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Lucia Baumgartner
Veröffentlicht
am 11.10.2024
LeuteHistory

Die beklauten Frauen 

Veröffentlicht
am 11.10.2024
Noch nie von Rosalind Franklin, Elisabeth Hauptmann oder Mileva Marić gehört? Der Grund dafür: Alle drei Frauen wurden von berühmten Männern, nämlich von James Watson, Bertold Brecht und Albert Einstein, ihres Wissens, ihrer Kunst oder ihrer Identität beraubt.
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Rosalind Franklin, 1955

Wir schreiben das Jahr 1952. Rosalind Franklin sitzt in ihrem Labor am Londoner King’s College und klebt ein sauberes Röntgenfoto still in ihr Notizbuch. Ihr Vermerk dazu: „Foto 51. Gut. Nassfoto.“ Sie hat gerade etwas Bahnbrechendes entdeckt, nämlich den Aufbau einer Säure, die der Bauplan allen Lebens sein soll: die DNA. Im Jahr 1962, werden zwei Männer für dieselbe Entdeckung den Nobelpreis erhalten. Franklins Geschichte ist fast unglaublich. Sie zeugt von so viel Ungerechtigkeit, dass man hofft, eine solche Geschichte nur einmal lesen zu müssen. Aber leider sieht die Realität anders aus – sie ist nur eine von vielen Frauen, der eine solche Ungerechtigkeit widerfahren ist. Wie heißen sie, diese „beklauten Frauen“? Und welche Geschichten haben sie uns zu erzählen?   

Die Journalistin und Historikerin Leonie Schöler dokumentiert in ihrem Buch „Beklaute Frauen“ genau dieses Thema und deckt die wahrscheinlich größten Betrugs- und Missbrauchsfälle 200-jähriger europäischer Geschichte auf. Die Fälle sind alle unterschiedlich, doch kreisen sie alle um denselben Kern: Es geht um Frauen, die von Männern ihres Wissens, ihrer Kunst oder ihrer Identität beraubt wurden. Von Männern wie Bertolt Brecht zum Beispiel – ihn lernen wir im Deutschunterricht als den Begründer des epischen Theaters und als größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts kennen. Mutter Courage und ihre Kinder, Der gute Mensch von Sezuan, Dreigroschenoper – diese Werke zählen zu seinen bekanntesten. Dass er aber nicht der alleinige Autor dieser Werke war, wissen nur die wenigsten.  

Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann 1927

Brechts Zu- und Mitarbeiterinnen
Brecht war wohl einer der gemeinsten und skrupellosesten Männer, der Frauen für sich arbeiten ließ, um sie nach verrichteter Arbeit und nach großen Erfolgen wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. Der große Dramatiker spannte nämlich Ende der 1920er-Jahre ein regelrechtes Netz an Zu- und Mitarbeiterinnen um sich. Die junge Elisabeth Hauptmann spielte dabei eine ganz besondere Rolle in diesem Geflecht. Hauptmann übersetzte für Brecht, entwickelte gemeinsam mit ihm eigene Dramenfassungen, schickte ihm Anmerkungen, Textentwürfe und Skizzen – über Monate hinweg. Auch wenn Elisabeth Hauptmann als seine offizielle Sekretärin für ihre Arbeiten (über den Verlag) bezahlt wurde, wurde ihre inhaltliche Mitarbeit fein sauber unter den Tisch gekehrt. Dank zahlreicher Briefe und Korrespondenzen der beiden kam der amerikanische Germanist John Fuegi zu der Einschätzung, dass die Dreigroschenoper zu 80 Prozent Elisabeth Hauptmanns Werk gewesen sei. Die Dreigroschenoper gilt allerdings bis heute als eines von Brechts bekanntesten und besten Werken. Wer wohl bei den anderen Werken mitgearbeitet hat?    

Bescheiden sein und das Maul halten
Die Geschichte von Mileva Marić und Albert Einstein ist ein Paradebeispiel dafür, wie fließend der Übergang von produktiver Zusammenarbeit hin zur Ausbeutung in der Ehe sein kann. Mileva und Albert lernten sich an der Universität in Zürich kennen. Sie studierten Mathematik und Physik und verstanden sich bald schon sehr gut – beide waren Außenseiter: Mileva wegen ihrer Gehbehinderung und ihres weiblichen Geschlechts, Albert wegen seines eigenwilligen Auftretens. Sie sahen ineinander wissenschaftliche Partner auf Augenhöhe, bald Freunde, später Liebespartner. Mileva und Albert heirateten, obwohl Mileva durch die Heirat ihre Karriere fürchtete.

Verschiedene Bekannte des Ehepaars wie auch Albert Einstein selbst berichteten, dass Mileva ihm dabei half, seine Theorien mathematisch umzusetzen und Lösungen zu erarbeiten.

Als sie ungeplant schwanger wurde und ihre Diplomarbeit an der Universität aus unbekannten Gründen abgelehnt wurde, blieb Mileva nichts anderes übrig, als im Privaten ihre Forschungen weiterzuführen. Verschiedene Bekannte des Ehepaars wie auch Albert Einstein selbst berichteten, dass Mileva ihm dabei half, seine Theorien mathematisch umzusetzen und Lösungen zu erarbeiten. Allerdings zerrüttete die Ehe bald. Mehr und mehr drängte Albert seine Frau in die Rolle der Hausfrau und Mutter. Mileva allerdings wollte sich nicht mit dieser Rolle zufriedengeben, ohne Diplomarbeit konnte sie aber auch nicht an die Universität zurückkehren. Albert reichte die Scheidung ein und heiratete kurze Zeit später seine Cousine Elisa Einstein, die besser die Rolle der begleitenden Ehefrau erfüllte. Mileva verarmte zunehmend, eine geschiedene und alleinerziehende Frau zu sein, glich einem Todesstoß. Als sie eigene Memoiren veröffentlichen wollte, riet Albert ihr davon ab: „(…) Wenn man eine Null ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, aber man soll schön bescheiden sein und das Maul halten.“ Nach ihrem Tod geriet Mileva schließlich in Vergessenheit.

Kehren wir doch noch einmal zu Rosalind Franklins Geschichte zurück. Auch wenn Elisabeth Hauptmann ihrer Kunst und Mileva Marić ihrer Identität und ihrer Möglichkeiten beraubt wurde, so kann Franklins Schicksal als das Aushängeschild für Leonie Schölers Buch „Beklaute Frauen“ verstanden werden. Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sie dermaßen beklaut wurde? 

Hat sie einfach verkackt?  
Rosalind Franklin wuchs in einer wohlsituierten Familie auf und genoss eine exzellente Bildung. Bereits in jungen Jahren entdeckte Rosalind die Naturwissenschaften für sich und fasste bald schon den Entschluss, Karriere machen zu wollen, die sie nicht von einer Ehe abhängig machte. Sie ergatterte einen Studienplatz an der Universität in Cambridge und verließ sie wieder im Jahre 1945 – mit einem Doktortitel in Chemie in der Tasche. In den folgenden Jahren veröffentlichte sie zahlreiche Aufsätze in renommierten Fachzeitschriften und trat bald schon eine Stelle als Biochemikerin am Londoner King’s College an. Hier sollte sie dann auch durch ein Röntgenbild den Aufbau der DNA entdecken. Da sie als eine ruhige und zurückgezogene Frau beschrieben wird, klebte sie ihre Entdeckung erstmal leise in ihr Notizbuch und erzählte niemandem davon. 

1962, also zehn Jahre später, erhalten die beiden Wissenschaftler James Watson und Francis Crick den Nobelpreis für die Erkenntnis, dass die DNA die Struktur einer Doppelhelix hat und wie eine in sich spiralförmig gedrehte Leiter aussieht. Rosalind Franklin aber war die erste gewesen, die auf diese Erkenntnis stoß. Wie konnte das also passieren? Jetzt kommt’s: Ein Bekannter der beiden Wissenschaftler, der am gleichen Institut wie Franklin arbeitete, schlich sich immer wieder in Franklins Labor und kopierte dort ihre Notizen, um sie anschließend in die knapp 100 Kilometer entfernte Universität zu liefern, zu Watson und Crick. Er klaute ihre Daten und ihr Wissen, wühlte immer wieder in ihren Unterlagen, kopierte ihre Ergebnisse. Er bestahl sie. Die Familie von Rosalind Franklin glaubt heute, dass Rosalind selbst nichts von diesen Diebstählen wusste. Nur einmal erwischte Franklin einen Mann in ihrem Labor auf frischer Tat.

Rosalind Franklin

Bekannt machte die Diebstähle übrigens Jason Watson selbst. In seiner Autobiografie „Die Doppelhelix“ prahlte er damit und beschreibt haargenau – vollkommen unverblümt und sich keines Unrechts bewusst – wie ihm und seinem Kollegen Crick der Durchbruch gelang, nämlich mit den Daten von Rosalind Franklin, die sie kurzerhand einfach als die ihren ausgaben. In einem Interview, das James Watson 2018 gab, sagte er über Rosalind Franklin: „Ich würde sie als Loser bezeichnen (…) sie hat es verkackt.“ Franklin bekam von all dem nichts mehr mit: Sie starb 1958 im Alter von 37 Jahren an Eierstockkrebs.

30 bis 50 Prozent der untersuchten Skelette aus der Steinzeit, die man bisher auf Grundlage der Waffen und Werkzeuge im Grab als männlich identifiziert hatte, waren eigentlich biologische Frauen.

Ich der Jäger, du die Sammlerin
Auch wenn die Autorin Leonie Schöler Frauenschicksale aus den letzten 200 Jahren in Europa zusammengetragen hat, lässt sie eine ganz besondere Geschichte, die schon etwas älter ist, nicht außen vor. Es ist die der Jäger und Sammler. Schon in der Grundschule lernen Kinder diese Gesellschaftsstruktur kennen und besonders Mädchen wird sie im späteren Leben noch einmal um die Ohren gehauen, falls sie es wagen sollten, sich für einen männlich dominierten Beruf oder Bereich zu interessieren. Weil sie so schön ist, wollen wir sie noch einmal lesen: 

Es waren einmal die Jäger und Sammler. Die Männer waren die Jäger, die Frauen die Sammlerinnen. Zogen die Jäger aus, um gemeinsam auf die Pirsch zu gehen, suchten die Sammlerinnen nach essbaren Samen, Nüssen, Kräutern und Wurzeln. Saßen die Männer zusammen, um sich aus Steinen neue Waffen herzustellen, kochten die Frauen nahrhafte Eintöpfe und kümmerten sich um den Nachwuchs.“ (Schöler: Beklaute Frauen, S. 11).   

Schöler beschreibt die Rollenverteilung der damaligen Gesellschaften – Männer und Frauen bekamen sie nämlich aufgrund ihrer biologischen Merkmale und biologischen Fähigkeiten einfach zugeordnet. Doch vor kurzer Zeit ist das Märchen aufgeflogen. Studien belegen nämlich, dass 30 bis 50 Prozent der untersuchten Skelette aus der Steinzeit, die man bisher auf Grundlage der Waffen und Werkzeuge im Grab als männlich identifiziert hatte, eigentlich biologische Frauen waren. Lange Zeit gingen viele Forscher:innen wie selbstverständlich davon aus, dass allein die Grabbeigaben auf das Geschlecht der bestatteten Person schließen lassen. Jedes Grab, das also Waffen enthielt oder auf eine Führungsposition zu Lebzeiten hinwies, wurde über Jahrhunderte hinweg automatisch einem Mann zugeordnet. Also doch nicht ganz so klar, diese vermeintlich natürliche, immer schon dagewesene Rollenverteilung? 

Leonie Schöler

Wie viel hat sich wirklich verändert? 
Rosalind Franklin, Elisabeth Hauptmann und Mileva Marić – alle drei Frauen wurden auf unterschiedliche Art und Weise beklaut. Ihnen und vielen anderen wurde die Möglichkeit genommen, sich als Teil einer Gesellschaft zu begreifen, sich für sich selbst einzusetzen und eigene Interessen zu vertreten. Auch wenn Schöler die Geschichten und Schicksale der Frauen aus der Vergangenheit an die Oberfläche bringt, zieht sie am Ende eines jeden Kapitels den Bogen in die Gegenwart: Wer erhält heute Auszeichnungen, Preise und Anerkennungen? Warum sind immer noch vermehrt Männer an der Spitze vieler Unternehmen? Und warum schaffen es Frauen immer noch nicht, die gläserne Decke zu durchbrechen, wo doch die Gesetzeslage heute eine andere ist? Fehlen jungen Frauen vielleicht Vorbilder? 

Was unterscheidet Frauen von heute also von Rosalind Franklin, Elisabeth Hauptmann oder Mileva Marić?

Die Gesetze haben sich im Laufe der Jahre zwar geändert, bestehen bleibt aber noch immer ein System, das Frauen benachteiligt und sich vor allem aus den drei wesentlichen „Gaps“ zusammensetzt: Gender-Time-Gap, Gender-Care-Gap, Gender-Pay-Gap. Frauen gehen eher in Teilzeit, weil der Mann meist mehr verdient. Frauen werden eher von der Schule angerufen, wenn das Kind krank ist, weil sie seit jeher dafür zuständig sind, Kinder großzuziehen. Frauen rutschen eher in die Altersarmut, weil sie weniger Rücklagen für die Rente erwirtschaften können. Was unterscheidet Frauen von heute also von Rosalind Franklin, Elisabeth Hauptmann oder Mileva Marić?

Und in Südtirol? Es hat sie auch hierzulande gegeben, diese unsichtbaren Heldinnen. Darum möchte auch BARFUSS Geschichten von vergessenen und beklauten Frauen mehr Sichtbarkeit schenken. In der zukünftigen Mini-Serie „Vergessene Frauen in Südtirol“ wollen wir sie und ihr Schaffen in den Fokus rücken. Coming soon.

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