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Es ist beinahe still, als ich zwei Tage vor der Vernissage von 46° 40‘ 14‘‘ North, 11° 9‘ 35‘‘ East imPalais Mamming vorbeischaue. Nur ein leises Rascheln ist hier, im obersten Stock des ältesten Stadtmuseums Südtirols, zu hören, und es riecht ein bisschen wie draußen, nach Herbst. „Eigentlich ist jetzt gerade die schlechteste Zeit, um Pflanzen zu finden“, sagt Anna Zadra gleich. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch.
Die 32-Jährige Künstlerin ist gerade dabei, ihre Fotodokumentationen an den Fensterscheiben anzubringen. Es handelt sich um Bilder des Außenbereiches des Palais Mamming sowie des Tappeinerwegs – vom Pflanzenreichtum aus betrachtet. Anna erzählt mir, wie dieser ursprünglich Teil des Museums sein sollte – inzwischen ist der Weg hierhin verwildert, und die Natur hat begonnen, ihre Umgebung selbst zu gestalten: Im kleinen Innenhof, der ursprünglich ebenfalls von den Besuchenden belebt werden sollte, haben sich von alleine zahlreiche Jungpflanzenarten angesiedelt – Wein, Ackerschachtelhalm, eine Ulme, eine Esche, Oleander, verschiedene Palmenarten.
Warum sich Anna so gut mit Pflanzen auskennt? „Ich habe irgendwann angefangen, mich für Wildpflanzen zu interessieren, zuerst aus ästhetischer Sicht, dann mit Blick auf ihren Nutzen“, erklärt sie. Während sie dies erzählt, baut sie Sockel für einige ihrer Skulpturen aus Springkraut-Wurzeln, die sie in eine Arbeit von Jan Langerintegrieren möchte. Jan, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raums arbeitet, ist gerade mit einer perspektivischen Installation aus Ästen und Buchenblättern beschäftigt – daher das Rascheln.
Es ist das erste Mal, dass die beiden miteinander arbeiten – und auch das erste Mal, dass sie in einen Dialog mit einem/einer anderen Kunstschaffenden treten. „Obwohl wir beide mit Naturmaterialien arbeiten, sind wir doch sehr verschieden. Jan hat eine ganz andere Formensprache“, sagt die gebürtige Wienerin und Jan, der „jetzt mal eine Pause braucht“ ergänzt: „Ich bin eigentlich Autodidakt, aber es ist mal was anderes und auch spannend, in einem bestimmten, vorgegebenen Rahmen zu arbeiten.“ Der 49-jährige Landart-Künstler ist seit zehn Jahren in der freien Natur unterwegs. Er schafft vor Ort kurzlebige Objekte aus Materialien, die er dort vorfindet, fotografiert sie und überlässt sie schließlich sich selbst. Mit dem arbeiten, was vor Ort vorhanden ist – das ist eine Gemeinsamkeit der beiden Kunstschaffenden. Und auch Annas Kunst ist vergänglich und landet nach einer Ausstellung meistens im Biomüll. Denn die Pflanzen, Äste und Wurzeln werden spröde und zerfallen nach einer bestimmten Zeit. „Der Sammler wird sich nicht freuen“, lacht sie.
Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet.
Paul CézanneAnna bringt Naturelemente ins Innere und lässt die Betrachtenden mit ihren „gestützten Wesen“, wie sie ihre Werke nennt, in Kontakt treten. Dabei gehe es ihr um Materialität, Geruch und die Botschaft, dass es auf der Welt mehr gibt als nur uns Menschen. „Ich möchte ein Bewusstsein schaffen für andere Lebewesen, Pflanzen und Tiere.“ Anna hat Kürbispflanzen aus ihrer Heimat, der Steiermark, mitgebracht, Drähte halten die Skulpturen in Form. „Drähte sind für mich leicht zu händeln und für Pflanzen eigentlich ein dankbares Hilfsmittel“, erklärt sie mir. Drei weitere Eisenobjekte aus der Gärtnerei werden mit Perückenstrauchblüten versehen – ein Kontrast zwischen Fragilität und Stabilität.
Für Jan Langer ist seine Kunst eine Art „kindliches Spiel“, so sagt er mir, und auch seine Naturverbundenheit begleitet ihn schon ein Leben lang. Dass er nun das erste Mal Kunst in einer von Menschenhand geschaffenen Umgebung macht, ist für den 49-Jährigen neu, aber da ist ein Funkeln in seinen Augen, das zeigt: Womöglich ist es nicht das letzte Mal. „Plötzlich Corten-Stahl mit meinen Fingern zu spüren und den Stadtlärm im Hintergrund zu vernehmen, war für mich ungewohnt, aber eine gute neue Erfahrung.“ Wie sonst auch, hat er sich dem Ort auch dieses Mal erstmal angenähert. Ein „entschleunigendes Kennenlernen“, nennt er es, sei für ihn essenziell, um anschließend etwas schaffen zu können.
Er zeigt auf eine Fotografie einer Felswand, die man direkt vom Fenster aus sieht und erklärt, dass er hierfür Blätter vom Wilden Wein zugeschnitten und platziert habe. Für ein anderes Kunstwerk waren es Akazien-, für ein drittes waren es Ahornblätter. Für den Schaffensmoment werden seine Materialien zum Beispiel mit Lehm, feuchter Erde oder Wasser befestigt. Jan Langer geht es immer um Form und vor allem Perspektive – das erlebe ich selbst, als ich mich vor die Installation stelle, an der der Grissianer gerade im Museumsraum arbeitet. „Man muss genau am Fluchtpunkt stehen, damit der Effekt gegeben ist“, erklärt mir Jan, der in den letzten zwei Jahren immer wieder mal Naturkunst in Atelierräumen macht, statt „nur“ im Freien. Für die Ausstellung im Palais Mamming arbeitet er auf drei Ebenen, so Jan. Die erste ist der unmittelbare Außenbereich, in dem auch die Werke entstanden sind, die nun als Fotos an der Wand hängen. Die zweite Ebene ist die Auseinandersetzung mit dem Tappeinerweg, auf dem er Piniennadeln eingesammelt und ins Innere geholt hat: „Die werden in der Natur herumgeweht und verfangen sich in alles mögliche – das habe ich mit Organzastoff nachgestellt.“ Und die dritte Ebene ist die Perspektive auf das Gesamte: Darum geht es in seiner perspektivischen Installation, vor der wir gerade stehen. „Ich habe schon acht Stunden daran gearbeitet, etwa zwei fehlen mir noch“, lacht er und widmet sich wieder seinem Laub, das er aus schwarzen Müllsäcken herausholt.
Das Gefühl für Form, Struktur, räumliche Dimension, die Liebe zur Natur und nicht zuletzt die Faszination an der Vergänglichkeit verbindet die Arbeit der beiden Künstler:innen. „Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet.“ Dieses Zitat des französischen Malers Paul Cèzannes bringt die Kunst von Anna Zadra und Jan Langer auf den Punkt. Während Annas Werke irgendwann bei Berührung zerfallen, holen sich Jans Installationen Natur und Wetter zurück. Doch ist es wohl genau diese Kurzlebigkeit, von der eine besondere Faszination und Magie ausgeht. Denn dem, was begrenzt ist, schenken wir meist einen viel viel tieferen Blick.
Dieser Beitrag wurde von unserer Redakteurin Sarah Meraner im Rahmen der literarischen Begleitung der von Ursula Schnitzer kuratierten Ausstellungsreihe „Mamming now: gestern – heute – morgen“ verfasst.
In der zweiten Ausstellung der Reihe „Mamming Now: gestern-heute-morgen“ setzen sich Anna Zadra (*1992) und Jan Langer (*1975) mit dem Terrassengarten des Museums auseinander. Morphologie, Architektur und Vegetation werden zum dritten Dialogpartner, die Geolokalisation, 46° 40‘ 14‘‘ North, 11° 9‘ 35‘‘ East, wird zum Ausstellungstitel.
Die Ausstellung ist vom 28.11.2024 bis 06.01.2025 im Palais Mamming zu sehen.
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