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Die Meranerin Madeleine Rohrer, Jahrgang 1983, studierte Kommunikations- und Politikwissenschaften in Salzburg, arbeitete danach ein halbes Jahr als Deutschlehrerin im französischen Cherbourg, dort, wo die einzige Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage Europas steht. Als sie dann eine Stellenanzeige der Internationalen Alpenschutzkommission Cipra entdeckte, bewarb sie sich prompt und arbeitete sechs Jahre lang als Geschäftsführerin des Vereins „Alpenstadt des Jahres“ in Liechtenstein. Im Jahr 2015 holte der frischgewählte Meraner Bürgermeister die bis dahin nicht politisch tätige Rohrer als Verkehrsstadträtin in sein Kabinett.
Wir treffen uns im Weißen Rössl unter den Meraner Lauben, ein altes, wunderbar restauriertes Stadthotel, eine Mischung aus Omas altem Bauernhaus und mondänem Stadtleben.
Frau Rohrer, wie lebt es sich in Liechtenstein?
Liechtenstein hat sehr restriktive Einwanderungspolitik. Du hast zwar einen Arbeitsplatz in Liechtenstein, darfst aber nicht da wohnen. Was sehr anstrengend ist, weil das ganze soziale Netz in Liechtenstein war, meine damalige Beziehung, mein Sportverein, mein Kulturverein, aber zum Schlafen musste ich nach Österreich.
Was waren Ihre Aufgaben bei der Cipra?
Ich habe mich um Kommunikation gekümmert, Klimaschutz, Partizipation und Mobilität. Ich habe gelernt, dass die Stadtentwicklung nicht so sehr von der Couleur der Politiker abhängt, sondern vom Menschen. Ich habe konservative Politik erlebt, die Städten mit einer linken Regierung im Bereich Klimaschutz meilenweit voraus waren.
Dann hat Paul Rösch die Bürgermeisterwahl in Meran gewonnen.
Sie suchten eine Frau, die die ökologische Seite vertreten kann. Es gab Gespräche, und ich bin nach Meran zurückgekehrt.
Es hieß damals, Sie hätten den Posten wegen eines Näheverhältnisses zwischen Paul Rösch und Ihrem Vater, und nicht wegen Ihrer Kompetenz.
Ich war total überrascht, als ich das in der Zeitung las. Die beiden kannten sich, weil der eine Museumsdirektor war und der andere die Museumsinhalte mit erarbeitet hat. Aber Rösch ging nicht bei uns zuhause ein und aus. Das Thema hat sich damals aufgebauscht, aber die Sache ist schon lange vom Tisch.
Wie unterscheiden sich die Mittlerrolle bei einer NGO und das Selber-Politik-machen?
Die Cipra fordert schon auch, oder klagt an, aber nicht so militant wie zum Beispiel ein WWF. Die Cipra sieht sich als Mittlerin, will das gegenseitige Lernen ermöglichen, den Entscheidern helfen, bessere Entscheidungen zu treffen.
In der Politik musst du hingegen selbst entscheiden.
In der Politik ist “Teamarbeit” wohl oft eher Schlagwort als Realität.
Es gab diesen Beschluss im Stadtrat zur Schließung der alten Eisenbahnbrücke für den motorisierten Verkehr, den die SVP mitgetragen hat. Sie war für eine Testphase. Im Gemeinderat hat die SVP dann plötzlich gegen ihren eigenen Beschluss gestimmt. Das passiert bei einer NGO nicht.
Innerhalb der Gruppe Rösch/Grüne gibt es ein sehr kollegiales Verhältnis, ein sehr angenehmes, vertrauensvolles Arbeitsklima. Da kann man auch mal sagen: “Ich habe was falsch gemacht, wie lösen wir das?”
Und mit anderen klappt es nicht?
Die SVP leidet chronisch darunter, dass sie den Bürgermeistersessel in der zweitgrößten Stadt verloren hat.
Wir müssen den öffentlichen Raum so gestalten, dass er für Achtjährige und Achtzigjährige passt. Dann passt er auch für alle dazwischen.
Sie haben sehr viele Kompetenzen, darunter Raumordnung, Bauordnung, Natur- und Landschaftsschutz, Denkmalpflege, Umwelt, Straßenreinigung und Energiewesen. Medial sind Sie vor allem als Verkehrsstadträtin bekannt. Ich bin mit dem Bus angereist und im Stau gestanden, im Bereich Verkehr muss offensichtlich etwas geschehen.
Meran steht im Bereich Mobilität vor zwei Herausforderungen. Die Stadt wird immer älter, der Anteil an Senioren wird immer größer. Wir müssen gewährleisten, dass die älteren Menschen auch im Alter noch mobil sind. Dafür braucht es den Abbau architektonischer Barrieren und ausreichend breite Gehwege, damit zwei Menschen nebeneinander gehen können. Oder noch grundsätzlicher: Wir müssen die Mobilität und den öffentlichen Raum so gestalten, dass er für Achtjährige und Achtzigjährige passt. Dann passt er auch für alle dazwischen.
Und dann geht’s um Arm und Reich. Eine Politik, die nur aufs Auto ausgelegt ist, verlangt von jedem den Besitz eines Autos. Damit schließen wir viele aus: diejenigen, die kein Auto brauchen oder wollen, die sich keines leisten können und die wegen ihres Alters nicht fahren dürfen. Und da sind wir wieder bei den Jugendlichen und den Älteren. Wir brauchen eine Mobilität, in der jede Frau und jeder Mann mobil sein kann. Mobilität als Palette von Dienstleistungen – und dann suche ich mir die aus, die für mich am besten geeignet ist.
Was braucht Meran?
Einmal die Infrastrukturen für Senioren, das Thema hatten wir schon. Aber auch Infrastrukturen für die Jungen. In Untermais entsteht ein neues Schulzentrum. Es braucht das Miteinander von deutsch- und italienischsprachiger Bevölkerung, der Bürgermeister und sein Vize haben mit dem Kulturprojekt „700 Jahre Meran“ bereits einiges erarbeitet.
Und Meran braucht ein Bewusstsein für die Möglichkeit, mitzugestalten und sich einbringen zu können. Die Stadt ist nichts Statisches, sondern jeder kann mitmachen, mitgestalten, sich einbringen.
Thema Tourismus?
Es gibt großen Druck von außen. Unsere Nachbargemeinden bauen ein Hotel nach dem anderen, in Burgstall wird über 400 neue Betten diskutiert, Dorf Tirol und Schenna wachsen beständig, und all diese Menschen wollen zwischendurch nach Meran. Wir brauchen ein gemeindeübergreifendes Konzept. Es nützt nichts, wenn wir hier innovative Projekte umsetzen und dann alle Touristen mit dem Auto in die Stadt fahren. Meran gehört auch den Meranern, ich hoffe, dass unsere Nachbargemeinden das verstehen. Die Stadt muss lebenswert bleiben.
Im Bereich Tourismus wäre die Standseilbahn nach Tirol und Schenna sinnvoll. Unser Fahrradwegenetz ist nicht durchgängig, der öffentliche Verkehr ist verbesserungswürdig. Man muss in der Stadt noch einiges umbauen. Wenn wir nichts tun, steht die Stadt irgendwann still.
Und dann gibt es den gesundheitlichen Aspekt. Die Menschen haben ein Recht auf saubere Luft. Das Recht auf Autofahren endet dort, wo jemandes Recht auf saubere Luft beschnitten wird.
Wir haben zuvor über den Schwenk der SVP bei der Schließung der Eisenbahnbrücke geredet, vor kurzem wurde der viel weitreichendere Verkehrsplan im Gemeinderat mit 23 zu 7 Stimmen angenommen. Wieso sind plötzlich alle auf Linie, und wie verlässlich ist das Ergebnis?
Ich kann nicht für die anderen Parteien sprechen und weiß nicht, ob sie zu ihrem Beschluss stehen. Aber im Sinne einer Kohärenz erwarte ich mir von den politischen Partnern, dass sie, wenn sie ein Konzept beschließen, dieses auch umsetzen wollen.
Alle müssen Verantwortung für die Stadt übernehmen. Wir haben zwei Jahre an diesem Konzept gearbeitet, mit unzähligen Bürgerversammlungen, runden Tischen, sehr vielen internen Sitzungen. Es wäre fahrlässig, das jetzt nicht umzusetzen.
Wir haben die Straßen neu gestaltet, Bäume gepflanzt und Schotter auf die Beete gestreut. Dann haben uns Anwohner gefragt, ob sie unter den Bäumen nicht Blumen pflanzen dürfen.
Auch über die kommenden Wahlen hinaus? Im kommenden Mai werden Bürgermeister und Gemeinderat neu gewählt.
Absolut. Deshalb ist es von Bedeutung, dass auch fünf Vertreter der Opposition dafür gestimmt haben. Wichtig finde ich, dass die Projekte, die wir begonnen haben, weitergeführt werden, von wem auch immer. Die italienische Musikschule zum Beispiel, der Verkehrsplan, das Thema Klimawandel.
Was kann Meran gegen den Klimawandel tun?
Wir brauchen Maßnahmen, um weniger klimaschädliches Stickstoffdioxid auszustoßen. Und eine Strategie, um uns an den Klimawandel anzupassen. So, damit wir weiterhin in der Stadt gut leben können. Zum Beispiel, indem wir Bäume pflanzen, wenn wir eine Straße umbauen. Vielleicht fällt ein Parkplatz weg, aber der Baum schafft Schatten und damit Lebensqualität.
Ich habe neulich Wolfgang Mayr von Rai Südtirol ein Interview gegeben. Darin hat er mich gefragt, warum immer mehr Menschen den Klimawandel anzweifeln. Ich habe geantwortet, dass alle Veränderung Angst machen, und alles, was Angst macht, schwierig ist. Wenn wir den Klimawandel leugnen, können wir weitermachen wie bisher.
Doch genau genommen war das nicht die komplette Antwort, denke ich mir im Nachhinein. Ich glaube, das Thema Klimawandel ist der richtige Moment, um uns zu fragen: Was macht ein besseres Leben aus? Was brauche ich, damit es mir gut geht? Was braucht die Stadt, damit es uns gut geht? Die energetische Sanierung bedeutet Bauerhaltung, Qualität im Wohnen. Dieses Gebäude, in dem wir sitzen, ist pure Baukultur. Wir haben in der Stadt Gebäude, die jahrzehntelang geschlossen waren. Wir machen sie auf und machen sie lebenswert.
Und würde sich irgendwann herausstellen, dass sich 99 Prozent der Klimaforscher geirrt haben und der Klimawandel doch nicht so schlimm ist, noch besser: Dann haben wir eine gute Gesellschaft und eine gute Stadt gebaut und unseren öffentlichen Raum so geplant, dass es uns allen gut geht.
Sie sind als Quereinsteigerin in die Politik gekommen. Als Politikerin, als Frau, muss man sich ja einiges anhören. Wie gehen Sie damit um? Kann man da am Abend abschalten? Wird man auf der Straße ständig angesprochen?
Wir leben in einer Zeit mit ständigem Zugang zu den sogenannten sozialen Medien. Ich sage “sogenannte”, denn sie sind alles andere als sozial. Da kann jede und jeder alles sagen, auch Dinge, die man nicht sagen darf, weil sie allzu oft gegen die Schwächsten in unserer Gesellschaft gehen. Diese sogenannten sozialen Medien haben kein System gefunden, die Würde des Menschen zu schützen, ohne die Meinungsfreiheit zu beschränken. Das ist ein demokratiepolitisches Problem. Es wird so immer schwieriger, Menschen zu finden, die sich dem Gemeinwohl zur Verfügung stellen. Tu ich mir das an, so stark angegriffen zu werden? Es braucht eine Reglementierung dieser Netzwerke, und ich finde es gut, dass eine ehemalige Kammerpräsidentin Boldrini konsequent alle anzeigt und eine Landtagsabgeordnete Foppa zu diesen Menschen heimgeht, klingelt und sie direkt anspricht. Es ist wichtig, sich gegen Hass und Hetze zu wehren.
Als Politikerin bekommst du die Kritik am System ab, auch wenn sie mit dir persönlich nichts zu tun hat. Das ist zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb ist mir wichtig, dass wir viele partizipative Prozesse haben. Wir laden die Menschen ein, mitzumachen. Und ich habe den Eindruck, dass das Interesse am Mitgestalten größer wird. Diese partizipativen Verfahren dauern, aber am Ende ist die Entscheidung besser. Und wir setzen den Rattenfängern etwas entgegen.
Zum Beispiel?
Es mögen Kleinigkeiten sein, aber sie sind wichtig. Zum Beispiel in der Matteottistraße. Wir haben die Straße neu gestaltet, Bäume gepflanzt und Schotter auf die Beete gestreut. Dann haben uns Anwohner gefragt, ob sie unter den Bäumen nicht Blumen pflanzen dürfen. Natürlich! Sie pflegen die Blumen, und die Geschäftsleute der Straße beteiligen sich. Oder der Pedibus, also das gemeinsame Zur-Schulegehen, ist ein großer Erfolg geworden.
Sie sagen, es geht gegen den Politiker, nicht gegen den Menschen. Aber so was wird wohl trotzdem zu Herzen gehen. Kann man da abschalten?
Jeder hat seine Strategien, um diese negativen Momente wegzustecken. Ich gehe in meinen Gemüsegarten zu meinen Tomatenstauden. Die profitieren davon. Und es sind ja nicht alle so, es gibt auch viel Zuspruch. Ich schlafe gut, denn die positiven Reaktionen auf meine Arbeiten überwiegen.
Die Menschen, die hier leben, sollen aus Überzeugung sagen können: “Das ist der schönste Ort der Welt”.
War die Rückkehr nach Südtirol die richtige Entscheidung?
Ja.
Ich frage anders: Warum war die Rückkehr nach Südtirol die richtige Entscheidung?
Weil ich meine Aufgabe als ein großes Privileg empfinde. Ich wünsche es jeder und jedem, einmal so etwas machen zu dürfen. Es ist eine große Bereicherung, mit motivierten Leuten an einem Projekt zu arbeiten. Und in unserem Team herrscht große Begeisterung, sich neuen Aufgaben zuzuwenden. In den vergangenen Monaten haben wir unsere Bauordnung geändert, um die Themen “Artenvielfalt” und “Tierschutz” mit dem Thema “Bauen” zu verbinden.
Und ich fühle mich in Meran sehr wohl, es ist eine schöne, lebenswerte Stadt.
Wie schaut ein typischer Arbeitstag aus?
Gegen halb neun Uhr bin ich im Büro; ich brauche meine Zeit für Frühstück und Familie. Zu Mittag geh ich, wenn möglich, heim essen, ein Stündchen, dann bin ich bis sechs oder sieben Uhr im Büro, und am Abend sind dann diverse Sitzungen: Liste, Gemeinderat, Kommissionen, Bürgerversammlungen.
Samstag-Sonntag gehört mir, ich brauche Zeit für mich, muss den Haushalt führen, Freunde treffen, Dinge aufarbeiten. Am Wochenende bin ich nur selten bei der Arbeit.
Und ich gehe nur zu Veranstaltungen, wenn ich das Gefühl habe, dass ich da etwas bewirken kann. Nicht nur, um Präsenz zu zeigen, wir werden ja ständig eingeladen.
In einem knappen Jahr sind Gemeinderatswahlen, und ihr werdet euch bestimmt schon Gedanken gemacht haben, ob und wie ihr euch präsentiert.
Die Liste Rösch/Grüne befindet sich in Diskussionsphase. Im Herbst wird man mehr wissen.
Aber Sie können sich eine Kandidatur vorstellen?
Jetzt fahre ich mal in Urlaub.
Wenn Sie einen Wunsch für Meran frei hätten?
Dass die Menschen, die hier leben, aus Überzeugung sagen können: “Das ist der schönste Ort der Welt”. Und: “Ich bin in meiner Stadt kein Fremdkörper, der erleidet, was von oben kommt, sondern ich fühle mich eingebunden, ich werde gehört, ich kann mitmachen, ich bin Teil der Gemeinschaft und werde von ihr aufgefangen”.
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