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„Wie jetzt, nur DJ?“ Diese verblüffte Bemerkung von Bekannten hat Verena Senn alias ENA in den vergangenen Monaten einige Male gehört, als sie Fragen nach ihrer aktuellen Tätigkeit beantwortete. Sie erklärt sich das so: „Die Menschen können sich unter meinem Beruf nur schwer etwas vorstellen und sehen nicht die viele Arbeit, die hinter den Auftritten und Produktionen steckt. Aber ich erzähle gerne davon.“ Dabei hat tatsächlich alles als Hobby angefangen, mit einer winzigen zusammengesparten Konsole, mit kleinen Auftritten in Sterzing und Umgebung. Ein Bekannter, selbst DJ, hatte ihr damals gezeigt, wie sich mit einem sogenannten Mixer aus verschiedenen Musikstücken und Effekten harmonische Übergänge und individuelle Musikkombinationen kreieren lassen und worauf es ankommt, wenn man die Menge zum Feiern motivieren will. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dieser Passion Verenas Beruf.
Vom Klavier auf die Kanzel
ENA, so lautete immer schon Verenas Spitzname, entdeckte schon in jungen Jahren die Musik für sich, als sie Klavier- und Schlagzeugunterricht bekam. Als Mittelschülerin gründete sie mit Freunden eine Band. Nach der Matura liebäugelte sie mit einem Psychologiestudium oder einer Laufbahn als Fitnesstrainerin. Schließlich verschlug es sie in die Tourismusbranche, wo sie in den vergangenen Jahren im Marketing tätig war. Ihre Leidenschaft für elektronische Musik wurde auf den großen Festivals in Mitteleuropa entfacht, wo sie die pulsierende Energie der Dancefloors erlebte und von renommierten DJs inspiriert wurde. Vorbilder wie die weltberühmte Belgierin Charlotte de Witte haben sie dazu ermutigt, ihren eigenen Weg in der Musikszene zu gehen. Nachdem sie jahrelang neben ihrem Bürojob an vielen Wochenenden und Abenden hinter den Turntables gestanden hatte, wagte sie 2023 den Schritt: Sie kündigte ihren Job, um sich voll und ganz ihrer DJ-Karriere zu widmen. Gestärkt durch ein professionelles Management gründete sie ihr eigenes Label Blacky Records, für das sie nun eigene Musikstücke produziert.
Disziplin und Muse
Verenas heutiger Tagesablauf ist reich an Aktivitäten und Verantwortlichkeiten. Auch wenn sie nachts oft spät nach Hause kommt, ist sie Frühaufsteherin geblieben. Morgens arbeitet sie meist an Musikstücken oder stellt Playlists für bevorstehende Auftritte zusammen. Das Equipment muss gepflegt und vor jedem Gig kontrolliert werden. „Die Technik ist manchmal mein einziger Feind“, sagt ENA und erzählt von ihrer letzten technischen Panne auf 2800 Metern. Ihre Konsole war mit einer Schneekatze transportiert und dabei beschädigt worden. „Dann muss man die Nerven bewahren und improvisieren“, weiß sie. Verenas Management-Team unterstützt sie bei der Koordination von Terminen, Verträgen und Bürokratischem. Auch Kommunikation und Social Media sind wichtig, um die Fanbase zu pflegen und neue Auftrittsmöglichkeiten zu erschließen. Zwischen diesen Aufgaben findet ENA Zeit für kreative Pausen, um neue Mixes zu erstellen oder an eigenen Produktionen zu arbeiten. Es ist ein intensiver Lebensstil, der wenig Zeit für Privates lässt. Ausgleich findet Verena bei langen Spaziergängen mit Hündin Blacky, der Namensgeberin ihres Labels.
Loops, Samples und Mixes
Wenn ENA hinter der Konsole steht, ist es, als würde sie ein komplexes Musikinstrument spielen: Mit schnellen Handbewegungen manipuliert sie die Tracks in Echtzeit, synchronisiert Beats und mischt Übergänge ineinander. Über das Setup aus Mixern, Decks und Controllern erstrecken sich verschiedenfarbig leuchtende Schaltflächen und Regler – jedes davon ein Werkzeug für die Gestaltung des Klanges. Die Monitore vor ihr zeigen Wellenformen und Werte. Durch präzises Verbinden und Anwenden von Effekten entsteht ein musikalischer Fluss. Verenas Finger tanzen über die Jogwheels, deren Name auf die Zeit zurückgeht, als noch Schallplatten auf ihnen lagen. Sie streut Samples ein und erstellt Loops – sich wiederholende Sequenzen. Zwischen den Stücken wählt sie die nächsten Titel aus ihrer Playlist aus, basierend auf der Stimmung und Reaktion des Publikums. „Musik auflegen, ist ein Balanceakt zwischen Technik, Kreativität und der Fähigkeit, die Stimmung der tanzenden Menge zu lesen“, resümiert die DJane.
Frauen mischen anders
Als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten, kann herausfordernd sein. Das hat ENA schon öfters erfahren. „Manchmal ich mich erst beweisen, bevor mich die meist männlichen Kollegen ernst nehmen“, erzählt sie. Vergangenen Herbst etwa war man ihr vor ihrem Auftritt vor einem großen Publikum mit mehreren tausend Gästen hinter der Bühne sehr skeptisch entgegengetreten. Sogar ihren Auftritt wollte man ohne Absprache nach Hinten schieben und kürzen. Irritiert sei sie damals gewesen, aber sie habe sich nichts anmerken lassen und einfach ihr Bestes gegeben. So kam es, dass einer von denen, die sie zuerst ignoriert hatte, sich während ihres Auftritts ein Mikro schnappte und sie voll des Lobes dem Publikum vorstellte, welches seine Begeisterung für ENA lautstark teilte. Im Nachhinein weiß Verena: „Diese Momente sind oft schwierig, aber sie ermöglichen mir, zu wachsen und selbstbewusster zu werden.“ Auch an weiblichen DJ-Vorbildern mangle es glücklicherweise längst nicht mehr.
Auf Welttournee im www
Über 50 Mal stand Verena im vergangenen Jahr hinter dem Mischpult auf der Bühne. Ihre Gigs führten sie nach Ibiza, Kalabrien, Österreich und als Resident DJane in die Skigebiete Sulden und Drei Zinnen. Über das Internet findet ihre Musik aber auch zu Menschen auf der ganzen Welt. So verzeichnet ihre jüngste Single „Unknown“ auf den Musikplattformen Soundcloud, Youtube und Spotify über 300.000 Aufrufe. Besonders viele Zugriffe auf ENAs House- und Techno-Klänge gibt es in Mittelamerika. „Das mag daran liegen, dass momentan die Festivalsaison in Amerika im vollen Gange ist“, munkelt die DJane. Auch ist die Szene dort sehr groß. Immerhin liegen die Anfänge von Techno und House in den Clubs von Detroit und Chicago. Die Musikrichtungen entstanden in den späten 1970er-Jahren als Reaktion auf die kommerzialisierte Popmusik jener Zeit. DJs und Produzenten begannen damit, elektronische Klänge zu erforschen und schufen so einen neuen Sound, der sich schnell auf der ganzen Welt verbreitete. Heute sind Techno und House aus der Musikszene nicht mehr wegzudenken und haben zahlreiche Subgenres hervorgebracht, die von Millionen von Menschen weltweit gefeiert werden.
Next Stop: Top 100
Anfang Februar dieses Jahres gab es für die DJane einen plötzlichen Wendepunkt, der eine große Chance für sie bedeuten könnte. ENA wurde von der internationalen Onlineplattform djanetop.com durch eine Jury in den Contest um die 100 besten DJanes weltweit aufgenommen – eine wichtige Plattform, auf der sich Talent Scouts und Booker umsehen, um neue Künstlerinnen zu finden und für Auftritte auf großen Festivals zu gewinnen. „Wir haben nicht damit gerechnet und sind stolz auf die Nominierung“, sagt Verena. Aktuell rangiert sie in Italien und Europa auf den vordersten Plätzen, aber der Weg ist noch weit: Bis November können Unterstützer:innen beim Online-Contest jeden Monat eine Stimme für sie abgeben. In der Zwischenzeit genießt Verena aber schon mal dieses Gefühl, dass ihr größter Traum so nah ist wie noch nie und wird weiterhin geduldig berichten, was sie die ganze Zeit so macht, wenn wieder jemand fragt: „Nur DJ?“. Solange bis es dann – vielleicht schon bald – alle um sie herum wissen.
Text: Lisa Frei
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