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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 26.02.2024
LeuteInterview zur Kampagne „Stand up“

„Ein gemeinsames Aufbegehren“

Veröffentlicht
am 26.02.2024
Er hat einen Kurzfilm über häusliche Gewalt gedreht, sie ein Buch über Betroffene geschrieben: Riccardo Angelini und Julia Ganterer sind in diesem Jahr für die Kampagne „Stand up“ gemeinsam durch Südtirol unterwegs. Was hinter der Initiative steckt.
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Es war ein Fall bei der italienischen Sendung „Chi l’ha visto“, der den Filmemacher und Schauspieler Riccardo Angelini dazu bewogen hat, sich mit dem Thema häusliche Gewalt auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Schauspielerin Laura Rauch drehte der Eppaner einen Kurzfilm, der bereits internationale Auszeichnungen erhalten hat. Weil Männer ihr Gewaltverhalten häufig mit Liebe rechtfertigen, trägt der Film den Titel „I love you“. Er wird nun bei „Stand up“ gezeigt – einer gemeinsamen Kampagne mit der Uni-Dozentin und Autorin Julia Ganterer. Sie forscht seit Jahren zu sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt und hat für ihr Buch „Ja, das bin ich und das ist meine Geschichte – Frauen und ihre Wege aus der Gewalt“ mit Betroffenen gesprochen, die Gewalt durch ihre ehemaligen Partner oder durch Familienangehörige erfahren haben. Auf besonders sensible und authentische Art und Weise bringt sie die Thematik zur Sprache und reflektiert – ohne etwas zu beschönigen oder zu bagatellisieren.

Was erwartet die Zuhörenden bei euren Themenabenden?
Ganterer: Ich glaube, dass wir mit unserer Kampagne einen tollen Beitrag für Südtirol leisten können, auch deshalb, weil wir ja im ganzen Land unterwegs sind. Das Besondere daran ist, dass wir mit mehreren Ebenen arbeiten: Durch die Kombination von Film, Buch und Praxis erreichen wir die Menschen auf verschiedenen Ebenen und regen die Zuhörerschaft zum Nachdenken an: Was kann ich tun, um Gewalt prinzipiell zu reflektieren, zu verhindern und um hinzuschauen? Was ist Gewalt? Ab wann werden Grenzen überschritten? Ab wann sind Menschen verletzlich? Gewalt beginnt nicht mit dem ersten Schlag oder dem ersten sexualisierten Übergriff.
Angelini: Es ist gut, dass wir das Ganze in einem kleineren Rahmen machen können, damit eine intimere Atmosphäre herrscht. Dadurch haben wir die Möglichkeit, das Thema an die Menschen vielleicht noch besser heranzutragen.

Was erhofft ihr euch von der Kampagne?
Angelini: Ich wünsche mir, dass die Leute zuhören und verstehen, dass sie etwas ändern können. Es ist wichtig, dass die Thematik immer wieder ins Bewusstsein gerückt wird, damit auch auf politischer Ebene irgendwann etwas passiert. Catcalling ist in Spanien schon lange strafbar – warum gibt es zum Beispiel so ein Gesetz nicht für Italien?
Natürlich möchten wir nicht nur das Problem, sondern auch Lösungen des Problems aufzeigen. Und wenn ich meinem Credo als Künstler folge, dann ist das Ziel folgendes: Wenn ich es schaffe, mit dem, was ich tue, auch nur ein Leben zum Positiven zu verändern, habe ich mein Ziel erreicht.
Ganterer: Mir geht es darum, den betroffenen Frauen eine Stimme zu geben und um ein „Stand up“, also ein gemeinsames Aufbegehren gegen häusliche Gewalt. Wir möchten Mut machen und Positives aussenden, um eine gemeinsame Sprache zu finden – als Betroffene, Zeug:in und Täter. Wenn wir das auch nur ein bisschen erreichen, dann haben wir schon viel geschafft.

Julia Ganterer und Riccardo Angelini wissen: Der Gewaltbegriff ist komplex und vielseitig. Das Thema betrifft uns alle – und das nicht erst in dem Moment, in dem Gewalt passiert. Dass die Frauen aus Ganterers Buch nicht nur den Schlag oder den Missbrauch in dem Moment als schlimm empfunden haben, sondern vor allem das Danach, das Sich-rechtfertigen-Müssen vor dem Anwalt, dem Richter oder dem Nachbarn, spricht Bände. Es liegt also nicht an den Betroffenen, sich zu ändern – sie sind nicht dafür zuständig, die sozialen Missstände aufzuarbeiten.

Wie kann man im Alltag ansetzen?
Angelini: Als Individuum muss ich Grenzen erkennen. Ab wann ist es toxisch? Ab wann ist jemand benachteiligt? Auch diejenigen, die Gewalt ausüben, müssen reflektieren. Vielen Menschen fehlt die notwendige Empathie, die Rücksicht und auch die soziale Intelligenz – all das muss schon in der Schule beigebracht werden. Gerade Unterhaltungsformen, wie zum Beispiel Filme oder Serien, vermitteln Gewalt auf eine subtile, aber doch aktive Weise, über die wir lachen. Wir werden von Anfang in das Ganze hineingeschmissen. Als Künstler versuche ich zu verstehen: Wo führt das hin und wie schaffe ich es, zu sensibilisieren? In der Filmbranche tut sich aktuell sehr viel, merke ich.

Hast du auch das Gefühl, dass momentan Einiges passiert, Julia? Gesellschaftlich gesehen?
Ganterer: Sicher. Aber wenn du diese Frage in den 1970er-Jahren gestellt hättest, wäre die Antwort vermutlich die gleiche (lacht). Ich denke, dass diese Veränderungen immer in Wellen kommen. Mir ist wichtig zu sagen, dass Prävention und Nachsorge sehr nahe beieinander liegen. Dass die Unterstützung von Betroffenen durch entsprechende Anlaufstellen wichtig ist, wissen wir alle, aber das sind keine Präventionsmaßnahmen, sondern lediglich der Umgang mit dem, was schon passiert ist. Um zu deiner Frage zurückzukommen: Ja, es verändert sich kurzfristig immer wieder etwas und Einzelne schaffen den Weg aus der Gewalt. Aber solange es das Patriarchat gibt, wird es keine langfristige Veränderung geben.

Wenn wir Gewalt vermindern wollen, geht es darum, die soziale Teilhabe aller Geschlechter zu stärken. Dabei geht es auch um die Veränderung der patriarchalen Erwerbs- und Sorgearbeit. Hier ist anzusetzen.

Julia Ganterer

Was muss sich also ändern?
Es geht meiner Meinung nach darum, dass die erforderlichen strukturellen und gesellschaftspolitischen Veränderungen zur Diskussion gestellt werden müssen. Es geht in der Prävention nicht um Einzelpersonen, sondern um Bewusstseinsänderung. Um Gewalt entgegenzuwirken, ist das Aufbrechen von patriarchalen gesellschaftlichen Machtstrukturen und die Umverteilung von Entscheidungsmächten und Ressourcen unabdingbar. Wir als Gesellschaft müssen uns ändern.

Und wie?
Es geht darum, eine solidarische Geschlechterdemokratie zu bilden. Wenn wir Gewalt vermindern wollen, geht es darum, die soziale Teilhabe aller Geschlechter zu stärken. Dabei geht es auch um die Veränderung der patriarchalen Erwerbs- und Sorgearbeit. Hier ist anzusetzen. Ich denke, das ist vielen gar nicht bewusst, dass diese „klassischen“ Strukturen und Familienmodelle mit dem Gewaltphänomen zusammenhängen. Solange unsere politische Struktur und unser Familienbild so konzipiert ist, dass frau nach dem ersten Kind den Hauptteil der Sorgearbeit übernimmt während sie noch einer 50-Prozent-Erwerbstätigkeit nachgeht und solange Politik, Justiz usw. nicht an einem Strang ziehen, wird sich auch in Ungleichverhältnissen nichts ändern – und häusliche Gewalt wird nicht aufhören.

Screenshot aus dem Kurzfilm „I love you“ mit Laura Rauch und Riccardo Angelini

Der erste Abend der Kampagne „Stand up“ findet am 1. März um 19.30 Uhr im Frauenmuseum Meran statt. Nach der Filmvorführung und der Buchpräsentation gibt es eine Podiumsdiskussion – dieses Mal mit Sara Bagozzi von der Meraner Beratungsstelle gegen Gewalt an Frauen. Mehr Infos und weitere Termine zu „Stand up“ gibt es hier: https://www.barfuss.it/recommendation/stand-up/

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