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Sie gelten als eigenwillige Instrumente, die gezähmt werden müssen. Sie verlangen höchste Spielpräzision und bestrafen jede Ungenauigkeit. Die Rede ist von den Stradivaris, die Anfang des 18. Jahrhunderts von Antonio Stradivari in Cremona erbaut wurden und sich seither als Maß aller Dinge etablierten. Warum die Instrumente so einzigartig sind, weiß niemand genau. Selbst die genaue Herkunft ihres Namensgebers bleibt ein Rätsel. Seine erhaltenen und nach wie vor bespielten Geigen, Bratschen oder Violoncelli sind heute mehrere Millionen wert. Aus diesen und noch anderen faszinierenden Stoffen „strickt“ sie, wie es Verena Gruber selber beschreibt, gerne Geschichten. Die gebürtige Boznerin ist Kulturjournalistin, Musik eine ihrer größten Leidenschaften.
In Radiobeiträgen wie „Der Mythos der Stradivari“ nimmt sie ihre Zuhörerschaft mit auf eine Zeitreise, die an Originalschauplätzen in den Gassen Cremonas beginnt. Sie gewährt Einblicke in die damalige Musikszene, Instrumentenbauchtechniken, ja sogar Vermarktungsstrategien und kann damit selbst ein nicht Stradivari-affines Publikum ansprechen. Kultur sollte nämlich zugänglich sein. Dabei agiert Verena nahezu als Verfechterin eines konstruktiven Journalismus, der selbst bejammerten und zu oft durchgekauten Themen wie Politikverdrossenheit oder Migration einen neuen, positiven Dreh verleihen will: „Die Kultur ist dafür ein sehr geeignetes Feld, weil sie nicht nur unterhält oder Gefühle hervorbringt, sondern auch wertvolle Inputs zum Nachdenken liefert. Sich damit auseinanderzusetzen ist zentral fürs Menschsein, egal wie kitschig das auch klingen mag.“
„Meine Lieblingsdisziplin ist die Vielfalt.“
In ihrem Joballtag erschafft Verena Gruber aber nicht nur Geschichten fürs Radio, sondern auch fürs Fernsehen. Sie moderiert Tagungen und Diskussionsrunden und unterrichtet am Medienkolleg in Innsbruck. Begonnen hat ihre abwechslungsreiche Laufbahn aber im Printbereich. „Meine Lieblingsdisziplin ist die Vielfalt“, sagt sie. Neugierde, die Möglichkeit, Dinge kritisch zu hinterfragen und die immer neuen Begegnungen mit Menschen sind die treibenden Kräfte der Vollblutjournalistin. In ihrem alltäglichen Medienkonsum hat die Boznerin sämtliche europäische Qualitätsmedien am Radar, morgens pflegt sie aber ein besonderes Ritual: „Am Frühstückstisch das Ö1-Morgenjournal und die Sendung ‚Pasticcio‘ zu hören, sowie Zeitungen wie die ,Zeit’ oder den ,Standard’ zu lesen, bedeutet für mich Lebensqualität, die ich auch meinem Sohn vermittele. Obwohl er sich im Moment eher für die Wölkchen im Wetterbericht interessiert“, erzählt sie, lächelt, und bricht noch eine Lanze für Printmedien: „Die Haptik ist nicht zu unterschätzen. Ich kann aus einer Zeitung einzelne Geschichten rausschneiden, stapeln und sammeln. Sie erinnern mich daran, dass sie gelesen werden wollen.“
Ihrer großen Leidenschaft für Geschichten frönte Verena bereits von klein auf. Sie schrieb und inszenierte Theaterstücke und Hörspiele, die sie auch auf Band aufnahm, lernte Blockflöte, später Klavier und Geige am Konservatorium spielen und tanzte Ballett. „Das war so meine Welt. Als Kind wollte ich noch Steinsammlerin werden, dann Regisseurin. Das mit dem Journalismus hat sich einfach ergeben“, erzählt sie in einem Café in Innsbruck. Hier lebt sie gemeinsam mit ihrem fünfjährigen Sohn. Ihre Steinsammelwut ist einer sportlichen Bergfaszination gewichen. Beim Skifahren und Klettern könne sie super entspannen, ebenso beim Tango Argentino. Was hält sie von ihrem aktuellen Wohnort? „Ich finde es angenehm, nicht in Südtirol zu leben, weil mir das eine besondere Sichtweise, eine Vogelperspektive aufs Land erlaubt. Ich fühle mich aber auch nicht als Tirolerin, weil ich vorher in anderen Städten gelebt habe“, stellt sie fest. In Nordtirol hat sie einen guten Ausgangspunkt zu ihrem weit verbreiteten beruflichen Netzwerk gefunden. Die freischaffende Journalistin ist nämlich zwischen Norditalien, Wien, Berlin, München, Salzburg und der Schweiz aktiv, macht Sendungen für Ö1, RAI Rundfunk und Fernsehen, aber auch TV-Dokumentationen für Servus TV oder den ZDF. Journalistisch aus- und fortgebildet wurde sie beim ORF und ARD. Für all diese Auftraggeber hat sie auch schon mehrere Wohnorte gleichzeitig. Begonnen hat ihr Werdegang dennoch in Bozen.[[{“fid”:”24080″,”view_mode”:”default”,”fields”:{“format”:”default”,”field_description[und][0][value]”:””,”field_description[und][0][format]”:”full_html”,”field_imagesource[und][0][value]”:”Ivo Corrà “,”field_license_type[und]”:”_none”,”field_url[und][0][url]”:””,”field_tags[und]”:””},”type”:”media”,”attributes”:{“height”:519,”width”:780,”class”:”media-element file-default”},”link_text”:null}]]
Als sie beschloss, Journalistin zu werden, empfahl ihr ein Berufsberater, sich der Politikwissenschaft mit Kunst- und Musik-Fächerbündel zu widmen. Sie studierte aber lieber Geschichte und Germanistik und ging nach der Matura zuerst nach Innsbruck und dann nach Wien. Nebenbei schrieb sie Buchrezensionen und Kulturberichte für die „Dolomiten” und machte die Pressearbeit fürs Haydn Orchester von Bozen und Trient. „Ich hatte eigentlich nicht vor, nach Bozen zurückzukehren, aber als mir nach dem Studium ein ORF-Praktikum in Bozen angeboten wurde, konnte ich einfach nicht nein sagen“, erinnert sich Verena. Dann kam sie 2002 zur „Südtiroler Tageszeitung”, „zur Stimme, die dagegen war. Ich fand das Blatt toll und durfte mit gerademal 27 Jahren die Kulturredaktion mehr oder weniger allein schaukeln“, fährt sie begeistert fort. Hier lernte sie auch, ihre eigene kritische Stimme zu schulen. Da sie zuvor in Wien gelebt hatte, kannte sie in der Südtiroler Kulturszene kaum jemanden: „Gerade aus dieser Vogelperspektive konnte ich es mir leisten, meine unverblümte Sicht der Dinge niederzuschreiben.“ Verklären will Verena ihre Anfänge trotzdem nicht: „Ich habe natürlich auch hier meine Fehler machen müssen.“
Als ein paar Jahre später Peter Paul Kainrath mit einem Auftrag in seiner Filmproduktionsfirma auf sie zukam, sprang sie erneut ins kalte Wasser. „Ich hatte keine Ahnung vom Filmbereich, konnte mir aber viel von Peter Paul abschauen“, beschreibt die Journalistin ihren Wechsel. Die Arbeit mit bewegten Bildern, wo die Sprache als Unterstützung fungiert, lag ihr sehr, zudem sah sie in Kainrath nicht nur einen großen Meister, sondern bald auch einen Freund. Der gebürtige Bozner und Tausendsassa ist Pianist, Kulturmanager und künftiger Intendant des Wiener Klangforums. Ob Dokumentationen, Berichte für „Kulturzeit”, „dF-Frauenmagazin” oder der Aufbau des neuen Formats „Minet” – die Zusammenarbeit mit Kainrath war für Verena einmal mehr eine lehrreiche. Nebenbei betreute sie nach wie vor die Pressearbeit mehrere Kulturinstitutionen: „Auch eine wertvolle Erfahrung, weil ich dadurch die Seite kennenlernen durfte, die Journalistinnen und Journalisten mit Informationen beliefert. Mich aber nur dieser Arbeit zu widmen, wäre mir zu eintönig“, verrät Verena schulterzuckend. Dann lächelt sie und bekräftigt einmal mehr: „Ich will ja Geschichten erzählen.“
„Ich führe ein unstetes Leben, aber ich will meine Linie in Eigenregie finden.“
Wie dieses Unterfangen vor der Kamera gelingt, erlernte sie beim ORF und „Südtirol Heute”, wo sie acht Jahre lang blieb. In dieser Zeit entdeckte sie auch das Medium Radio für sich. Für Ö1 übernahm sie die Berichterstattung aus Norditalien, ein Tätigkeitsfeld, dem sie noch heute als freischaffende Journalistin treu geblieben ist: „Fernsehen geht ins Auge, Radio ins Ohr. Und aktiviert Bilder im Kopf“, sagt sie. 2013 hatte sie genug von der tagesaktuellen TV-Berichterstattung und machte sich erneut selbstständig: „In Sachen Jobfindung hatte ich immer Glück. Irgendwie sind immer Leute auf mich zugekommen, ich musste mich nie bewerben. Als ich zurück in die Selbstständigkeit ging, war mein Sohn knapp ein Jahr alt, und ich musste mein Netzwerk wieder neu aufbauen. Das war schon ein Wahnsinn“, erinnert sich Verena. Seitdem gleicht kein Tag dem anderen. Um abzuschalten, liest sie zwar am liebsten Romane, doch hin und wieder gönnt sie sich ein bisschen leichte Unterhaltung mit Frauen- und Wohnzeitschriften: „Ich mag Architekturmagazine für die breite Masse, die den Traum eines eigenen Landhauses im Mittelgebirge beflügeln. Dann stelle ich mir vor, wie ich dort nur lese, Kuchen mit meinem Kleinen backe und Geige spiele“, gesteht sie und lacht. Frau wird ja wohl noch träumen dürfen. Denn im Gegensatz zu einem getakteten Fixjob in einer Redaktion, verlangt ihr Alltag als Selbstständige viel mehr Flexibilität: „Ich führe ein unstetes Leben, aber ich will meine Linie in Eigenregie finden“, stellt sie klar. Den Traum vom Landhaus erfüllt sie sich später. Vielleicht.
Obwohl sich die Medienwelt gerade radikal verändert und der Journalistenberuf ein Imageproblem hat, traut Verena ihrer Branche viel Positives zu: „Buchdruck und Radio wurden oft totgesagt, sind aber nach wie vor präsent.“ Das Internet? „Trägt auch zur Medienvielfalt bei.“ Der Wandel hat Altbekanntes bereits erschüttert, da beispielsweise das Netz schneller als Print und Fernsehen auf Tagesaktuelles reagiert. Der Bedarf an guten Inhalten wird ihrer Meinung nach aber immer gegeben sein, unabhängig von ihren Kanälen. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Mehr Integrität, aber auch Zeit für gute Recherchen und Faktenanalysen, dann wird Journalismus auch mit Wertschätzung belohnt. Es gibt viele gute Leute, die in diesem Feld mit der richtigen Motivation agieren“, antwortet sie bestimmt.
Fragt man Verena nach den Schattenseiten ihres Berufes, nennt sie prompt die ungleiche Wahrnehmung von Männern und Frauen, vor allem vor der Kamera: „Eine Moderatorin sollte immer frisch, knackig und faltenlos bleiben, aber wenn ein Moderator eine Glatze bekommt, regt sich niemand auf“, gibt sie in leicht scherzhaftem Ton zu bedenken. Das Thema ist ihr aber ein ernstes Anliegen. Denn egal wie clever ein Moderationstext formuliert ist, wie raffiniert die Übergänge – das Publikum scheint am liebsten über Äußerlichkeiten urteilen zu wollen. „Manche haben sogar in der Redaktion angerufen und fragten, warum ich diese eine Bluse oder diese bestimmte Lippenstiftfarbe trage“, weiß Verena aus Erfahrung. Das ist unangenehm. Einem männlichen Kollegen passiere das nie. Warum eigentlich? „So ist das Medium Fernsehen, das muss man wegstecken können“, bedauert sie. Und sagt: „Mich hat es zum Glück stärker gemacht.“
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