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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 30.01.2017
LeuteProstitution in Indien

Erzwungen

Veröffentlicht
am 30.01.2017
Die Organisation „Rescue Foundation“ kämpft gegen Zwangsprostitution minderjähriger Mädchen in Indien. Der Südtiroler David Comploj erzählt, wie ihnen geholfen wird.
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Mädchen in einem Bordell in Indien.

Indien ist ein Land, das mit einem hohen Maß an Sexualverbrechen zu kämpfen hat: Laut Statistik wird alle 15 Minuten eine Frau vergewaltigt, die Dunkelziffer dürfte jedoch viel höher sein. Das Auswärtige Amt rät allein reisenden Frauen zur Vorsicht, und auch David Comploj, der zurzeit in Mumbai lebt, sagt: „Indien ist ein komisches, verrücktes Land, ein wunderschönes Land. Aber wenn ich eine Tochter hätte, würde ich sie nicht alleine dorthin reisen lassen.“ Der Grödner arbeitet für die Organisation Rescue Foundation, die gegen die Zwangsprostitution kämpft. Bereits während seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Maastricht engagiert er sich für die „United Student Association“ und beschäftigt sich mit dem Thema Menschenhandel. Nach seinem Abschluss will er sich die Situation in Indien selbst ansehen.

Du kämpfst als Freiwilliger bei der Organisation Rescue Foundation gegen Menschenhandel. Was macht ihr konkret?
Wir versuchen Mädchen, die zur Prostitution gezwungen werden, aus den Fängen der Zuhälter zu befreien. Dafür haben wir eigene Ermittler in der Organisation, die sich auf die Suche nach minderjährigen Mädchen in Bordellen machen. Im letzten Rettungseinsatz haben unsere Ermittler 67 Mädchen aus einem Bordellkomplex befreien können, eines davon war gerade einmal neun Jahre alt. Seit der Gründung der Organisation waren es insgesamt 7.000 Mädchen, die gerettet werden konnten.

Wie kommen die Mädchen in die Bordelle?
Die meisten Mädchen werden entweder entführt oder mit Versprechen in die großen Städte wie Mumbai und Delhi gelockt. Meist wird ihnen Arbeit oder eine Ehe versprochen. Stattdessen werden sie dann an Bordelle verkauft. Es ist zwar illegal, minderjährige Mädchen in Bordellen zu beschäftigen, aber sie sind sehr gefragt, weil sie jung und gesund sind. Unsere Ermittler suchen diese Mädchen in den Bordellen, manchmal bekommen sie konkrete Tipps von Kunden. Aber auch wenn wir wissen, dass sich im Bordell minderjährige Prostituierte befinden, ist es oft schwierig, sie zu finden. Die Zuhälter wissen ja, dass wir nach den Mädchen suchen, weshalb es in den meisten Bordellen eigene Luken gibt, in die die Mädchen bei Kontrollen reingedrückt und wo sie versteckt werden – und wehe, die machen dann einen Mucks!

David Comploj

Was geschieht, wenn die Ermittler die Mädchen finden?
Wenn wir Mädchen gefunden haben, fordern wir die Polizei auf, sie rauszuholen. Bei der Razzia werden die Mädchen dann rausgeholt und die Zuhälter verhaftet. Bei bereits volljährigen Mädchen ist es manchmal schwierig, sie da rauszuholen, da sie oft einer Gehirnwäsche unterzogen worden sind. Außerdem halten die Zuhälter das verdiente Geld zurück, sodass sie alles verlieren würden, wenn sie gehen.

Wohin kommen die Mädchen, wenn sie aus den Bordellen befreit worden sind?
Es gibt einen bestimmten Zeitraum, in dem sie in Obhut sind, das heißt in Heimen unserer Organisation unterkommen. In diesem Zeitraum sollten sie rehabilitiert werden, wenn man das so nennen kann. Das ist eigentlich die Hauptaufgabe unserer Organisation, und ich befinde mich auch gerade hier in einem dieser Häuser in Mumbai. Insgesamt haben wir drei solcher Häuser, das vierte wird gerade gebaut, und in jedem befinden sich momentan circa hundert Mädchen. Sie bekommen einen Schlafplatz, Essen, Schulbildung oder besuchen Weiterbildungskurse. Heftig ist, dass wir sogar die Häuser, in denen sie wohnen, bewachen lassen müssen, da die Entführer und Zuhälter die Mädchen immer wieder zurückholen oder auch einschüchtern wollen, damit sie bei der Polizei nichts aussagen.

In den Heimen werden die Mädchen verpflegt, bekommen einen Schlafplatz und Schulbildung.

Ist das Stigma gegenüber den Frauen groß – auch wenn sie entführt und dazu gezwungen worden sind?
Es ist extrem. Das Schlimme ist eigentlich, dass die, die entführt worden sind, dafür beschuldigt werden! Dafür, dass sie entführt worden sind, aber auch, dass sie sich prostituiert haben. Aber sie haben ja keine andere Wahl, denn wenn sie sich weigern, werden sie zusammengeschlagen und auf brutalste Art und Weise dazu gezwungen. Das interessiert ihre Familien aber oft nicht. Sie sehen nur: Oh, sie ist eine Prostituierte, eine Schande, die wollen wir nicht mehr zurückhaben. Das ist nicht immer so, gilt aber besonders dann, wenn die Mädchen aus kleinen Dörfern kommen, wo es alle wissen. Das ist auch einer der Gründe, warum viele nicht vor Gericht aussagen wollen: So würde es zu öffentlich und das ganze Dorf wüsste Bescheid. Das ist ja das Schlimme: Wenn sie aussagen, schaden sie sich selbst, und noch dazu werden die Schuldigen oft nicht verurteilt. Aber das ändert sich langsam, es geschieht etwas.

Was passiert mit ihnen, wenn die Familien sie nicht mehr zurücknehmen?
Manche der Mädchen heiraten, gerade hatten wir vier Hochzeiten, weil der Dezember Heiratszeit ist. Ehen sind in Indien etwas sehr Wichtiges, weil über die Hochzeit eine Frau Teil der Familie des Mannes wird: Du hast dann die Sicherheit, finanziell abgesichert zu sein. Viele Mädchen sind natürlich traumatisiert und wollen vom Heiraten nichts mehr wissen, und deshalb ist es wichtig, ihnen die Möglichkeit zu bieten, auf eigenen Beinen zu stehen. Da sie bei unserer Organisation auch Ausbildungen machen können, können die meisten das auch irgendwann.

„Das Schlimme ist eigentlich, dass die, die entführt worden sind, dafür beschuldigt werden! Dafür, dass sie entführt worden sind, aber auch, dass sie sich prostituiert haben.“

Was genau ist deine Aufgabe als Freiwilliger?
Ich arbeite in der Rechtsabteilung der Organisation mit einem Anwalt zusammen. Es gibt in Indien eine komplizierte Gesetzeslage. Bei den Razzien, bei denen Mädchen gerettet werden, muss man sich an ganz genaue Regeln halten, damit im Anschluss ein Gerichtsprozess möglich ist. Das Problem in Indien ist nämlich, dass die Zuhälter verhaftet werden, es Gerichtsverfahren gibt, sie am Ende aber nicht verurteilt werden, weil in vielen Fällen die Beweise fehlen oder die Polizei – oft bewusst – etwas falsch gemacht hat. Außerdem arbeite ich in einem Bereich mit, wo es darum geht, die Polizei für das Thema zu sensibilisieren. Beispielsweise hatten wir jetzt den Fall, dass gegen die Menschenhändler, die ja die Hauptschuldigen sind, einfach nichts unternommen worden ist. Indien besteht aus 29 Staaten, und die Zuständigkeiten werden oft hin und her geschoben. Wir versuchen die Polizei durch Gerichtsurteile dazu zu bringen, etwas zu tun. Meistens bringt das auch etwas.

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