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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 14.08.2024
LeuteRegenbogenfamilien

„Eltern brauchen kein bestimmtes Geschlecht“

Veröffentlicht
am 14.08.2024
Sandra Steinegger, Claudia Zingerle und ihr Sohn sind eine Regenbogenfamilie. Das Paar über gesetzliche Hürden, künstliche Befruchtung und warum für sie der Nachname des Kleinen gesellschaftlich so viel Gewicht hat.
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Die 33-jährige Sandra Steinegger und die 32-jährige Claudia Zingerle aus Vahrn sind verheiratet und seit Februar 2023 Eltern eines kleinen Sohnes. Damit gehören sie zu den sogenannten Regenbogenfamilien – so nennt man Familien, in denen mindestens ein Elternteil homosexuell, bisexuell, transgeschlechtlich/intergeschlechtlich und/oder nichtbinär ist. Das Ehepaar ist im August bei der Summer School Südtirol, die in diesem Jahr das Thema „Geschlechterwerden“ aufgreift, mit dabei und erzählt dort von ihren persönlichen Erfahrungen. Mit BARFUSS haben Sandra und Claudia schon im Vorfeld über ihren Weg zur Regenbogenfamilie gesprochen.

Wann ist das erste Mal der Gedanke aufgekommen, dass ihr heiraten und Eltern werden möchtet?
Claudia: Beim ersten Treffen (lacht). Für mich waren beim Kennenlernen die wichtigsten Fragen, ob Sandra mal heiraten und Kinder will und ob sie immer in Südtirol bleiben möchte. Dass wir uns gegenseitig heiraten möchten, war dann relativ schnell klar.
Sandra: Ja, das hat schnell gepasst. Seit 2016 gibt es ja die eingetragene Partnerschaft, hier in Vahrn waren wir allerdings das erste gleichgeschlechtliche Paar. Die Gemeinde war bezüglich Hochzeit aber sehr offen und hat sich bemüht, die richtigen Formulare zu beschaffen und zu schauen, dass alles richtig abläuft, wie bei jeder heterosexuellen Hochzeit. 

Die Gesetzeslage in Italien für gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien ist schwierig.

Wie schwierig war der Weg zum eigenen Kind?
Sandra: Mit der Kinderplanung haben wir uns schon vor der Hochzeit beschäftigt und uns informiert. Wir sind beim Verein Regenbogenfamilien und haben dadurch schon einen kleinen Einblick bekommen. Dass wir in Italien keine künstliche Befruchtung machen dürfen, wussten wir schon, daher haben wir uns im Ausland informiert: in Spanien, Deutschland, Dänemark oder Österreich usw. Wir haben uns für Innsbruck entschieden – nicht nur, weil es nahe ist, sondern weil es dort auch relativ unkompliziert war.

Das heißt, es funktionierte dort alles reibungsfrei?
Sandra: Nicht ganz. Seit 1992 gibt es dort das Fertilitätsgesetz. Beide Partner:innen – egal ob bei hetero- oder homosexuellen Paaren – müssen bei einem Notar ihre Einverständnis geben zur künstlichen Befruchtung. 2015 wurde ein Artikel bezüglich gleichgeschlechtlicher Paare ergänzt. Wir mussten von Oktober 2021 bis März 2022 mit einem Notar um diesen Bescheid kämpfen, weil die Gesetzeslage in Italien für gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien einfach schwierig ist – das war auch schon vor Meloni so. Schlussendlich hat er es uns nach dem österreichischen Gesetz gemacht, aber mit dem Hinweis, dass er es für uns nicht noch einmal machen würde.

Wie ging es dann weiter?
Claudia: Das erste Gespräch in der Klinik hatten wir schon vor der Hochzeit. Dort rieten mir die Ärzt:innen, erstmal eine Operation wegen meiner Endometriose durchzuführen – vorher hätten sie keinen Befruchtungsversuch unternommen (Anmerkung der Red.: Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Betroffene haben gutartige, meist schmerzhafte Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, das außerhalb der Gebärmutterhöhle meist in benachbarten Organen und Geweben wächst. Endometriose hat Einfluss auf die Fruchtbarkeit und kann das Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft erhöhen. Im Rahmen der Kinderwunschtherapie durchgeführte Befruchtung kann die Krankheit zusätzliche Risiken mit sich bringen, zum Beispiel Eileiterschwangerschaften oder Fehlgeburten). Also musste ich auf einen Termin warten und die OP machen – dann ging es aber relativ schnell. Im Mai konnte ich mit den Hormonspritzen loslegen. Nach zwei Wochen sind die Eizellen gereift, diese wurden entnommen und befruchtet. Bei uns handelte es sich um eine IVF (In-vitro-Fertilisation), das heißt, der Samen wird über die Eizelle gestreut und er findet selbst den Weg hinein. Die befruchtete Eizelle wurde mir dann ein paar Tage später eingesetzt und wir hatten Glück: Es hat beim ersten Mal funktioniert. Im Februar 2023 ist der Kleine dann auf die Welt gekommen.

Meistens steht die Frage im Vordergrund, wer von uns das Kind ausgetragen hat – als ob das irgendeinen Unterschied machen würde.

Wie hat euer Umfeld auf die Schwangerschaft reagiert?
Claudia: Beide Familien haben sich sehr darüber gefreut, dass wir uns zu einem Kind entschieden haben. Auch bei unserer Arbeit haben alle sehr positiv reagiert, es war auch niemand überrascht oder so (lacht). Sandras damaliger Chef hat ihr damals sogar eine Woche Smartworking und zwei Wochen Urlaub genehmigt, als der Kleine auf die Welt kam – weil Elternzeit stand ihr ja eigentlich nicht zu.

Und wie waren die Reaktionen jener Leute, denen ihr nicht so nahe steht?
Claudia: Da stand meistens die Frage im Vordergrund, wer von uns das Kind ausgetragen hat – als ob das irgendeinen Unterschied machen würde.
Sandra: Dicht gefolgt von der Frage: „Wer ist bei euch der Papi?“ Aber das war vorher auch schon so, da wurde gefragt: „Wer ist bei euch der Mann?“

Habt ihr auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen: Adoption beispielsweise?
Sandra: Adoption ist für uns als gleichgeschlechtliches Paar in Italien nicht möglich. Was möglich wäre, sind Anvertrauungen. Aber für mich käme das nicht in Frage, weil es ja bedeuten kann, dass das Kind schon nach ein paar Jahren wieder wegkommt. Damit würde ich nicht zurechtkommen.
Claudia: Wir haben in unserem Bekanntenkreis zwei Freunde gefragt, ob sie uns ihren Samen schenken möchten, aber das haben sie verneint. Jetzt im Nachhinein bin ich froh darüber. Dadurch, dass wir das jetzt über eine Samenbank gemacht haben, sind wir rechtlich abgesichert. Der Spender hat kein Anrecht auf das Kind. Das wäre bei einem Bekannten nicht so.

Ist es für euren Sohn möglich, den Spender kennenzulernen?
Sandra: Ja, er hat mit 14 die Möglichkeit, zur Klinik zu gehen. In Österreich gibt es nur offene Spender, keine anonymen. Der offene Spender war für uns aber auch immer wichtig – unser Sohn soll die Möglichkeit haben, den Spender kennenzulernen, wenn er es möchte. Wir selbst kennen den Spender nicht.

Hat es noch weitere Schwierigkeiten gegeben?
Sandra: Ja, ich wurde nicht als zweites Elternteil eingetragen. Unser Bürgermeister ist diesbezüglich eigentlich sehr offen, aber im September 2022 hat die italienische Regierung die Gesetze noch verschärft und der Gemeindeverband, dem unser Bürgermeister als Präsident vorsteht, hat ein Rundschreiben bzw. eine Empfehlung rausgeschickt, dass man gleichgeschlechtliche Eltern nicht mehr eintragen sollte. Also hat er mich nicht als Elternteil eingetragen. Deshalb habe ich unseren Sohn adoptiert – damit ist er jetzt offiziell mein Kind und er kann auch bei meiner Familie Ansprüche geltend machen. Das wäre vorher nicht möglich gewesen – sie waren nicht offiziell Oma, Opa, Tante. Wäre Claudia vor der Adoption etwas passiert, wäre er nicht bei mir geblieben, sondern wäre zu ihren Eltern gekommen.

Was machen solche Gesetze und Gesetzesänderungen mit einem?
Claudia: Ich werde wütend und fühle mich hilflos. Es ist einfach lächerlich … Wenn eine Frau eines heterosexuellen Paares ein Kind austrägt, dann ist der Ehemann automatisch der Vater. Und wenn sie nicht verheiratet sind, dann muss der Mann einfach in die Gemeinde gehen und sagen: „So, i bin dor Tata.“ Basta. Da fragt auch keiner nach der DNA oder sonst was. Sandra aber wird nicht als zweites Elternteil eingetragen? Wieso können wir nicht einfach in die Gemeinde gehen und das machen? Da fühle ich mich richtig klein und machtlos.
Sandra: Ich sehe das alles sehr nüchtern. Es ist halt so. Ich komme nicht drumherum und habe mir gedacht: „Wenn ich will, dass er mein Sohn ist, dann muss ich ihn adoptieren.“ Das habe ich jetzt und darüber bin ich froh. Damit waren wir südtirolweit eine der ersten Familien und im Verein Regenbogenfamilien überhaupt die ersten. Dem Verein und auch seinen Jurist:innen fehlt da noch die Erfahrung, was das Thema betrifft – deswegen sind wir da jetzt Vorreiterinnen (lacht).

Dass ein Kind zwei Erziehungsberechtigte braucht, finde ich ok. Aber dass diese ein bestimmtes Geschlecht haben müssen, das sehe ich nicht ein.

Wie ging die Adoption vor sich?
Sandra: Meine Anwältin reichte das Ansuchen bei Gericht ein und das Gericht beauftragte die zentrale Adoptionsstelle Südtirol in Bozen. Dort waren die Menschen wirklich offen, hilfsbereit und freundlich und sie waren sehr bemüht darum, dass das Ganze einen positiven Abschluss findet. Es hat aber gedauert. Im Mai 2023, als der Kleine drei Monate alt war, haben wir den Antrag eingereicht, den ersten Termin hatten wir aber erst im November, weil sie vorher keine deutschsprachige Psychologin vor Ort hatten. Und da ich deutschsprachig bin, musste ich zu einer deutschsprachigen Psychologin (lacht). Dafür haben sie sich dann aber auch entschuldigt …

Was würdet ihr euch politisch denn wünschen?
Sandra: In erster Linie, dass das nicht leibliche Elternteil gleich anerkannt wird. Dabei geht es ja auch um das Kind …
Claudia: Genau, die lesbische Partnerin oder der schwule Partner sollte gleich schon als zweites Elternteil eingetragen sein. Dass ein Kind zwei Erziehungsberechtigte braucht, finde ich ok. Aber dass diese ein bestimmtes Geschlecht haben müssen, das sehe ich nicht ein. Meines Erachtens muss man das politische Problem bei der Wurzel anpacken. Für mich wäre es schön, wenn wir nicht ins Ausland gehen müssen, um eine künstliche Befruchtung zu machen. Warum ist das in Italien nicht erlaubt?

Die Leute sind es einfach nicht gewohnt, uns in der Öffentlichkeit zu sehen, weil sich immer noch so viele verstecken. Das ist das große Problem. Steh zu dem, was du bist – so lange du dich immer versteckst, wird dich nie jemand sehen. Das ist unsere Botschaft.

Und was wünscht ihr euch von der Gesellschaft?
Claudia: Es wäre schon toll, wenn es nicht mehr wichtig wäre, wer das Kind ausgetragen hat. Ich will, dass die Leute auch Sandra als Mama sehen und ihre Eltern als Oma und Opa. Es soll klar sein, dass es nicht mein, sondern unser Junge ist. Er wäre nicht so, er hätte diesen Charakter nicht, wenn nicht auch Sandra da wäre. Ohne sie wäre er gar nicht da. Sie war von Anfang an dabei: vor und bei der Befruchtung, psychisch, mental, organisatorisch usw. Auch wenn er nicht ihre Gene hat, ist er ihr Sohn. Es gibt ihn nur so, wie er ist, wegen Sandra. Deshalb trägt er ihren Nachnamen, dass die Leute auch darüber nachdenken müssen.
Sandra: Ich bin mit meiner Sexualität immer offen umgegangen und habe mich auch nie offiziell geoutet, sondern habe meine Freundinnen einfach mit heimgebracht (lacht). Wenn für mich etwas klar geht, dann zeige ich das einfach. Damit habe ich noch keine negativen Erfahrungen in meinem Leben gemacht. Aber natürlich merkt man oft die Blicke, wenn wir als Familie unterwegs sind, beim Wandern zum Beispiel. Durch mein androgynes Äußeres erscheine ich auf den ersten Blick – gerade mit einem Käppi auf dem Kopf – vielleicht wie ein Mann. Dann schauen die Leute genauer, erschrecken und schauen gar nicht mehr weg oder drehen sich um und schauen nochmal und oft gar nicht mehr weg.

Es muss nicht unbedingt einen Papa geben – es kann auch eine zweite Mama geben.

Wie reagiert ihr darauf?
Sandra: Ich frage, warum sie glotzen oder ob sie ein Foto haben wollen. Oder ich bleibe stehen und schaue sie auch an. Wir lachen darüber – was willst du auch tun? Die Leute sind es einfach nicht gewohnt, uns in der Öffentlichkeit zu sehen, weil sich immer noch so viele verstecken. Das ist das große Problem. Steh zu dem, was du bist – so lange du dich immer versteckst, wird dich nie jemand sehen. Das ist unsere Botschaft. Deshalb finden wir das mediale Interesse, das uns aktuell entgegenschlägt, so gut. Wir sind am 27. August bei der Summer School Südtirol zu Gast, waren schon auf RAI und „Südtirol Heute“ zu sehen – und es gab sogar einen Artikel im Magazin vom Katholischen Familienverband Südtirol (lacht).
Claudia:  Ich wünsche mir ein bisschen mehr Offenheit. Wenn ich den Kleinen von der Kita hole und er mich Mama nennt und ich dann sage: „Gehen wir zur Mama“, ist mir das oft unangenehm, weil die Leute dann meinen, ich bin vielleicht die Tante. Oder die Leute fühlen sich unbehaglich, weil sie unsere Situation nicht kennen. Und dann denke ich mir: Wenn ich es schon manchmal nicht schaffe, zu unserer Familienkonstellation zu stehen, wie sollen es andere schaffen? Deswegen ist es wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht unbedingt einen Papa geben muss, sondern dass es auch eine zweite Mama geben kann.

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