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Linda Kastrup kommt aus Duisburg im Ruhrgebiet und ist Sprecherin für Fridays for Future (FFF) Deutschland. Die 23-Jährige setzt sich als Klimagerechtigkeits-Aktivistin aktuell besonders gegen den Ausbau von Autobahnen und die Rodung von Wäldern ein. Wenn Linda nicht gerade Klima-Proteste organisiert, studiert sie Erziehungswissenschaften an der Universität in Essen. Zuletzt war sie bei den Protesten rund um Lützerath aktiv und hat gemeinsam mit 35.000 Klimaaktivist:innen an ihrer Seite gegen der Kohleabbau vor Ort protestiert. Die Medienberichtserstattung rund um Lützerath sowie die Kriminalisierung der Proteste macht die 23-Jährige wütend.
Linda, du bist Klimagerechtigkeits-Aktivistin. Wie weit darf Klima-Aktivismus gehen?
Wir brauchen starke, vielfältige Aktionsformen, die der Politik immer wieder deutlich machen, dass wir nicht aufhören werden, bis wir Klimagerechtigkeit erreichen. Es kann nicht sein, dass die Politik mit der Lebensgrundlage von uns allen spielt und gleichzeitig erwartet, dass wir nicht auch mal in unserem Aktivismus für sie unbequem werden.
Aktionen wie das Festkleben an Gegenständen oder das Beschmieren von Kunst stoßen auf Kritik, was denkst du dazu?
Die Kritik kommt ja insbesondere von den Leuten, die an den Machthebeln zur Veränderung sitzen. Wenn diese Machthaber:innen, diese Politiker:innen weniger Profit hinterher streben würden und gleichzeitig das Klima auf ihrer Prioritätenliste höher setzen würden, müsste es die Klimabewegung in dem Ausmaß nicht geben und niemand könnte sich über diese beschweren. Die Politik kritisiert, dass sie an ihre eigenen Abkommen erinnert wird.
Redet mehr mit eurem Umfeld über die Klimakrise und setzt euch gemeinsam mit den Folgen dieser auseinander. Damit könnt ihr schon so viel in Bewegung setzen.
Sollen Aktivist:innen zu allen Mitteln greifen, die irgendwie möglich sind, um die Leute aufzurütteln?
Die Aufgabe dürfte eigentlich gar nicht bei uns Aktivist*innen liegen. Medien und Politik müssten die klaren Fakten von der Wissenschaft als Thema in die breite Masse der Gesellschaft rücken, sodass alle Menschen sich den katastrophalen Folgen der Klimakrise bewusst sind und zum Handeln befähigt werden. Solange das nicht passiert, müssen wir dafür kämpfen. Man kann ganz einfach anfangen. Redet mehr mit eurem Umfeld über die Klimakrise und setzt euch gemeinsam mit den Folgen dieser auseinander. Damit könnt ihr schon so viel in Bewegung setzen.
Gibt es guten und schlechten Klima-Aktivismus?
Für mich ist jener Aktivismus am sinnvollsten, der sich am großen Systemwandel orientiert. Wir alle werden auf individueller Ebene – wie beispielsweise durch Verzicht auf das Auto und bestimmte Lebensmittel – nicht genug erreichen können, um rechtzeitig genügend Emissionen einzusparen und die Klimakrise aufhalten zu können. Klima-Aktivismus bedeutet daher für mich Systemwandel in der Politik einzufordern. Aus diesen Gründen richtet sich FFF an große Konzerne, an die Politik und ans System, das verändert werden muss.
Wie sieht dieser Systemwandel aus? Und wie können wir ihn erreichen?
Naja, eigentlich ist der Wandel im Großen und Ganzen ausschließlich Aufgabe der Politik. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so verändern, dass wir uns gar nicht umstellen oder uns Gedanken machen müssen. Wenn es beispielsweise nur noch nachhaltige Produkte gibt, müssen wir uns gar nicht erst entscheiden, was wir konsumieren oder kaufen wollen und was gut und was schlecht fürs Klima ist. Die Handlungsmacht liegt somit im System, bei der Produktion und nicht bei uns Konsument:innen.
Welche konkreten Veränderungen in der Politik braucht es also?
Viele. Das Bahnnetz muss stark ausgebaut werden, damit wir uns nicht zwischen der dreistündigen Bahnfahrt und der einstündigen Autofahrt entscheiden müssen. Wir sollten für Bahntickets nie mehr als für eine Autofahrt bezahlen müssen. Zusätzlich muss die Subventionierung von fossilen Energieträgern gestoppt und dafür nachhaltige Alternativen geschaffen werden. Nachhaltigkeit sollte keine individuelle Entscheidung oder gar ein Lebensstil, sondern Alltagsrealität sein.
Wo liegt aktuell euer Fokus im Kampf für eine klimagerechte Zukunft?
FFF Deutschland fokussiert sich gerade auf eine sozial gerechte Verkehrswende. Wir müssen weg vom autozentrierten Denken hin zu einer Mobilität der Zukunft. Der deutsche Bundesverkehrsminister begreift die Dringlichkeit einer solchen Systemwende und die massiven Folgen der aktuellen Verkehrspolitik nicht. Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf die Missstände des aktuellen Verkehrssystem zu leiten und mögliche Alternativen, wie etwa den Ausbau des Bahnnetzes, aufzuzeigen.
Das Kollektivgefühl, gemeinsam für etwas zu kämpfen, gibt mir enorm viel.
Ihr schreit, die Politik hört weg: Trotz eurer Proteste lassen Systemveränderungen auf sich warten, Projekte wie das Willow-Projectwerden genehmigt und Autobahnen weiter ausgebaut. Wo nimmst du deine Motivation her, weiterzumachen?
Meine Motivation kommt maßgeblich von den anderen Aktivist:innen. Zu sehen, dass diese Bewegung immer weiter junge Menschen mobilisiert, schenkt mir sehr viel Kraft. Das Kollektivgefühl, gemeinsam für etwas zu kämpfen, gibt mir enorm viel. Bei den Lützerath-Protesten (Anm. d. Red.: Proteste gegen den Kohleabbau im Dorf Lützerath in Deutschland) standen beispielsweise 35.000 Leute an meiner Seite. In solchen Momenten fühle ich mich wahnsinnig stark und unbesiegbar. Eine weitere Stütze für den Klima-Aktivismus bildet die Wissenschaft, die immer „hinter uns steht“. All unsere Proteste basieren auf wissenschaftlichen Fakten und so wissen wir, dass unser Kampf der Kampf für das „Richtige“ ist. Sicherlich kann Aktivismus in jeder Form ermüdend und anstrengend sein, aber das Empowerment-Gefühl überwiegt.
Du fühlst dich also bei Protesten immer „wohl“ und sicher?
Nicht immer. Gerade in den letzten Wochen war bei mir tatsächlich die Luft draußen und ich war sehr nachdenklich. Ich komme gerade aus monatelangen Protesten rund um das Dorf Lützerath. Zu sehen, mit was für einer enormen Gewalt gegen uns Klimaaktivist:innen vorgegangen wurde und wie sehr unsere Klimagerechtigkeits-Bewegung kriminalisiert wird, hat mich emotional sehr belastet. So viele junge Menschen wurden verletzt und erlitten Gehirnerschütterungen und warum? Alles nur, weil wir die Regierung daran erinnern, sich an das völkerrechtlich bindende Pariser Klimaabkommen zu halten. Es war heftig mit dieser Gewalt ins neue Jahr zu starten. Davon muss man sich dann auch mal wieder erholen. Dazu muss man aber sagen, dass die Gewalt, die den Menschen im globalen Süden bei ihren Klimaprotesten widerfährt, wesentlich schlimmer ist.
Uns wird permanent das Gefühl vermittelt, dass das, was mir machen, illegal sei.
Hast du Polizeigewalt im Rahmen deiner Proteste erlebt?
Ja, ich persönlich aber keine primär körperliche, sondern emotionale Gewalt. Bei einer Anreise nach Lützerath wurde beispielsweise unser Bus keine zehn Sekunden nach dem Start von der Polizei angehalten und wir mussten alle einzeln aussteigen. An jeder Person wurde eine Identitätsfeststellung vollzogen und wir wurden drei Stunden lang durchsucht. Diese psychische Gewalt kann sehr heftig sein. Uns wird permanent das Gefühl vermittelt, dass das was mir machen illegal sei. Diese Kriminalisierung von Klimagerechtigkeit, also die Kriminalisierung von etwas, das unsere Zukunft sichern soll, macht sprachlos.
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