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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 28.03.2018
LeuteGefängnismutti Steiner

Ein Leben hinter Gittern

Veröffentlicht
am 28.03.2018
Maria Luise Steiner hat 31 Jahre lang im Gefängnis gearbeitet. Im Interview erzählt sie von schönen Momenten, aber auch von ihrer immer anwesenden Angst.
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In jeder Ecke von Maria Luise Steiners Wohnung sitzen Eulen. In allen Farben, Formen und Größen beobachten sie die 65-Jährige mit großen Augen. Sicher fühlt sie sich trotzdem nie, zu sehr hat sie ihre Zeit im Bozner Gefängnis geprägt. 31 Jahre lang hat die Lananerin dort gearbeitet und die verschiedensten Häftlingsgeschichten protokolliert. Das kleine Zimmerchen, das versteckt hinter sieben Türen ihr Büro war, hat sie sich mit einem italienischsprachigen Kollegen geteilt. Nicht nur mit ihm hatte Maria Luise eine freundschaftliche Beziehung. Die Gefängnismutti, wie sie die Häftlinge gerne genannt haben, hatte für jeden ein offenes Ohr und trägt heute noch so manches Geheimnis mit sich herum. Seit Dezember ist sie in Pension. Zurück in den Beruf möchte sie nicht mehr.

Maria Luises Eulen

Maria Luise, wie bist du überhaupt im Gefängnis gelandet?
Nach der Matura habe ich meine Tochter bekommen und gleichzeitig Jus in Bologna studiert. Weil ich Geld brauchte, musste ich nebenher auch noch arbeiten. Also habe ich in meiner ehemaligen Oberschule Mathematik unterrichtet, nachts studiert und bin nur für die Prüfungen nach Bologna gefahren. Nach einer schwierigen Scheidung habe ich 1986 schließlich bei einem öffentlichen Wettbewerb für die Stelle im Gefängnis mitgemacht.

Die Prüfungen in Pädagogik, Psychologie, Prozessverfahren, Verwaltung und Recht meisterte Maria Luise mit links und durfte den Dienst als „educatore per adulti nel settore penitenziario“ antreten. Was die Stelle mit sich brachte, konnte sie sich damals noch nicht wirklich vorstellen.

Der Tag im Gefängnis fängt für mich um sieben Uhr morgens an. Gleich in der Früh muss ich nachschauen, welche Häftlinge neu dazugekommen sind und welche entlassen wurden. All das muss im Matrikelbüro verzeichnet werden. Dann muss ich Gespräche mit neu dazugekommenen Häftlingen führen. Dazu gehören eineinhalb Seiten an Fragen, die von der Familiengeschichte bis zu eventueller Spielsucht oder psychischen Problemen reichen. Drei Tage in der Woche war das meine Aufgabe, drei Tage lang die meines Kollegen. Ich hatte aber immer ein offenes Ohr für die Häftlinge und bin ihnen entgegengekommen. Das wussten sie und haben immer wieder um Gespräche mit mir gebeten.

Die Kriminalität hat Maria Luise seit Kindheitstagen irgendwie fasziniert. Die Neugierde bleibt bis über die Pension hinaus nach wie vor bestehen. Wenn sie heute von der Arbeit erzählt, spricht sie oft noch im Präsens.

Hast du durch die Gespräche enge Beziehungen zu den Häftlingen aufgebaut?
Natürlich. Einige dachten ja, sie seien bereits mit mir verheiratet. Wieder andere dachten, ich würde ihre Hure sein. Von Drohungen bis zu Liebeserklärungen habe ich alles erlebt.

Woran erinnerst du dich immer wieder gerne?
An Häftlinge, die sich angestrengt haben, besser zu werden, um nach der Haft ein neues Leben zu beginnen. Und natürlich an die Kassette im Brot. (schmunzelt)

Was?
Ein Häftling, der sich in mich verliebt hatte, hat mir von seinem Küchendienst aus immer belegte Brote geschickt. In einem war schließlich eine Kassette versteckt, auf die Liebeslieder einer Schweizer Band gespielt waren. Der ruft mich heute noch an.

Erinnern sich die Häftlinge denn nach ihrer Freilassung noch an dich?
An Feiertagen und zu meinem Geburtstag kriege ich heute immer noch Anrufe von ehemaligen Häftlingen. Auch Blumen und selbst gemalte Bilder und sogar ein Silberarmband habe ich gekriegt. Es war immer schön, die Dankbarkeit für meinen Einsatz zu spüren.

Im Beruf selbst hat Maria Luise sich nie wirklich anerkannt gefühlt. Als deutschsprachige Frau fühlte sie sich vom italienischen System oft ungerecht behandelt. Obwohl sie 31 Jahre lang jeden Tag ihren Job mit Herzblut erfüllte, Einsatz zeigte und sich immer wieder Zusatzqualifikationen aneignete, habe sie nie Aufstiegschancen bekommen. Heute würde sie den Beruf deshalb nicht mehr wählen und lieber in der Schule arbeiten. Die Folgen der Zeit im Gefängnis trägt sie nämlich jeden Tag mit sich herum.

Ich kann keinen Weg alleine gehen. Sobald es dunkel wird, sowieso nicht. Ich weiß, wer auf Südtirols Straßen kursiert. Und heute sehe ich in jedem einen potentiellen Angreifer.

„Der Mörder der Kinderdorfmutter hat bereits bei der Aufnahme seinen Fuß unterm Tisch zu mir herübergestreckt und gewarnt: Wenn ich rauskomme, vergewaltige ich dich und bringe dich um.”

Hast du auch manchmal Drohungen von Insassen bekommen?
Eigentlich nur ein einziges Mal. Der Mörder der Kinderdorfmutter hat bereits bei der Aufnahme seinen Fuß unterm Tisch zu mir herübergestreckt und gewarnt: Wenn ich rauskomme, vergewaltige ich dich und bringe dich um. Sonst habe ich eigentlich vor niemandem Angst gehabt.

Und was war das Schlimmste, das du im Gefängnis erlebt hast?
Da gibt es so einige Episoden. Aber wahrscheinlich der versuchte Ausbruch. Als ich eines schönen Tages die Neueintritte verzeichnete, hörte ich komisches Klopfen im oberen Stock und plötzlich einen wilden Knall. Die Häftlinge haben die Stockbetten auseinander montiert und mit den Stangen die dicken Zelltüren aus Blei eingeschlagen, so dass der gesamte obere Stock frei war. Erst spätabends hatten wir alle Häftlinge in anderen Gefängnissen untergebracht. Bis nach Süditalien mussten wir sie transportieren. Für eine Zeit lang hatten wir dann nur noch 60 Insassen.

Wie viele trägt das Gefängnis denn insgesamt?
Zu Höchstzeiten 187, heute nur noch 110.

Haben sich die Zahlen der Neuankömmlinge in den vergangenen Jahren denn verändert?
Früher war das Gesetz sehr scharf und viele wurden zu Haftstrafen verurteilt. Heute sind die Gesetze viel lockerer und Haftstrafen gibt es nur noch, wenn man etwas richtig Schlimmes verbricht. Die Häftlinge, deren Strafen bis zu drei Jahre dauern würden, dürfen heutzutage Hausarreste absitzen und werden dort von Sozialassistenten betreut.

Bis der endgültige Prozess stattfindet, können zwei bis drei Jahre vergehen. Allein bis zur ersten Verhandlung ist ein Jahr Zeit eingeplant. Und auch diese Termine können immer wieder verschoben werden. So verjährt vieles – oft auch gewollt, meint Maria Luise.

Hat man als Mitarbeiterin im Gefängnis eigentlich Schweigepflicht?
Oh bitte, wenn ich denke, was ich alles weiß, wird mir selbst schwindelig. Es spielt sich Vieles ab, das man sonst nur aus Filmen kennt. Ich könnte Bücher damit füllen.

Dein Job hat dich bestimmt oft nach Feierabend noch begleitet. Wo hast du 31 Jahre lang die Kraft hergenommen weiterzumachen?
Von den hohen Bergen. Ich habe immer wieder die Gletscher und 3.000er Südtirols gesucht. Sogar auf dem Ortler war ich. Wenn ich da oben bin, dann kann ich über alle anderen hinwegschauen und am Montag wieder weiterarbeiten.

Warst du denn traurig, als du vom Tod mancher Häftlinge erfahren hast?
Das ist eine interessante Frage. (denkt kurz nach) Eigentlich nicht. Wenn jemand eine zweite oder dritte oder zehnte Chance kriegt, immer wieder meine Nerven raubt und diese Chance am Ende nicht nutzt, dann ist es wirklich umsonst.

Hast du denn auch manchmal traurige Verbrecher gesehen?
Natürlich. Wenn sie Post von ihren Kindern oder Frauen gekriegt haben, haben sie oft geweint. Dann habe ich sie schon gefragt, ob sich das ausgezahlt hat.

Haben sie denn Reue gezeigt?
Nein, niemals.

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