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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 24.02.2021
LeuteInterview mit Lukas Kofler Pellegrini

Dichten als Heilungsprozess?

Vom BWL-Studenten zum Dichter: Wo anderen die Worte fehlen, schreibt Lukas Kofler Pellegrini Gedichte.
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Autorenfoto elegant (Copyright Raimo Rumpler)[18530] (1).jpg
Lukas Kofler Pellegrini auf dem Campus der Wirtschaftsuniversiät Wien

„Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich einmal Gedichte schreibe, ich wäre aus dem Lachen wahrscheinlich nicht mehr rausgekommen“, reflektiert Lukas Kofler Pellegrini heute seine Geschichte. Lukas studierte Wirtschaft in Bozen, Kanada, Südkorea und Wien. Dort arbeitet der 28-Jährige heute im digitalen Marketingbereich eines Pharmaunternehmens. In seiner Freizeit schreibt der gebürtige Brixner Gedichte. Seit September 2020 veröffentlicht er diese gemeinsam mit Aquarellbildern auf seinem Instagram-Profil @lukasdichtet.

Lukas, wie hast du die Liebe zum Dichten entdeckt?
Das kam unerwartet und plötzlich. Ich habe den Literaturunterricht in meiner Schulzeit sehr genossen. Allerdings habe ich Literatur und Poesie immer nur als Schulfach gesehen und nur den passiven Zugang zur literarischen Welt, durch Bücher und Filme, gekannt. Dass ich diese Welt selbst aktiv mitgestalten kann, habe ich erst spät begriffen. Einige Themen, wie der gesellschaftliche Druck und die Selbstliebe, haben mich schon immer sehr beschäftigt. Ich wusste nur lange nicht, wie ich meine Gedanken zum Ausdruck bringen könnte. Im Zuge von Corona und den Lockdowns hat mein Lyrik-Idol Julia Engelmann den Club der stillen Poeten auf Instagram ins Leben gerufen. Der Aufruf lautete, Gedichte einzuschicken, die an einen selbst gerichtet sind. Da mich in derselben Nacht meine Gedanken zum Thema Selbstliebe einmal wieder nicht schlafen ließen, habe ich beschlossen meine Gedanken dazu in Form eines Gedichtes aufzuschreiben und abzuschicken.

Zu jedem Gedicht malt Lukas Kofler Pellegrini auch ein Aquarell.

Und dann?
Am nächsten Morgen sah ich, dass Julia Engelmann mein Gedicht veröffentlicht hat und dieser Beitrag bereits 15.000-mal geliked wurde. Dadurch habe ich erstmals erkannt, dass das Dichten eine passende Ausdrucksform für meine Gedanken sein könnte.

Ein Dichter, der BWL studiert hat. Wie kommt das?
Ich habe meine kreative Phase erst vor kurzem entdeckt. Am Malen oder Schreiben war ich nicht einmal als Kind wirklich interessiert. Ich habe mich für das Wirtschaft-und-Management-Studium entschieden, weil mich die Rolle des Menschen und die veränderten Arbeitsbedingungen in der digitalen Welt faszinieren. Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich meine kreative Seite erst 2020 entdeckt und mich nicht in die literarische Richtung weitergebildet habe. Allerdings profitiert heute mein kreatives Ich von den jahrelang angestauten Gedanken, Wunden und Sehnsüchten. In den letzten Jahren habe ich mich auf persönlicher Ebene stark weiterentwickelt und meine, dass ich erst jetzt für meine kreative Seite bereit bin. Während meines BWL-Studiums wäre ich damit wahrscheinlich überfordert gewesen.

Wie hat dein Umfeld auf diese kreative Seite reagiert?
Die meisten waren so überrascht wie ich. Es hat mir so viel Mut abverlangt, das Instagram Profil @lukasdichtet ins Leben zu rufen und diese intimen Gedanken mit einem großen Publikum zu teilen. Ich hab mir Sorgen darüber gemacht, was wohl die Leute sagen werden. Im Nachhinein waren meine Sorgen überflüssig. Ich habe ausschließlich positive Reaktionen auf meine Gedichte erhalten. Immer wieder schreiben mir Leute aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, dass sie sich in Gedichten wiederfinden. Am meisten freut es mich, wenn mich fremde Leute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kontaktieren und mit mir ihre Erfahrungen teilen, weil meine Gedichte etwas in ihnen bewegt haben.

„Ich schreibe meine Gedanken auf, ohne genau zu wissen, wo die Reise hingeht.“

Zu jedem Gedicht malst du ein passendes Aquarell-Bild. Wieso genau Aquarell?
Ein halbes Jahr bevor ich mit dem Dichten anfing, habe ich mit dem Aquarellmalen begonnen. Mich fasziniert dabei die Technik, bei der Wasser mit Farbe kombiniert wird und etwas Unvorhersehbares entsteht, weil es sich nicht absehen lässt, wie sich genau die Farbe im Wasser entwickelt. Ähnlich ist es mit meinen Gedichten. Ich schreibe meine Gedanken auf, ohne genau zu wissen, wo die Reise hingeht und vertraue meiner Intuition. Aus diesem Grund ergänzen sich das Dichten und das Aquarellmalen so gut. Es sind beides Wege ohne ein vordefiniertes Ziel. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Worte meiner Gedichte nicht ausreichen. Die Bilder geben daher dem, was in Worten nicht gänzlich wiedergegeben werden kann, eine Form.

Wie gehst du dabei vor? Fallen dir zuerst Motive für deine Bilder oder Worte für Gedichte ein?
Ich schreibe immer zuerst das Gedicht. Sobald das abgeschlossen ist, stelle ich mir die Frage, wie diese Worte in Form eines Aquarells aussehen könnten. Dafür fertige ich verschiedene Skizzen zu meinen Ideen an und kombiniere sie miteinander. Beim Aquarell zum Gedicht #Wienliebe wollte ich zum Beispiel sowohl die kulturelle Vielfältigkeit der Stadt und den Zusammenhalt, aber auch das national-österreichische Bewusstsein einbauen. All diese Aspekte habe ich dann versucht mit der Flagge und vielen bunten Farben, als Symbol der Toleranz, im Bild zu vereinen.

„In meiner Kindheit warst du ein magischer Ort. Warst mein zuhause, wollte nie von dir fort. Bin jetzt erwachsen und hab dich verlassen, doch du bist kein Ort mehr, sondern ein Gefühl und egal wo ich bin, ich find zu dir hin.“
– Heimat von Lukas Kofler-Pellegrini

In deinem Gedicht “Heimat” beschreibst du Südtirol als überdauerndes Gefühl in dir. Wie ist dein Verhältnis zur Heimat?
Ich verbinde mit Heimat mittlerweile keinen Ort mehr, sondern ein Gefühl. Ich liebe Südtirol, meine Heimatstadt Brixen, meine Familie, meine Freunde, das Essen und die Landschaft. Heimat ist für mich eine Kombination aus all diesen Dingen und dem Gefühl, das sich dabei in mir ausbreitet. Da ich aber schon an so vielen Orten gelebt habe, Brixen, Kanada, Südkorea, Schweiz und Wien, habe ich erkannt, dass Heimat nichts Materielles, sondern etwas Emotionales ist. Dieses ortsunabhängige Gefühl wollte ich im Gedicht zum Ausdruck bringen.

Schreibst du auch über aktuelle Geschehnisse?
Ja. Ich will mich künftig vermehrt mit der Pandemie als Zeit des Umbruchs auseinandersetzen. Dabei möchte ich versuchen, die Perspektive auf die gegenwärtig schwierige Zeit etwas zu ändern. Ich möchte in meinen Gedichten einen positiven Blickwinkel finden, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen. Eine Zeit des Umbruchs ist auch immer eine Chance, sowohl für die Gesellschaft, als auch für jeden Einzelnen.

„Der Schreibprozess ist für mich ein Heilungsprozess, nachdem ich mich immer leicht fühle“

Zu welchen weiteren Themen wirst du in Zukunft dichten?
In nächster Zeit werde ich verstärkt Gedichte zum Thema „Mentale Gesundheit“ veröffentlichen. Dabei möchte ich meine eigene Schulzeit reflektieren und verarbeiten. Ich wurde in der Schule gemobbt und oft nicht akzeptiert. In dieser Zeit hatte ich oft das Gefühl, am gesellschaftlichen Druck zu ersticken und ich hatte mit vielen psychischen Problemen, auch einer Essstörung, zu kämpfen. Jetzt, nach 15 Jahren, fühle ich mich endlich bereit, über diese Zeit zu sprechen und meinen dichterischen Heilungsprozess zu beginnen.

Was ist das: ein dichterischer Heilungsprozess?
Mir dient das Dichten als Ventil für meine Gedanken und Ängste. Der Schreibprozess ist für mich ein Heilungsprozess, nachdem ich mich immer leicht fühle. Ich schreibe über schwierige Zeiten und auch negative Emotionen. Sobald ich meine Gedanken niederschreibe und das Gedicht als abgeschlossenes Produkt betrachte, kann ich auch mit Dingen, die mich belasten, abschließen. Am präsentesten war diese Heilphase des Schreibens nach dem Attentat in Wien. Ich wusste nicht, wie ich reagieren und etwas so Schlimmes „richtig“ verarbeiten sollte. Ich habe den Schwedenplatz für zwei Wochen gemieden und die Angst in mir die Oberhand gewinnen lassen. In einer Nacht habe ich dann entschieden, meine Gedanken festzuhalten, wobei das Gedicht #Wienliebe entstand. Dieses habe ich dann für mich und meine Follower am Ort des Attentats laut und zitternd vorgelesen. Dadurch, dass es mir danach so viel besser ging, habe ich das Schreiben als aktiven Heilungsprozess für mich erkannt.

Was oder wen erhoffst du, mit deinen Gedichten und Bildern zu erreichen?
Ich möchte mit meinen sehr persönlichen und intimen Gedichten anderen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, Mut machen. Ich will Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht alleine sind.

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