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Als er am 13. März 2016 mit dem Auto über den Brenner fährt, glaubt Martin Lunger selbst nicht wirklich an den Erfolg seines Vorhabens. Auch seine Freunde haben den 30-jährigen Meraner nur belächelt und meinten, seine Fahrt nach Innsbruck wäre sicherlich umsonst. Würde die junge Frau, die er vor etwas mehr als einer Woche über Tinder kennengelernt hat, wirklich zu ihm ins Auto steigen, um mit ihm in den Urlaub zu fahren?
„Im Nachhinein muss ich schon zugeben, dass das etwas komisch klingt, einfach mit einer Fremden einen Urlaub auszumachen.“
Ein Schritt zurück. Anfang März installierte sich Martin die Datingapp Tinder auf seinem Smartphone. „Nur aus Spaß“, wie er heute im Rückblick lachend erzählt. Schon nach kurzer Zeit hatte er ein „Match“ mit einer Danielle, die sich gerade in Innsbruck aufhielt. Sie war es, die die Initiative ergriff und die erste Message schrieb: „Sweet dog“, las Martin auf seinem Handy – als Profilbild hatte er ein Foto mit einem Hund eines Bekannten gewählt. „Eigentlich wollte ich zuerst gar nicht antworten. Was hätte ich denn sagen sollen? Ich habe ja kein Wort Englisch gekonnt“, schmunzelt Martin.
Dennoch fasst er sich ein Herz und beginnt – mit Hilfe von Google Translate – mit Danielle zu schreiben. Er erfährt, dass Danielle eigentlich aus Chicago stammt, aber schon seit sechs Jahren auf Hawaii lebt und mehrere Jahre lang bei der Navy war. Dann hat sie angefangen zu studieren und die Welt zu bereisen – so ist sie nach ihrer letzten Station in Thailand auch nach Innsbruck gekommen. Tinder nutzt sie, um neue Leute kennenzulernen. Weil Martin und Danielle sich sympathisch finden – und wohl beide auch sehr abenteuerlustig sind – verabreden sie sich zu einem gemeinsamen Städtetrip in Italien. Wenn Martin das heute erzählt, kommt er um einen breiten Grinser nicht herum: „Im Nachhinein muss ich schon zugeben, dass das etwas komisch klingt, einfach mit einer Fremden einen Urlaub auszumachen.“
Als Martin also am 13. März ein paar Mal am Studentenwohnheim im Innsbrucker Fürstenweg vorbeifährt und keine Danielle zu sehen ist, ist er überzeugt, sie habe einen Rückzieher gemacht. Um ihr eine kurze Nachricht zu schreiben, sucht er sich eine Tankstelle mit WLAN – und staunt nicht schlecht, als sie sofort antwortet. Danielle hat nur in der Lobby gewartet, weil ihr kalt war. Wenige Minuten später steigt sie schon in sein Auto und der Trip nach Venedig, Florenz und Siena geht los.
Danielle redete und redete während der ganzen Autofahrt, Martin nickte und sagte hin und wieder „yes, yes“ – dass er nichts verstand, fand er nicht schlimm. Danielle war ihm sofort sympathisch. Und umgekehrt war es genauso, denn schon am ersten Abend in Venedig, nach Danielles allererster echter italienischer Pizza und einigen Gläsern Wein, küssten sich die beiden das erste Mal. Die Zeit in Italien war bald vorbei und Martin brachte Danielle zum Flughafen nach Innsbruck, weil sie bereits einen Trip nach Amsterdam geplant hatte. „In diesen 10 Tagen habe ich ihr dann sehr oft geschrieben. Aber ich wollte auch nicht zu aufdringlich sein, sonst hätte sie ja meinen können, ich bin ein Norreter“, lacht Martin.
So ungewöhnlich die Beziehung der beiden startete, so rasant nimmt sie Fahrt auf. Sofort nach Danielles Rückkehr trifft sie sich wieder mit Martin, die beiden sehen sich jedes Wochenende, verbringen viel Zeit zusammen. Martin lernt inzwischen eifrig Englisch. Im April besucht Danielle Martin eine Woche lang in Meran. Die Gärten von Schloss Trauttmansdorff findet sie so bezaubernd, dass sie sofort ihre Mutter in Chicago anruft, um davon zu erzählen. „Weil wir wussten, dass Danielle ab Herbst in Paris studieren würde, wollten wir die gemeinsame Zeit noch richtig genießen“, erzählt Martin. So verbrachte das Paar im Juli, bevor Danielle wieder zurück in die USA musste, eine Woche Urlaub in Spanien – ein Urlaub, der alles verändern sollte.
„Dann rief sie mich an. Es war der 1. August um 19.53 Uhr. Der Test. Er ist positiv.”
Als Danielle in Chicago ankommt, schreibt sie Martin, dass sie „spät dran“ sei, er sich aber keine Sorgen machen sollte, denn das würde bei ihr schon hin und wieder vorkommen. Dennoch kauft sie sich einen Schwangerschaftstest. Weil zu Hause ihre ganze Familie um sie herumwuselt, beschließt sie, einen Fahrradtrip zu machen, um ihre Ruhe zu haben und den Test machen zu können. „Dann rief sie mich an. Es war der 1. August um 19.53 Uhr. Der Test. Er ist positiv.“ Martin ist geschockt. Danielle auch. Die beiden beschließen, niemandem etwas zu erzählen, bevor sie nicht gemeinsam bei der Frauenärztin waren. Dafür reist Danielle wieder nach Südtirol.
„Die Ärztin hat mich untersucht und nur hmmm gesagt“, erinnert sich Danielle, die sich jetzt neben Martin gesetzt hat, um ihre gemeinsame Geschichte weiterzuerzählen. „Ich habe gedacht, oh, vielleicht bin ich ja doch nicht schwanger und der Test war falsch?“ Das Hmmm der Ärztin bezog sich aber auf etwas anderes: Sie fragte das Paar nämlich, ob es Zwillinge in den Familien hätte. Es war kein Scherz, Danielle war nicht nur schwanger, sondern erwartete sogar Zwillinge!
Nach dem ersten Schock – Danielle erzählt schmunzelnd, dass sie zwei Tage lang nicht mit Martin geredet hat, und lächelt ihn dabei entschuldigend an – haben die beiden begonnen, ihre gemeinsame Zukunft zu planen. Danielle hat trotz Schwangerschaft ihr Studium in Paris abgeschlossen, für die Vorsorgeuntersuchungen kam sie alle zwei Wochen nach Südtirol. Hier sollte von nun an ihr gemeinsames Leben stattfinden.
Vorher musste Martin aber noch einen der schwierigsten Momente seines Lebens durchstehen: Im Skype-Gespräch Danielles Eltern von der Schwangerschaft erzählen. „Man will bei den Eltern der Freundin ja eigentlich einen guten Eindruck hinterlassen. Das Gespräch war aber einfach der Horror!“, erinnert sich Martin. Danielle hatte in Chicago schon ein bisschen von ihm erzählt, aber das haben ihre Eltern nicht ernstgenommen, weil sie noch nie in ihrem Leben ernsthafte Beziehungen gehabt hatte. „Martin war so nervös, dass ihm kein einziges englisches Wort eingefallen ist“, erzählt Danielle voller Mitleid. Als sie schließlich von ihrer Schwangerschaft erzählte, war es so, als ob der ganze Bildschirm eingefroren wäre. Nur die Schweißperlen auf der Stirn ihres Vaters haben sich bewegt. Aber nach einiger Zeit beruhigten sich Danielles Eltern wieder. Sie hatten ein ganz anderes Bild von einem Italiener vor sich. „Bei uns in Amerika stellt man sich einen Italiener als kleinen Mann mit gegelten Haaren und Goldkettchen vor“, erklärt Danielle lachend. Martin passt mit seiner Größe, den muskulösen Oberarmen und seinem Südtiroler Dialekt so gar nicht in diese stereotype Vorstellung.
„Auch wenn das alles ungeplant war – im Nachhinein würde ich nichts ändern wollen. Wir sind wahnsinnig glücklich.“
Am 12. Dezember 2016 ist Danielle schließlich zu Martin nach Meran gezogen, nur vier Tage vor dem Kaiserschnitt haben sie dann die gemeinsame Wohnung bezogen. Am 3. März 2017 – zehn Tage vor ihrem einjährigen Kennenlernen – kamen ihre zwei Jungs auf die Welt. „Ich musste zehn Minuten vor dem Kreißsaal warten und habe es erst da richtig realisiert. Bis dahin war so viel zu organisieren und vorzubereiten. Aber jetzt wusste ich: Ich bin gleich Papa von zwei kleinen Jungs. Die Krankenschwester hat mir dann meine beiden Söhne auf die Brust gelegt und ich war richtig stolz. Dieses Gefühl vergisst man nie mehr“, erinnert sich Martin. Danielle lächelt ihn an. Auf ihrem Schoß sitzt Alessandro, Martin hält Leonardo im Arm. Es ist schon dunkel draußen und während Mama und Papa ihre Tinder-Lovestory fertig erzählen, fallen den Jungs schon fast die Äuglein zu. Bevor Martin seine Söhne mit Danielle ins Bett bringt, sagt er noch: „Auch wenn das alles ungeplant war – im Nachhinein würde ich nichts ändern wollen. Wir sind wahnsinnig glücklich.“
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