Lieblingsgerichten mit. Bäuerlich kann es ihm nie genug sein. „Bauerngerichte sind mir die liebsten. Knödel, Gulasch, Saure Suppe, Polenta oder einen Strudel mag ich besonders gerne. Auch wenn der von der Mama immer der unersetzlich beste bleiben wird.“
Stolz zeigt mir Ernesto seine frisch geernteten Spargeln und den Topinambur, während Kurt spöttisch aus dem Hintergrund ruft: „Der telefoniert sogar während dem Jäten, verrückt geht die Welt zugrund."

Der Wetterkurt

Kurt als Regenmacher

Einen Sprint wie gerade eben legt Kurt auch hin, wenn er ein paar Regenwolken vertreiben soll. Im Dorf ist Kurt nämlich dafür bekannt, dass er den Regen steuern kann. Wenn sich alljährlich während den Weinkulturwochen Jung und Alt zur festlichen Tafel durch die Gassen von St. Pauls treffen, ist der Kurt auch nicht weit. Mit einer riesigen Sonnenblume in der Hand sprintet er durch die Paulsner Hehl hinauf ins Dorf. Dabei steige warme Luft auf, die dann die Regenwolken vertreibe. Geregnet hat es während der festlichen Tafel wirklich noch nie. „Nach dem Sprint muss man nur cool bleiben und abwarten, dann verzieht sich der Regen schon“, lacht er.

Himmeldonnerwetternomal

Bevor sich Kurt auf seinem Stück Land sesshaft gemacht hat, lebte er zeitweise in Bayern. Da draußen sei alles noch viel freier. „Man kann richtig fluchen, es gibt Freudenhäuser und alles ist nicht so scheinheilig wie bei uns“, schwärmt er.
Auto, Handy und sonstigen Luxus besitzt Kurt nun nicht mehr. Er schläft in einer Hütte, die er seinen Bunker nennt und wenn es kälter wird, packt er sich wie ein Eskimo ein und kuschelt mit seinen Katzen. Er träumt von begrünten Dächern und einer besseren Welt. Einer Welt, in der die Leute noch an Veränderung glauben und daran festhalten. Einer Welt, in der man die Natur schätzt, mit ihr lebt und frei ist. So wie er. Wenn er nämlich auf allen vieren seine Pflanzen versorgt, bringt ihn nichts mehr aus der Ruhe. „Die Energie zwischen mir und der Erde stimmt einfach“, erklärt Kurt und grinst zufrieden.

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