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Lucia Baumgartner
Veröffentlicht
am 27.05.2024
LeuteÜber Geld spricht man (nicht)

Die Friseurin

Veröffentlicht
am 27.05.2024
Zwischen Schere und Vorurteilen: In unserer neuen Artikelserie „Über Geld spricht man (nicht)“ spricht Elisabeth Tratter über die Realität des Friseurhandwerks, ungerechte Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung.
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Elisabeth Tratter ist 31 Jahre alt und Friseurin. Ihre Ausbildung hat sie im Jahr 2009 begonnen und 2015 mit der Gesellenprüfung abgeschlossen.

Wie lange dauert die von dir gewählte Ausbildung? Und wie lange warst du in der Ausbildung?

Als ich meine Ausbildung absolvierte, dauerte sie insgesamt fünf Jahre. In den ersten drei Jahren arbeitete ich an vier Tagen in der Woche und am fünften Tag besuchte ich die Schule. Die letzten beiden Ausbildungsjahre wurden von uns auch „Praxisjahre“ genannt: Der Schultag fiel weg, und man arbeitete fortan Vollzeit. Ich habe für meine Ausbildung sechs Jahre gebraucht, da ich währenddessen eine kurze Auszeit genommen habe.

Konntest du Erfahrungen im Ausland sammeln?

Während meiner Ausbildung war ich in verschiedenen Salons in Südtirol tätig. Außerdem war ich drei Mal in London, um dort Kurse zu besuchen. In Paris habe ich einmal auf der Fashion Week gearbeitet. Ansonsten war ich sehr oft in Mailand, um Kurse zu besuchen, außerdem durfte ich auch dort mehrmals auf der Fashion Week mitarbeiten.

Wie viel hat dich die Ausbildung gekostet?

Die Ausbildung hat mich nichts gekostet, und die Weiterbildungskurse, die ich im Ausland absolviert habe, wurden netterweise von meinen damaligen Arbeitgebern bezahlt. Allerdings habe ich nach meiner Ausbildung noch ein Jahr eine Friseurakademie besucht, welche mich 1.300 Euro gekostet hat.


Heute hast du einen eigenen Salon. War das immer schon dein Plan?

Der Wunsch, einen eigenen Salon zu führen, war immer schon da, ja. Im Jahr 2019 kam meine erste Tochter zur Welt, und ich nahm mir nach der Geburt eine kurze Auszeit. Da packte ich die Chance am Kragen und entschied, mich selbstständig zu machen. Mittlerweile bin ich zweifache Mama. Die Arbeit mit der Familie zu vereinbaren, ist nicht immer einfach. Die Selbstständigkeit aber verschafft mir Vorteile, ich kann mir zum Beispiel meine Arbeitszeiten selbst einteilen. Was allerdings dazu kommt, ist die Arbeit außerhalb der Öffnungszeiten. Da fällt zum Beispiel das Einkaufen der Produkte, die Abrechnungen, das Aufräumen und das Herrichten für den Arbeitstag hinein. Das sind Dinge, die man sonst nicht sieht, beziehungsweise jemand anderes erledigt, die ich so aber immer selbst erledigen muss.

Die Praxis, die uns in der Ausbildung vermittelt wurde, war sehr veraltet. Manche Methoden waren über 20 Jahre alt.

Elisabeth Tratter

Wie würdest du das Zusammenspiel zwischen Theorie (Ausbildung) und Praxis (Beruf) einschätzen? Konntest du während der Ausbildung genug Erfahrungen sammeln?

Die Theorie wurde während meiner Schulzeit sehr intensiv und genau erarbeitet. Die Praxis, die uns damals vermittelt wurde, war sehr veraltet. Manche Methoden waren über 20 Jahre alt. Neue Techniken und Trends? Fehlanzeige. Solche Dinge lernt man dann immer erst in der konkreten Praxis, also im Berufsalltag. Dazuzusagen ist auch, dass nicht alle Salons mit super neuen Techniken arbeiten, und wenn man dann als Lehrling in einem solchen Salon landet, ist dies schade, weil man nicht die Möglichkeit bekommt, neue Sachen auszuprobieren. Auch wenn Lehrlinge nur Kehren und Zusammenräumen müssen – das hat nicht sehr viel mit dem eigentlichen, späteren Beruf zu tun. Aber klar, Verantwortung übernehmen und sauber arbeiten muss man manchmal auch erst lernen. Vielleicht hat sich mittlerweile auch einiges geändert – hoffentlich. Aber meine Erfahrungen waren diese.

Ich kann mich glücklich schätzen: Mein alter Arbeitgeber hat uns immer die Möglichkeit gegeben, Dinge auszuprobieren und zu üben. Einmal im Monat durften wir abends unsere Freunde und Familie in den Salon einladen und an deren Köpfen neue Techniken ausprobieren (lacht). Auch während der Salon geöffnet war, hat er uns immer die Möglichkeit gegeben, bei Kund:innen zu probieren, sofern diese natürlich damit einverstanden waren.  

Es kam zu Vorurteilen wie: Friseurin? Da verdient man ja nicht gut, oder? Und anstrengend auch noch, den ganzen Tag stehen. Außerdem hantierst du ständig mit Haarfarben und anderen Mitteln herum.

Elisabeth Tratter

Gab es Momente in denen du gedacht hast: „Oje, und was jetzt? Was mache ich jetzt? Wie gehe ich damit um?“

Ja klar, die gab es. Es waren vor allem jene Momente, in denen Kund:innen mit Vorstellungen kamen, die ich nicht an einem einzigen Termin ausführen konnte. Manchmal kommen Kund:innen auch mit Wünschen, von denen ich eher abrate – die Kompetenz, Vertrauen aufzubauen und zu erklären, warum bestimmte Dinge nicht besonders klug sind umzusetzen, weil das Haar z.B. kaputt werden kann oder eine Farbe dem eigenen Hauttyp nicht steht – das musste ich erst lernen. Aber mit der Zeit gewinnt man an Selbstvertrauen und traut sich auch, das eigene Wissen anzuwenden.

Wie reagieren Menschen, wenn du ihnen als Friseurin gegenübertrittst? Gibt es Vorurteile oder Stereotype?

Mittlerweile reagieren Menschen immer gut, wenn ich erzähle, dass ich Friseurin bin. Vor ca. zehn Jahren sah das allerdings anders aus. Da kam es oft vor, dass ich sofort mit Fragen über meinen Lohn, der anstrengenden, körperlichen Arbeit oder mit den giftigen Haarfärbemitteln konfrontiert wurde. Da kamen dann Dinge wie: Friseurin? Da verdient man ja nicht gut, oder? Und anstrengend auch noch, den ganzen Tag stehen. Außerdem hantierst du ständig mit Haarfarben und anderen Mitteln herum. Es hat sich also vieles zum Positiven gewandelt (lacht). Die Produkte, mit denen man arbeitet, sind viel besser geworden , sodass für uns Friseur:innen und auch für Kund:innen kein gesundheitliches Risiko mehr besteht. 

Wie würdest du den Einstieg ins Berufsleben allgemein in Südtirol einschätzen?

Ich wage zu behaupten, dass sich der Einstieg in die heutige Berufswelt nicht schwieriger als vor 15 Jahren gestaltet. Eigentlich hat sich einiges sogar verbessert: Heute geht es den Lehrlingen gut. Es wird darauf geachtet, dass am Arbeitsplatz ein gutes Arbeitsklima herrscht, dass sie nicht mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten und nicht mehr Überstunden machen, als vorgegeben sind. Heute traut sich niemand mehr diese Gesetze zu brechen. Das einzige, das sich nicht verbessert hat, ist das Gehalt. Das ist immer noch gleich schlecht wie zu meiner Ausbildungszeit. 


Wie bewertest du die Lage der Friseur:innen allgemein? Warum ergreifen so wenige junge Menschen Berufe im Dienstleistungssektor? 
Die Kollektivverträge wurden in dieser Hinsicht eigentlich nicht geändert. So sollen wir in der Privatwirtschaft genauso arbeiten wie jede:r andere und sind den ganzen Tag auf den Füßen, bekommen aber weit weniger als jemand, der im öffentlichen Sektor halbtags arbeitet. Das finde ich nicht gerecht. Und das ist ein wesentlicher Grund, warum immer weniger Menschen in diesen Bereichen arbeiten.

Wenn ich heute eine Wohnung bezahlen und eine Familie ernähren muss, dann kann so ein Gehalt nicht gerecht sein.

Elisabeth Tratter

Wie viel verdienst du netto im Monat? (+/- 100/200€)

Als ich vor ca. 15 Jahren meine erste Lehrstelle angetreten habe, bekam ich am Ende des Monats 480 Euro auf mein Konto überwiesen. Ich arbeitete damals nicht 40 Stunden pro Woche, sondern weitaus mehr. Ich freute mich sogar darüber, denn es war ja mein erstes Gehalt. Ich wohnte bei meinen Eltern zu Hause und für meine Freizeit reichte das Geld aus. Als ausgelernte Friseurin beträgt das Nettogehalt 1.170 bis 1.200 Euro, allerhöchstens. Ich wusste schon vor meiner Ausbildung, dass der Beruf schlecht bezahlt ist, allerdings wollte ich nicht wegen des Geldes Friseurin werden, sondern aus Leidenschaft. Das Geld war eine Nebensache. Aber wenn ich heute eine Wohnung bezahlen und eine Familie ernähren muss, dann kann so ein Gehalt nicht gerecht sein.

Findest du, dass dein Sektor genügend geschätzt wird?

Manchmal frage ich mich, warum junge Menschen, die gerade die Matura abgeschlossen haben und keinerlei Berufserfahrung vorweisen können, in einen ersten Job einsteigen und nach dem ersten Monat sofort ein Gehalt von 1.500 Euro überwiesen bekommen. Ich verstehe das nicht, denn Handwerkerinvestieren in derselben Zeit in eine Ausbildung, gehen nebenbei zur Schule und verdienen trotz abgeschlossener Ausbildung weniger als die erstgenannten. Das erscheint mir ungerecht, und ich finde, dass solche Ungleichheiten überdacht werden sollten.

Was würdest du dir für dein Berufsbild wünschen?

Es gab einmal eine Imagekampagne mit dem Slogan „Ohne Handwerk wird es dunkel“. Dieser Slogan erscheint mir äußerst passend, denn ohne Handwerk gäbe es viele Dinge, die im Alltag als selbstverständlich erscheinen, nicht mehr: keine erneuerbare Energie, keine Wärmedämmung, keine Autos, keine Häuser, keine Kleidung, keine Schuhe.

Seit zwei Jahren engagiere ich mich im örtlichen „Junghandwerker-Ausschuss“, wo wir gemeinsam daran arbeiten, dass mehr Kinder und Jugendliche über unsere Berufe erfahren. Wir möchten ihnen zeigen, wie bereichernd das Handwerk sein kann und welchen Einfluss man mit den eigenen Händen haben kann. Jedes Jahr organisieren wir an den Mittelschulen einen Handwerkertag. In diesem Jahr besuchen wir sogar Grundschulen, um den Kindern zu zeigen, wie wichtig das Handwerk für die Gesellschaft ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Jugendliche an einem handwerklichen Beruf interessiert wären, sich aber nicht trauen, einen solchen Beruf zu erlernen, weil ihnen gesagt wird – und das stimmt auch – dass handwerkliche Berufe schlecht bezahlt werden. Viele entscheiden sich dann für ein Studium.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Kinder ihre Interessen und Stärken frei entfalten können, dass die alten Klischees rund um das Handwerk verschwinden und junge Menschen über ihre Karrieremöglichkeiten aufgeklärt werden. Sie sollen wissen, wie man die Selbstständigkeit erlangt und was dafür benötigt wird. Ich wünsche mir mehr Respekt von der Gesellschaft hinsichtlich praktischer Fertigkeiten und fachlichen Wissens – dass Handwerker genauso viel Respekt erfahren wie jemand, der eine akademische Ausbildung absolviert hat. Und dieser Respekt sollte sich auch im Gehalt widerspiegeln.

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