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Noch nie sei eine EU-Parlamentswahl so wichtig gewesen. Der gebürtige Girlaner Markus Warasin muss es wissen: Er arbeitet im Kabinett des EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani (Europäische Volkspartei/Forza Italia). Dort unterstützt er den Präsidenten bei seiner täglichen Arbeit, bereitet Sitzungen vor, organisiert Zusammenkünfte und wirkt auch mal als Berater. Im Interview spricht er über die Herausforderungen seines Jobs und erklärt, warum der Lauf der Geschichte jetzt von den EU-Bürgern abhängt.
Markus, hast du den EU-Roman „Die Hauptstadt” von Robert Menasse gelesen?
Nicht nur: mit Menasse bin ich auch persönlich befreundet. Als er hier im März 2017 in Brüssel war, um an den Feierlichkeiten „60 Jahre Römische Verträge“ teilzunehmen, haben wir uns des Öfteren ausgetauscht. Ich bin ja selbst studierter Germanist und deshalb weiß ich sehr gut, dass Literaten einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Welt haben. Gerne vereinfachen und überspitzen sie die Wirklichkeit. Auch Menasse hat die EU auf eine literarische Art und Weise beschrieben.
Die Arbeit von EU-Beamten wie dir bezeichnet Menasse als „Knochenjob“. Hat er damit recht?
Unter den Beamten findet man alles Mögliche. Von denen, die sich für ihren Job aufreiben, bis hin zu jenen, die ein ruhiges, unaufgeregtes Beamtenleben fristen. Es gibt Spezialisten, Pragmatiker und Idealisten: Da betrachtet jeder seine Tätigkeit durch eine ganz eigene Brille. Ich persönlich bin eher dem Typus des Idealisten zuzurechnen, auch wenn ich die EU nicht unhinterfragt unterstütze, sondern immer wieder überlege, wofür genau ich gerade arbeite.
Welche Rolle spielen bei dieser Arbeit deine persönlichen Überzeugungen? Vor einigen Wochen behauptete dein Chef Antonio Tajani zum Beispiel, Mussolini hätte auch gute Dinge getan.
Der Faschismus war ein totalitäres Unterdrückungssystem und muss verurteilt werden. Einzelne erfolgreiche Infrastrukturprojekte hervorzuheben, das trägt nur dazu bei, den Faschismus als Ganzes in ein gutes Licht zu rücken, und das ist nicht akzeptabel. Umso weniger, wenn man eine Institution wie die EU repräsentiert. Da ich Antonio Tajani persönlich kenne, kann ich bezeugen, dass ihm der Faschismus in Wirklichkeit sehr fernliegt. Er ist ein typischer Christdemokrat. Natürlich ist es sehr bedenklich, wenn er in seiner Position derart unüberlegte Äußerungen tätigt. In solchen Fällen agieren wir aus dem Kabinett auch als Berater und besprechen die Angelegenheit mit dem Präsidenten. Für seine Aussage hat Tajani sich schließlich entschuldigt.
Mit den EU-Wahlen wird auch der Parlamentspräsident ausgewechselt. Wie wird sich dein Joballtag dadurch verändern?
Meine Zeit im Kabinett des Parlamentspräsidenten ist ein Pit Stop, der auf die Amtszeit Tajanis beschränkt ist. Nach den EU-Wahlen wird wahrscheinlich der Spitzenkandidat der stärksten Partei (nach Umfragen ist das die EVP mit dem Spitzenkandidaten Manfred Weber, Anm. d. Red.) zum neuen Präsidenten der EU-Kommission. Das Amt des Präsidenten des EU-Parlaments könnte dann im Gegenzug an den Kandidaten der Sozialdemokraten gehen. Ich jedenfalls werde wahrscheinlich unabhängig davon wieder in den Beamtendienst zurückkehren und einen Ausschuss leiten, wie ich dies bereits im Bereich „Frauenrechte und Gleichberechtigung“ getan habe.
„Ein drittes Lager von EU-Gegnern wird nun immer größer und wird wahrscheinlich bis zu einem Drittel der Sitze einnehmen. Deswegen ist es jetzt entscheidend, aufzustehen und die eigene Stimme abzugeben.”
Zu verschiedenen Gelegenheiten hast du diese Wahl die wichtigste EU-Wahl in der Geschichte des EU-Parlaments genannt. Warum?
Dem Parlament kommen immer mehr Kompetenzen zu, allein dadurch haben die Wähler größeren Einfluss. Vor allem aber befindet sich Europa an einer Weggabelung. Egal, wer in den letzten dreißig Jahren in nationalen Regierungen an der Macht war, ob Thatcher, Schröder, Berlusconi oder Macron: Die EU hat sich doch stetig weiterentwickelt, weil beide Lager die europäische Integration unterstützen. Doch nun wird ein drittes Lager von EU-Gegnern immer größer und wird wahrscheinlich bis zu einem Drittel der Sitze einnehmen. Deswegen ist es jetzt entscheidend, aufzustehen und die eigene Stimme abzugeben. Denken wir an den Brexit: Der war nur möglich, weil viele EU-Befürworter zu Hause geblieben sind.
Besonders viele EU-Feinde sitzen in osteuropäischen Ländern in der Regierung. War die EU-Osterweiterung vor genau 15 Jahren ein Fehler?
Ich finde, dass man solche Fragen nicht aus der Gegenwart, sondern aus der damaligen Perspektive beurteilen sollte. Den ehemaligen Sowjetstaaten die Hand zu reichen und sie in das europäische Einigungsprojekt hereinzuholen, ist eine große und wichtige Geste gewesen. Der Druck aus Brüssel, der nun in den einzelnen Staaten verspürt wird, ruft natürlich auch Widerstand hervor. Doch darauf muss man jetzt, in der Gegenwart, Lösungen finden.
Ein immer größeres Thema ist die Wahlbeeinflussung durch Trolle und Hacker. Wie geht man damit in der EU um?
Sicher wird auch die EU-Wahl zur Zielscheibe diverser solcher Beeinflussungsversuche werden. Die Frage ist, wie sehr diese tatsächlich ins Gewicht fallen. Seitens der Kommission wurden bereits einige Initiativen gestartet, um sich gegen Angriffe zu wappnen. Aber ich bin skeptisch, ob man da wirklich viel dagegen unternehmen kann.
Eine effektivere Methode der Beeinflussung ist klassischer, handfester Lobbyismus. Du warst auch einmal Lobbyist, und zwar für eine NGO, die sich für Sprachminderheiten einsetzt. Zwei Drittel der 25.000 Lobbyisten in Europa vertreten jedoch Unternehmensinteressen. Ist das für EU-Kritiker nicht ein gefundenes Fressen?
Man muss da sehr differenzieren. Grundsätzlich beleben Lobbyisten den demokratischen Prozess, indem sie die Politiker mit verschiedensten Perspektiven beliefern. Geht es beispielsweise um den Klimawandel, so begegnet man als EU-Parlamentarier Vertretern der Atomkraftindustrie genauso wie Vertretern von erneuerbaren Energien. Der verantwortungsvolle Politiker bedient sich dann der verschiedenen Sichtweisen, um eine ausgewogene Entscheidung zu treffen. Es ist also meistens so, dass die Politik die Lobbyisten instrumentalisiert, und nicht umgekehrt.
Beim Stichwort „Lobby“ fallen einem vor allem Konzernschergen ein, die mit allen Mitteln versuchen, die Profitinteressen ihres Unternehmens durchzuboxen – auch auf Kosten des Gemeinwohls. Das ist dir also noch nicht begegnet?
Nicht direkt. Aber das ist in der EU-Kommission, wo Gesetzesvorschläge erst auf den Weg gebracht werden, wohl ein größeres Thema als im EU-Parlament. Sehr brisant ist dabei aber die Rolle der Nationalstaaten: Sie setzen immer wieder die Interessen heimischer Industrien auf Kosten des restlichen Europas durch. So hat die deutsche Bundesregierung beispielsweise wichtige EU-Projekte wie wirksame Abgas-Tests und Initiativen gegen Steuerhinterziehung behindert. Mit einer stärkeren EU wäre das nicht so leicht möglich.
Vielen Dank für das Gespräch!
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