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Stolze Gedichte über Traditionen oder das Vaterland hat sie keine geschrieben: Maria Ditha Santifaller war durch ihre Zeitlosigkeit und ihr Dasein als Kosmopolitin eine völlig neuartige Südtiroler Stimme ihrer Zeit, die – noch bevor es andere namhafte (wohlgemerkt männliche) Südtiroler Autoren getan haben – bereits in Deutsch und Italienisch geschrieben hat. Mit dem einzigartigen Lebenswerk der gebürtigen Kastelrutherin hat sich Literaturwissenschaftlerin und Altphilologin Karin Dalla Torre in ihrer Dissertation beschäftigt.
Maria Ditha Santifaller war als Lyrikerin, Kunsthistorikerin, Journalistin und Übersetzerin tätig und hat ihre Spuren rund um den Globus hinterlassen. Die Mittelschule in Kastelruth trägt den Namen ihres Bruders Leo Santifaller. Maria Ditha Santifaller ist aber in Vergessenheit geraten – Anlass genug, ihre Geschichte in der Mini-Serie „Vergessene Frauen in Südtirol“ aufleben zu lassen.
Sie war ein Sprachengenie.
Karin Dalla TorreLyrikerin, Journalistin, Übersetzerin, Kunsthistorikerin
Maria Christina Santifaller wurde am 30. Juni 1904 in Kastelruth am Lafayhof geboren. Ihre Mutter verwaltete den riesigen Hof mitsamt den Knechten, Mägden und Tagelöhnern, der Vater war Notar. Den Kosename „Ditha“ hat sie ihrem Bruder, Leo Santifaller, der als Kirchenhistoriker den größten Bekanntheitsgrad in der Familie erlangte, zu verdanken. Maria Ditha besuchte in Kastelruth und Bozen die Volks-, Bürger- und eine zweijährige Handelsschule. Nach der Schule war sie für kurze Zeit bei einem Kunstverlag tätig. Als 17-Jährige beschloss sie, den Schritt hinaus in die Welt zu wagen. Für ein Sprachstudium ging sie nach London und Paris, arbeitete danach als Journalistin und Übersetzerin für eine Zeitung am Gardasee und entschied dann, nach Wien überzusiedeln, um Kunstgeschichte und Germanistik zu studieren. Da sie die Matura in Südtirol nicht machen konnte, hatte sie diese 1933 in Niederösterreich nachgeholt. Sie promovierte 1939 und arbeitete in den Jahren danach an der Universität in Florenz, wo sie ein Studium für Kunstführungen, in vier Sprachen, anhängte.
Karin Dalla Torre beschreibt Maria Ditha Santifaller als Sprachengenie: „Ich habe ihren kunsthistorischen Nachlass in Würzburg einsehen können und Tatsache ist, dass sie in fünf Sprachen zu ihren wissenschaftlichen Forschungen korrespondiert hat. Sie hatte, so wie ihr Bruder auch, einfach eine große Begabung. Die Kinder haben in dieser Familie sicher ein förderndes Klima erfahren.“
1944 heiratete Santifaller den Dortmunder Hans Hemsoth und zog mit ihm nach Buenos Aires. Nach seinem Tod führte sie sein Transportunternehmen weiter, vorerst von Dortmund, dann von Peru aus – dorthin war sie mit ihrem zweiten Mann ausgewandert. Wegen des politischen Klimas kehrte das Ehepaar 1970 nach Dortmund zurück, Santifaller übergab die Firmenleitung ihrem Stiefsohn und wandte sich fortan wieder ihren kunstgeschichtlichen Studien zu. 1974 wurde sie als erste Frau zur Ehrenbürgerin der Universität Würzburg ernannt. Vier Jahre später, am 5. November 1978, starb sie im Alter von 74 Jahren in Dortmund.
Das „Santifaller-Leben-Puzzle“
Karin Dalla Torre ist überzeugt davon, dass die Biografie von Maria Ditha Santifaller, mitsamt ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer Literatur, in ihrer Generation, in Südtirol einzigartig ist. Heute wird sie vor allem als österreichische Lyrikerin angeführt. Aber warum? Hat vor allem Südtirol die Frau vergessen? Dalla Torre weiß dies einzuordnen und erweitert die Perspektive: „Wie soll man eine solche Zuordnung vornehmen? Ist sie eine Südtiroler Autorin, weil sie in Südtirol geboren ist, zu einer Zeit, als Südtirol noch Teil von Österreich war? Ist sie Österreicherin, weil sie in Wien studiert hat?“ Es ist sogar so, dass das westfälische Autorenlexikon sie als westfälische Autorin anführt, weil sie lange Zeit in Dortmund gelebt hat und dort einen riesigen Logistikkonzern geleitet hat, berichtet Dalla Torre – sie findet es im Grunde nicht so wichtig, wie sie geographisch eingeordnet wird. „Ich glaube, dass sie in ihrer Zeit eine bedeutende Lyrikerin war, die in deutscher und italienischer Sprache geschrieben hat. Das ist einzigartig bei ihr. Das haben die Autoren in Südtirol, Norbert C. Kaser und auch Gerhard Kofler, erst sehr viel später getan.“ Eine weiterer Aspekt, der dazu beigetragen hat, dass Maria Ditha Santifaller in Vergessenheit geraten ist, ist sicherlich ihre Liebe zum Reisen und Weiterziehen. Dadurch, dass sie immer wieder Wohn- und Aufenthaltsort gewechselt hat und ihre Spuren in der ganzen Welt verstreut sind, muss sich erst einmal jemand finden lassen, der all diese Fitzelchen an Biografie wieder zusammenträgt und zu einem Puzzle zusammenfügt.
Sie war eine neue Stimme ihrer Zeit.
Karin Dalla TorreKarin Dalla Torre hat dies gemacht und viele Stunden, Wochen und Monate in dieses „Santifaller-Leben-Puzzle“ gesteckt. Wie hat sie die Frau aber überhaupt entdeckt? „Den Hinweis auf ihre Person habe ich meinem Doktorvater Johann Holzner zu verdanken“, sagt Dalla Torre, „er hatte sie schon einmal in einem Aufsatz erwähnt und daraufhin zu mir gemeint, dass es sich lohnen würde, bei ihr einmal genauer hinzuschauen.“ Die Lyrik von Maria Ditha Santifaller hat die Literaturwissenschaftlerin dann tief angesprochen: „Ich habe gemerkt, dass sie eine ganz neue Stimme ihrer Zeit war, innovativ, das war keine Heimat- oder Liebeslyrik. Ihre Werke sind zeitlos und ihre wunderschöne, feine Sprache hat mich dann überzeugt.“
Der rote Faden in Maria Dithas Leben trägt einen Namen: Schreiben
So wie sie ein Leben lang geforscht hat, hat sie auch ein Leben lang geschrieben. Ihr lyrisches Schaffen, das überwiegend in den späten 1920er und 1930er Jahren entstand, umfasst fast 230 erschlossene Gedichte. Aber was macht ihre Lyrik so besonders? Warum hätte ihr Schaffen Aufmerksamkeit verdient? Die Literaturwissenschaftlerin sagt, dass Santifaller der literarischen Strömung „Neue Sachlichkeit“, welche sich durch freie Rhythmen und keine Reime auszeichnet, zugeordnet werden könne: „Sie gehörte als Lyrikerin überhaupt nicht in diese Heimat-Literatur-Schiene, sondern war Teil der Wiener-Literatur-Avantgarde. Sie war Mitglied der ‚Gruppe der Jungen‘, und auch bei den Lesungen, die von der Gruppe organisiert wurden, regelmäßig dabei.“ Interessant sei auch, dass Santifaller ihre Heimat Südtirol zwar geliebt, sie aber nie als einen Ort der Sehnsucht in ihren Gedichten dargestellt hätte. Karin Dalla Torre meint, dass man aus ihrer Lyrik herauslesen kann, dass sie nie irgendwo eine Heimat gefunden hat, höchstens beim Schreiben. „Dieses Grund-und-Boden-Motiv taucht in ihrer Lyrik sehr negativ auf, also nichts mit Blut und Boden, herkommenden Vätern, Tradition, nein – das ist bei ihr etwas Negatives. Und das ist spektakulär für diese Literatur in dieser Zeit“, sagt Dalla Torre.
Schwalbe
Auf die Frage, welches Gedicht Karin Dalla Torre von Maria Ditha Santifaller am liebsten mag, antwortet sie: „Schwalbe“. Es geht so:
Schwalbe
Golden sind deine Flügel,
du bist droben im Licht.
Sehnsucht ist dein Anblick,
über engen Gassen
der Schönheit nachzugehen
im sinnenden Abend.
Lange über Städten zu sein,
die ferne glänzen
mit weißen Kirchen auf Hügeln.
Ganz golden sind deine Schwingen
im letzten Licht.
Die wunderbare Rezeptionsgeschichte mache das Gedicht, das Maria Ditha Santifaller in den 1930er Jahren in einer Wiener Zeitung publizierte, für Dalla Torre so besonders. „Kein geringerer als der österreichische Autor und Förderer Karl Kraus hat dieses Gedicht dort gesehen. Allerdings ist ihm der Kontext dieser Publikation auf die Nerven gegangen – er entschied also, das Gedicht dieser jungen, begabten Frau ‚zu retten‘ und es in seiner Zeitung, der ,Fackel‘, noch einmal abzudrucken. Und das ist schon spektakulär. Vor allem, weil Karl Kraus nicht gerade als großer Frauenförderer bekannt ist.“ Zudem hat Kurt Pahlen, der berühmte österreichische Dirigent und Musiker, das Gedicht vertont. „Während meiner Recherchen für die Dissertation habe ich mit ihm korrespondiert und als er mit fast 100 Jahren eine kleine Sammlung seiner Lieder herausgegeben hat, war das Gedicht „Schwalbe“ wieder darunter. Er mochte das Gedicht und auch Maria Ditha Santifaller gern.“ Die Wissenschaftlerin geht davon aus, dass Maria Ditha Santifaller das Gedicht auch selbst gern gemocht hat – sie hat es nämlich in jede Anthologie mit aufgenommen. Und es gibt auch eine Aufnahme, wo sie es selbst liest.
Der Kanon wird immer noch sehr stark von Männern geprägt.
Eine Frage des Kanons
Dass Südtiroler Autoren wie zum Beispiel Norbert C. Kaser oder Gerhard Kofler heute berühmt sind und ihre Werke meist auch in Südtiroler Oberschulen besprochen werden, ist eine Frage des Kanons. Und dieser wird noch immer sehr stark von Männern geprägt, die vor allem als Rezipienten, Kritiker und Verleger tätig sind. Es stellt sich die Frage: Wie steht es um Maria Ditha Santifaller? Hat sie eine Chance, in den literarischen Kanon aufgenommen zu werden? „Santifaller ist natürlich nicht so im öffentlichen Bewusstsein verankert“, sagt Karin Dalla Torre. „Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder versucht, sie irgendwo zu platzieren.“
Dass es allerdings ein größeres, allgemeines, gesellschaftliches Bewusstsein für solche Diskussionen braucht, ist kein Geheimnis. Und Dalla Torre verweist in diesem Kontext auf die amerikanische Germanistin Ruth Klüger, die sagt, dass es sich Frauen nicht leisten könnten, die Männer nicht zu lesen, weil sie dann bedeutende Werke der Weltliteratur nicht kennen würden – „also müssen wir halt beide lesen, Männer und Frauen“, so Dalla Torre.
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