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Er hat die Nordwände der großen Zinne und des Eigers Free Solo bestiegen, 2.000 alpine Routen und mehr als 40 Routen im Schwierigkeitsgrad X-/X erklommen. Christoph Hainz ist geprüfter Berg- und Skiführer und Sportkletterlehrer. Der 53-Jährige ist als Erschließer neuer Routen bekannt und gehört zu den besten aktiven Allroundbergsteigern der Welt. Mit 20 Jahren erst entdeckte er die Leidenschaft für die Berge. Davon erzählt er bei einer gemeinsamen Tasse Tee in Bruneck.
Du hast erst mit zwanzig Jahren angefangen zu klettern. Woher deine plötzliche Begeisterung?
Bis ich zwanzig Jahre alt war, bin ich nur auf Bäume geklettert (lacht). Zum Bergsteigen kam ich, weil ich damals beim FC Gais Reservetormann war. Das war mir zu langweilig und ich dachte mir, ich beginne etwas Neues (lacht). So habe ich mich immer öfters einigen Kumpels angeschlossen, die zum Klettern gingen. Das war der Anfang. Dass ich auf einem Bauernhof aufwuchs, trug sicher auch dazu bei. Ich denke, dass ich mir damals die grundlegenden Fertigkeiten für das Bergsteigen erwarb. Ich lernte mich sicher in der Natur zu bewegen, mit ihr umzugehen, aber auch sie zu akzeptieren und zu respektieren.
Zwanzig ist ja doch spät. Wie hast du es geschafft, dennoch so gut zu werden?
Wir gingen damals jede freie Minute zum Bergsteigen, jedes Wochenende waren wir in alpinem Gelände unterwegs. Klettergärten zum Trainieren gab es kaum. Es war jedes Mal ein Abenteuer und das gefiel uns. Ich habe nie einen Kletterkurs besucht, sondern sammelte bei jeder Tour meine Erfahrungen. Ab und zu zahlte ich auch Lehrgeld, aber letztendlich lernte ich durch diese Erfahrungen. Irgendwann kam zum Spaßfaktor auch der Ehrgeiz dazu und so spornten wir uns gegenseitig immer wieder neu an und trainierten auf Teufel komm raus.
Du hast viele Erstbegehungen gemacht. Wie ist es, als erster Mensch einen Gipfel zu bezwingen?
Erstbegehungen sind immer eine Herausforderung. Man studiert eine Wand, sucht die ideale Linie und versucht, die eleganteste Variante auszutüfteln. Dann widmet man sich dem Projekt und zieht es durch. Wenn man in der Wand ist, findet man oft unerwartete Bedingungen vor. Mal ist das Gelände zu brüchig, mal ist es nass oder steiler als gedacht. Man muss spontan Entscheidungen treffen und für jedes Probleme eine effiziente Lösung finden. Das Schönste ist, wenn man nach getaner Arbeit sieht, dass die Tour gelungen ist. Das ist sie, wenn sie von den Kletterern angenommen und gerne geklettert wird.
„Von diesen Erlebnissen zehrt man ein Leben lang.“
Und was ist das dann für ein Gefühl, wenn man oben ankommt?
Wenn man oben steht, freut man sich natürlich. Man ist angekommen und hat es wieder einmal geschafft. Ich freue mich über jede 8a Route, die ich gemeistert habe, aber das Alpinklettern ist um ein Vielfaches anspruchsvoller und gefährlicher. Das Erlebnis, den Gipfel zu erreichen ist unvergleichbar schöner. Von diesen Erlebnissen zehrt man ein Leben lang und sie begleiten einen für immer.
Hast du eine Lieblingsroute?
Einige meiner Lieblingsrouten sind sicherlich der Zauberlehrling (Schwierigkeit 9) an der Cima Scotoni und das Phantom der Zinne (9+) in den Drei Zinnen. Auch die Magic Mushroom (9+) in der Eiger Nordwand gehört zu meinen Favoriten.
Woher nimmst du die Namen für deine Routen?
Sie entstehen oft durch Zufall bei einem Bier oder ganz einfach durch witzige Situationen am Berg. Wenn einem kein Name einfällt, fragt man seinen Kletterpartner oder seine Freundin (lacht). Die Magic Mushroom heißt so, weil die Route auf einem Pilz endet. Die Pressknödel in der Westlichen Zinne hat den Namen bekommen, weil sie sehr steil ist und die Griffe ordentlich mit Kraft gepresst werden müssen, um sie halten zu können. Und weil man einige Knödel essen sollte, um die Route zu schaffen (lacht).
Die Dolomiten, besonders die Drei Zinnen, ziehen dich besonders in ihren Bann. Klettert es sich hier besser als anderswo?
Ich habe an vielen Orten Erstbegehungen gemacht, trotzdem sind die Dolomiten für mich weltweit die schönsten Berge geblieben. Ich bin schon in Grönland, Indien, Südafrika, Marokko, Jordanien und in den USA geklettert und habe neue Routen eröffnet. Das war spannend und aufregend. Ich konnte jede Menge neue Erfahrungen sammeln und die jeweilige Insiderszene kennenlernen – ihre Klettertricks und Techniken. Man lernt nie aus. Trotzdem: Zu Hause ist zu Hause. Ich wohne nur eine Dreiviertelstunde von den Drei Zinnen entfernt, warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?
Dein Lieblingsort abseits der Berge?
Mein Lieblingsort abseits der Berge sind die Berge. Ich verbinde das Bergsteigen gerne mit einem Besuch am Meer, das ist einfach schön. Sardinien, Südfrankreich oder auch Griechenland, Seil und Gurt sind aber immer dabei.
Was war deine brenzligste Situation in den Bergen?
Brenzlige Situationen gibt es immer wieder. Je mehr Erfahrung man hat, desto eher trifft man die richtige Entscheidung in solchen Situationen. Im Mai 1993 war ich mit Hans Kammerlander am Shivling in Indien auf 6.543 Metern. Dort hatten wir plötzlich schlechtes Wetter und wussten nicht, ob wir wieder herunterkommen würden. Wir hatten Glück und in diesem Fall ging es gut aus, aber es hätte genauso gut schief gehen können.
Was ging dir in diesem Moment durch den Kopf?
Man denkt da nicht viel. Man ist voll fokussiert und kämpft ausschließlich ums Überleben. Bevor man den Löffel abgibt, gibt man alles. (lacht)
Man liest ja immer wieder, dass Leute sich in Gefahr begeben, auch erfahrene Alpinisten, die zum Beispiel das Wetter unterschätzen. Was denkst du darüber?
Es gibt Situationen, in denen man sich einfach verschätzt, aber oft liegt es daran, dass man nicht bereit ist, früh genug aufzustehen. Startet man zu spät, ist man auf dem Gipfel, wenn sich bereits die ersten Hitzegewitter bilden. Durch die Hitze stößt man etwa auch viel früher an seine körperlichen Grenzen. Fakt ist, dass nichts über eine sorgfältige Tourenplanung und eine realistische Einschätzung des eigenen Könnens und der eigenen Belastbarkeit geht.
Was sollte man bei einer Bergtour in den Rucksack packen?
Das kommt in erster Linie auf die Tour an, aber weniger ist oft mehr. Wichtig ist, genügend Wasser zum Trinken dabei zu haben. Bei längeren Touren gehören passsende Kleidung, ein Biwaksack, eine Taschenlampe und eine Miniausrüstung für Notfälle, wie Alufolie und ein Erste Hilfe Set, auf alle Fälle in den Rucksack. Das reicht. Ich verstehe nicht, warum manche Leute mit 30 Kilogramm schweren Rucksäcken wandern gehen. Das kann keinen Spaß machen. Einen so schweren Rucksack hatte ich bei keiner meiner Expeditionen dabei.
Als Bergführer erlebt man bestimmt lustige Situationen. Erzähl doch mal.
Einmal war ich mit einem Testschuh von Salewa auf dem Ortler unterwegs. Der Schuh war meines Wissens ein Prototyp, was bedeutet, dass er noch nicht auf dem Markt erhältlich war. Als ich frühmorgens bei Dunkelheit von der Hütte startete, schnappte ich mir meinen Schuh. Wie ich so dahin stapfte, dachte ich mir: Ich muss der Firma rückmelden, dass das Material für einen Qualitätsbergschuh nicht taugt und es nach wenigen Touren schon ausleiert. Der Schuh war viel zu weit und gab dem Fuß nicht mehr den nötigen Halt. Wie es dann hell wurde, bemerkte ich kurz vor dem Hintergrat eine kleine Gruppe von Bergsteigern, die beeindruckend schnell unterwegs war und uns wild gestikulierend hinterher kam. Ich musste noch über ihren sportlichen Ehrgeiz schmunzeln, doch das Rätsel löste sich, als einer der Bergsteiger mir zurief, ob mir denn die Schuhe passten. Der vermeintliche Prototyp war in Österreich schon im Verkauf und so hatte ich den Schuh eines österreichischen Bergsteigers erwischt, der mir leider zwei Nummern zu groß war. Noch auf dem Grat, mitten im Eis, haben wir lachend unsere Schuhe gewechselt.
Der Film „Der Zinnenmann – Grenzgang Free Solo“ feierte vor Kurzem Premiere und porträtiert den Extrembergsteiger Christoph Hainz. Zu sehen ist er am 9. März im UFO Bruneck und am 19. Mai in der Raiffeisenkasse Bruneck.
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