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Für unser Treffen am Christopher Street Day in Innsbruck bin ich etwa eine halbe Stunde zu früh dran. Pearl N. Diver, so der Name der Kunstfigur des 22-jährigen Maximilian K., hat mich per SMS vorgewarnt: „hi! mein schuh ist abgebrochen – fahr grad schnell heim tauschen.“ Als ich mich mit einem Jahresvorrat an Kondomen eingedeckt habe, taucht Pearl schließlich auf: Küsschen links, Küsschen rechts, Pearl hat die traditionell weibliche Gestik perfekt einstudiert. Auch die Tatsache, dass es sich bei ihrer Fußmode um Ersatzschuhe handelt (Größe 42, im Internet bestellt), merkt man ihr nicht an. Pearl bestellt uns zwei Flaschen Cola, sie wird später noch mit ihren Kolleginnen von dem „Terpentinen-Ensemble“ auf der Bühne stehen, da wäre Alkohol unangebracht. Max ist schwul, seine Rolle als Pearl N. Diver existiert aber erst seit gut einem Jahr. Gemeinsam mit mir stöhnt Pearl unter der Hitze des Innsbrucker Rapoldi-Parks, als unser Interview beginnt.
Die obligatorische Frage zuerst: Wie darf ich dich heute ansprechen? Als Sie? Als Er?
Als Sie. Ganz klar.
Sobald du im Kostüm bist, bist du eine Sie.
Richtig.
Und das gilt für jede Drag Queen?
Das gilt für jede.
Viele Menschen haben Schwierigkeiten, das zu verstehen. Wie erklärst du einem Laien den Umgang mit dem Pronomen?
Ganz einfach: Bin ich im Kostüm, bin ich eine Sie. Ich sag immer dazu, dass ich keineswegs eine Frau sein möchte, weil dieser Eindruck natürlich schnell entsteht. Mir macht es einfach Spaß, mich zu verkleiden und die Leute zu schockieren und zu verunsichern. Aber in diesem Moment bin ich eine Sie, ich hab ja mit Pearl N. Diver auch einen Künstlernamen. Das gilt auch für Rachel und Bernadetta und alle anderen Kolleginnen, die heute hier sind.
In den letzten Monaten ist man mit Conchita Wurst um das Thema Drag Queens kaum herumgekommen. Sind du und deine Kolleginnen in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Nein, das finde ich nicht. Es ist toll, dass die Sache mit Conchita öffentlichkeitswirksam gemacht wurde, aber wir sind noch lange nicht auf dem Punkt, an dem wir sein sollten. Wenn wir durch die Straßen gehen, gibt es immer wieder mal Anfeindungen und großes Unverständnis. Conchitas Sieg ist toll, aber für uns irgendwie sehr weit weg. Es ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber wir stehen noch am Beginn einer langen Entwicklung.
Wie steht die Drag-Community zu Conchita Wurst?
Sehr positiv, wir haben uns total gefreut, dass sie den Contest gewonnen hat. Sie ist ja eine von uns.
Du sagtest, dass du es toll findest, Leute zu provozieren. Angenommen, Drag Queens wären ein komplett akzeptierter Teil der Gesellschaft, hätte das Provozieren dann noch einen Sinn?
Ja, stimmt, dann wär’s natürlich was anderes, uns macht das schon Spaß, durch die Stadt zu gehen und angeschaut zu werden. Auf der anderen Seite gehen wir aber hauptsächlich in Schwulenlokale, wo es eigentlich schon normal ist. Um deine Frage zu beantworten: Ein Teil davon ist Provokation, aber auch ohne diesen Teil würde ich weitermachen. Ich verkleide mich auch, weil es mir Spaß macht.
Du hast von Anfeindungen gesprochen. Wie gehen denn Menschen damit um, wenn du dich als Drag Queen zeigst?
Eine eigene Spezies sind die Taxifahrer, mit denen haben wir relativ viel zu tun. (lacht) Da gibt’s solche, die kein Wort mit dir reden und nicht antworten, wenn man etwas sagt. Man merkt, dass die total dagegen sind und angeekelt reagieren. Andere wiederum finden uns geil und würden am liebsten noch mit einer von uns raufgehen. Grad heut hat mich einer gefragt, wo ich meinen Schwanz verstecke und ob er den sehen kann, und dann hat er mir sein Kärtchen gegeben, damit ich ihn anrufe. Es gibt eben auch die aufdringlichere Sorte.
Gehen Frauen offener mit dem Thema um?
Frauen nehmen es grundsätzlich besser an, die kommen her und sagen „Du hast so schöne Beine“. Frauen fasziniert, dass wir versuchen, die perfekte Frau darzustellen, das ist für viele etwas Besonderes. Make-up und Kleider sind für sie Alltag, wir aber schrauben das Ganze noch eine Stufe höher, machen weibliche Bewegungen nach und so weiter.
Wie umstritten sind Drag Queens in der Schwulenszene?
Manche finden es toll, andere schließen „Handtaschenträger“ am liebsten aus ihrem Dating-Profil aus. Wir sind da natürlich eine Randgruppe innerhalb der Szene, der Großteil der Schwulen ist aber sehr offen. Bei Hetero-Männern kenn ich aber nur wenige, die damit gut umgehen können.
Fühlen sich Hetero-Männer bedroht?
Ja, das glaub ich durchaus. Das ist für die nicht verständlich, warum das jemand machen will.
Grundsätzlich herrscht ja für Drag Queens keine „Schwulenpflicht“. Kennst du auch Hetero-Queens?
Es gibt bei den Travestiekünstlern zumindest manche, die sagen, dass sie Hetero sind und sogar in Beziehungen leben. Aber wie viele schwule Männer leben in Beziehungen, haben Kinder, fühlen sich aber trotzdem nicht wohl? Ich geh davon aus, dass der Großteil zumindest bisexuell ist.
Wie viel Wert legst du darauf, die Figur der Pearl von Max zu trennen?
Pearl ist eine Figur, aus der Max ausbrechen kann. Der Anfang in der Schwulenszene war schwierig für mich, ich hab mich unwohl gefühlt und wusste nicht, wie ich mit Leuten ins Gespräch kommen soll. Als Pearl kann ich viel offener sein und Leuten nahekommen, ohne dass ich sofort weggestoßen werde. Es ist eine Erweiterung von mir, in der ich Dinge ausleben kann, die ich sonst nicht auslebe.
Wann hast du dich geoutet?
Also richtig geoutet bin ich jetzt ja auch nicht. Wer es wissen muss, weiß es, und wer mich fragt, dem antworte ich mit einem klarem „Ja“. Die meisten werden es eh wissen, „offiziell“ muss ich mich da nicht outen.
Passiert es dir manchmal, dass du aus der Rolle fällst und zum Mann wirst?
Ich bin auch in einer Theatergruppe und da legt der Regisseur großen Wert darauf, dass man nicht aus seiner Rolle fällt. Bei Pearl sehe ich das nicht so eng: Die anderen Mitglieder haben mit einem Theaterstück begonnen und ihre Rolle mit der Biografie aufgebaut. Bei Pearl entwickelt sich das so mit der Zeit, in dem kommenden Theaterstück findet meine Rolle zum Beispiel Unterarme von Männern ganz toll. Das kann ich natürlich auch für Pearl nutzen. Gags und Macken kann man als Schauspieler immer ausspielen.
Ihr werdet hier auf dem CSD später noch auf der Bühne zu sehen sein. Was zeigt ihr uns?
Heute machen wir Lippensynchronisationen zu bekannten Liedern, Helene Fischer zum Beispiel, das wird lustig. Unsere Gruppe besteht aus zwei Teilen: Das Terpentinen-Ensemble und die Terpentinen. Ersteres macht solche Aufführungen wie wir heute, letzteres dann die Theaterstücke.
Wie war denn dein Werdegang? Wie wird man zur Drag Queen?
Angefangen hat das Ganze bei mir im Fasching, wie bei den meisten wahrscheinlich, und so wächst man langsam hinein. Ich habe jemanden angesprochen, der bereits in diesem Ensemble war, und bin in Eigeninitiative dazugekommen. Der Regisseur ist immer wieder auf Suche und hat mich zu einem Casting eingeladen. Ich hab dann einen Monolog vorgespielt, woraufhin ich aufgefordert wurde, den doch als Frau zu spielen, eine total lustige Situation. So bin ich zu den Terpentinen gekommen.
Du bist sowohl im Kostüm als auch als Mann regelmäßig für die Aids-Hilfe Tirol tätig. Erzähl!
Ich bin gefragt worden, ob ich für die Aids-Hilfe in der Prävention arbeiten möchte. Einerseits verteile ich jetzt bei den monatlichen „Queerattacks“ im Fummel hin und wieder die Welcome Drinks, als Mann verteile ich zum Beispiel über die Sommerferien in Zirl Kondome. In meiner Rolle der Pearl gehe ich mit anderen Queens immer mal wieder durch Lokale und verteile Flyer und Kondome, auch das wieder im Fummel, weil ich mich darin einfach wohler fühle.
Macht es der „Fummel“ leichter, solche Themen anzusprechen?
Auf jeden Fall. Wenn ich als Mann hineingehe, habe ich Hemmungen, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, im Fummel geht das ganz von selbst. Da muss ich den ganzen Abend einplanen, weil man ständig eingeladen wird und um Fotos gebeten wird. Für die Präventionsarbeit ist das super, weil man wahnsinnig schnell Fragen beantworten und informieren kann.
Was wird eine Drag Queen zu Fasching?
Jedenfalls nicht Drag Queen. Ich würd’s nicht mehr im Fasching machen, weil es für mich mehr bedeutet. Fürs kommende Jahr werden wir sehen, im letzten Fasching war ich Kater. (lacht)
Kater oder Katze?
Kater!
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