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Bei ihrer ersten Italienmeisterschaft waren die Schwestern Nadia und Anna-Maria Perkmann schockiert, als sie die schwierigen und für sie unbekannten Tricks der Konkurrenz sahen. Ihre Hoffnung auf eine Medaille war dahin. Und doch holten sie sich bei diesem ersten Freestyle-Wettkampf den dritten Platz in der Kategorie Paarkür.
Heute, zwei Jahre später, führen die inzwischen amtierenden Italienmeisterinnen ihre Kür noch einmal vor, in der Turnhalle der Grundschule Naturns – ihrem Übungsraum. Mit einem Satz schwingen sie sich in die breiten Sattel ihrer 20-Zoll-Einräder, strecken die Arme aus und treten gleichmäßig in die Pedale. Aus dem CD-Spieler ertönt das Lied „Something I Need“ von One Republic. Die 15-jährige Anna-Maria und die 18-jährige Nadia legen los. Drehungen, komplizierte Sprünge und waghalsige Tricks, bei denen man als Zuschauer schon einmal den Atem anhält.
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„Einer der schwierigsten Tricks ist es, mit einem Bein auf die andere Seite des Rads zu kommen und damit das Pedal anzutreiben“, sagt Anna-Maria. Dabei müsse man schnell und präzise sein. „Wenn man nicht fleißig übt, hat man keine Chance“, ergänzt Nadia. Deshalb steigen die Schwestern vor allem im Sommer jeden Tag aufs Einrad. Sie üben entweder für sich, trainieren den Einrad-Nachwuchs oder bringen Interessierten aus dem Dorf das Fahren bei. Das sei vor allem bei älteren Anfängern oft ein schwieriges Unterfangen. So einfach wie das Ganze bei den beiden aussieht, ist es nämlich nicht. Gleichgewicht, Mut und Überwindung sind das A und O beim Einradfahren. „Man muss sich trauen, das ist die größte Herausforderung“, sagt Nadia, die zurzeit eine Ausbildung zur Kleinkindbetreuerin macht. Ebenso wichtig: Kraft in den Beinen und Kondition.
„Im Sommer gehen wir zum Trainieren mit unseren Einrädern oft auf den Berg“, sagt Nadia.
Anna-Maria und Nadia sind einige der wenigen Einradfahrer, die fast alle Disziplinen beherrschen, die es in diesem Sport gibt: Race – das Rennen auf Leichtatlethikbahnen, Freestyle – eine Kür aus Tricks, sowie Muni (die Abkürzung für Mountain Unicycling), wozu Downhill, Uphill und Cross Country zählen. Hier ist vor allem Kraft in den Füßen gefragt, denn bei den Rennen geht es mehrere Kilometer steil bergauf und bergab.
„Im Sommer gehen wir zum Trainieren mit unseren Einrädern oft auf den Berg“, sagt Nadia. Dann rasen die Schwestern hintereinander auf speziellen 26-Zoll-Downhill-Einrädern mit breiteren Reifen und Bremsen die holprigen Trails hinunter und kriegen dabei „einen ziemlichen Speed drauf“. Begegnet den beiden jemand, gibt es immer wieder erstaunte Blicke und zahlreiche Fragen. Sogar den ein oder anderen Downhill-Fahrer überholen Anna-Maria und Nadia Perkmann dann.
Wer von diesen Bikern noch nie Einrad gefahren ist, kann sich wohl kaum vorstellen, wie man ohne Lenker heil den Berg hinunter kommt. Für die Naturnserinnen ist es genau umgekehrt: Sie könnten sich nicht vorstellen, auf zwei Rädern steile, holprige Trails bergab zu fahren. „Mit dem Fahrrad wäre es schwieriger, da kugelt man blöder“, lacht Anna-Maria. „Beim Einrad springt man einfach ab“, ergänzt sie mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie mit dem Einrad an den Beinen geboren.
Denkt man an Einräder, kommt einem vor allem ein Gedanke in den Sinn: der Zirkus. Dass das Einradfahren aber auch ein anspruchsvoller Sport ist, ist hierzulande weitgehend unbekannt. Dabei gibt es mittlerweile auch in den Gemeinden Villanders, Latzfons, Lajen, Kaltern und Lana Einradgruppen. Die Gruppe in Naturns hat sich vor drei Jahren rund um Nadia geformt, die die Idee dazu hatte. „Es kamen mit der Zeit einfach immer mehr Leute dazu“, sagt sie. Seit Anfang des Jahres ist die Gruppe offiziell beim Amateursportverein SSV Naturns Raiffeisen dabei und besteht heute aus 60 Mitgliedern im Alter von fünf bis 50 Jahren – und es werden immer mehr. „Bei uns in Naturns sind die Kinder fast mehr auf Einrädern als auf Fahrrädern unterwegs“, sagt Anna-Maria. Sie stieg zum ersten Mal mit fünf Jahren aufs Einrad, Nadia mit sieben.
Angefangen haben die Geschwister mit Fußball und Klettern. Dann fand in Naturns eine Zirkuswoche statt und so kamen die beiden – ganz klassisch – zum Einrad. Zirkuspädagoge Sepp Marmsoler hat sie damals mit dem „Einradvirus“ infiziert und ihre Eltern unterstützten sie vom ersten Tag an bei ihrer neuen Leidenschaft. Seit sieben Jahren veranstaltet die Einradgruppe für alle Interessierten einmal im Jahr einen Einradtag mit Hindernisparcours, Aufführungen und Workshops.
Nach der Zirkuswoche legten die Schwestern das Einradfahren vorerst auf Eis. Erst vor dreieinhalb Jahren begannen sie, zu trainieren. Mit Erfolg. Die Beiden konnten bereits mehrere Preise abstauben. Ihre größten Erfolge erkämpften sie sich bei der UNIOEC-Euopameisterschaft in Mondovi. Nadia gewann in ihrer Alterskategorie Gold in Slow Forward und Silber in Cross Country. Anna-Maria gewann in der Gesamtwertung Bronze in der Disziplin Uphill und ist somit die drittbeste Europas. Außerdem erzielte sie in der jeweiligen Alterskategorie Gold in Uphill, Silber bei den 400 Metern und Bronze in den Disziplinen Wheel Walk, 800 Meter und Cross Country.
Während die Mädchen in der Halle ihre Runden drehen, schwärmen sie immer wieder von der Vielseitigkeit des Sports. Auch ihre Eltern haben sie mit ihrer Begeisterung dazu bewegt, sich auf den Einrädern zu versuchen. „Es wird nie langweilig“, sagt Nadia. „Hat man mal keine Lust auf die Halle, dann geht man nach draußen oder auf die Bahn.“ So kommt es auch manchmal vor, dass sie sich bei Wind und Wetter oder sogar bei Schnee ihr Einrad krallen und einfach drauflos fahren. „Mir gefallen am besten die Freestyle-Tricks und das Downhill fahren, da kann man es so schön brettern lassen“, lacht Anna-Maria.
Gerade trainieren die beiden für die Freestyle-Italienmeisterschaft in Varese am 15. November. Neue, noch schwierigere Tricks sind geplant. Und dann visieren sie die Weltmeisterschaft im spanischen San Sebastian an. Ihr Ziel: So viel wie möglich erreichen, Spaß haben und ihre Erfahrungen an die vielen Einradtalente weitergeben.
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