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Erich spielt seit der Grundschule Brettspiele. Damals haben ihn die bunten Spielschachteln und Figuren in den Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Mit seinem Fahrrad fährt er alle Bibliotheken in Eppan ab, um die besten Spiele auszuleihen. Sogar sonntags tritt er in die Pedale. Am Morgen in der Bibliothek St. Pauls und nach dem „Kirchen“ in der Bibliothek Girlan. Als Jüngster in der Familie schaut er seinen Geschwistern zu, wie sie spielen. Er sieht sie lachen und weinen, streiten und jubeln. „Bei Spielen geht es eigentlich um nichts, trotzdem kommen starke Gefühle auf“, sagt Erich. Ihn fasziniert wie ein Stück Karton und Holz zum Leben erweckt werden und sogar Erwachsene für Stunden an den Tisch fesseln. Erich probiert sich auch selbst im Spiele erfinden aus, merkt aber schnell, dass das nichts für ihn ist. Er kann seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und bewundert daher lieber die Spiele anderer. Computerspiele findet er auch cool, aber als Kind hatte er Computerverbot. Heimlich spielt er trotzdem. Dennoch fehlt ihm in der virtuellen Spielewelt etwas: das Berühren der Figuren, der direkte menschliche Austausch, die wenigen und klaren Regeln der analogen Spiele. „Das ist wie im richtigen Leben, dort gibt es auch klare Gesetze“, sagt der Spielebar-Betreiber. So wie Erich spielen viele Kinder gerne Gesellschaftsspiele, aber meist endet das Interesse in der Pubertät. Erich hingegen behält es sich bei. Er studiert weiter Spieleanleitungen und spielt Tag und nachts.
Nach der Schule macht Erich eine Lehre und arbeitet als Maurer. Er will aber nicht für immer in Südtirol bleiben und mit 21 Jahren geht er in die Schweiz. Dort macht er eine Ausbildung zum Kranfahrer. Er sucht den Kontakt mit der lokalen Spieleszene. Durch seine Leidenschaft fällt die Integration leichter. „Das Spielen führt zusammen und schafft Verbundenheit“, sagt der einstige Kranfahrer. Bald schon hilft er als Spieleerklärer in der Spielebar Zürich aus. In manchen Monaten gibt er seinen ganzen Lohn für Spiele aus. Er nimmt sogar an einer Spiele-Kreuzfahrt teil. Dabei hält er jedoch immer den Kontakt nach Südtirol. Seine Freunde und Familie vermissen ihn und drängen ihn zur Rückkehr. Rund um die Coronapandemie fällt seine Entscheidung seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und einen Spieltreff zu gründen. Vorsichtig holt er Feedback von seinem Umfeld ein. Die meisten halten ihn für verrückt. Dadurch fühlt er sich noch mehr motiviert. Auch seine Mutter ist zunächst nicht begeistert. Sie hat noch den 21-jährigen Erich im Kopf, der neue Projekte anfängt und nicht immer abschließt. Sie weiß noch nicht, dass es dieses Mal anders sein wird.
Zunächst ist er auf der Suche nach einer Bar oder einem Cafè als Partner. Er will sich nur auf die Spiele konzentrieren. Leider klappt das nicht. Deshalb absolviert er die Gastgewerbeprüfung und macht sich auf der Suche nach einer eigenen Bar. Über eine Cousine erfährt er von der Neuausschreibung der Bahnhofsbar in Eppan. Innerhalb von einer Woche erstellt er ein Konzept und eine Speisekarte – und gewinnt die Ausschreibung. Im Mai 2023 bricht er seine Zelte in der Schweiz ab und einen Monat später öffnet er die Bar. Erfahrung in der Gastronomie oder der Personalführung hat er keine. Oder fast keine: „Im Sommer, da habe ich immer beim Fest der Musikkapelle ausgeholfen“, sagt er und lächelt.
Spiele sind nicht nur etwas für Kinder. Erwachsene haben auch noch viel zu lernen.
Erich NiedermayrIn seiner Bar „Bar, Bistro&Games“ wird überall gespielt. In dem linken Saal hängen die Jungen und Coolen ab. Sie genießen ihren Feierabend oder das Wochenende und spielen Flipper, Calcetto oder Billiard. Im Hauptraum spielen die Anhänger der reinen „Südtiroler Lehre“ Watten, Mau Mau und „Pasch“. In dem rechten Saal befindet sich das Herzstück der Bar: Versteckt hinter einem Spieleregal ist das Reich der Brettspiele. Es gibt hier ca. 500 Spiele. Erich kennt sie alle. Nähert man sich dem Spieleregal, ist er sofort zur Stelle. Die Bar, die anderen Gäste sind vergessen, wenn Erich anfängt von Spielen zu reden. Er versucht die Stimmung, Spieleerfahrung und Lust seiner Gäste zu verstehen, um ihnen dann das geeignete Spiel für den Abend zu empfehlen. Wie ein Sommelier durch die Weinkarte, führt er durch die Regale voller Spiele. Würde man alle seine Empfehlungen durchspielen, würde die Nacht nicht mehr enden.
Erich gibt selbst zu, dass er noch viel zu lernen hat als Barbetreiber. „Ich bin kopfüber ins kalte Wasser gesprungen und wusste nicht einmal, ob es Wasser ist“, sagt er. Wäre er nicht Brettspielliebhaber, hätte er diesen Schritt in die Selbstständigkeit niemals gewagt. Beim Spielen hat er gelernt Risiko auf sich zu nehmen, um die Ecke zu denken und über Alternativen nachzudenken. Der Unterschied zur Realität ist die Anzahl der Versuche, die man hat. Über Los geht man im Leben nur einmal. Dessen ist sich Erich aber bewusst. Seine Motivation und sein Glaube an das Potential der Spiele zur positiven Veränderung in der Gesellschaft waren aber groß genug, um dieses Risiko trotzdem zu wagen.
Erich will die Spiele rausholen aus den Bibliotheken und Spielekellern und an einen Ort bringen, wo jeder mit ihnen in Kontakt gerät. Er glaubt, dass alle Menschen Spieler:innen sind. Man muss sie nur an das richtige Spiel heranbringen. „Spiele sind nicht nur etwas für Kinder. Erwachsene haben auch noch viel zu lernen“, sagt Erich. Als Kinder lernen wir spielend die Welt kennen, als Erwachsene können wir Spiele nutzen, um unsere Kenntnisse zu vertiefen. Beim Spielen muss man sich in die anderen Spieler:innen hineinversetzen, um ihre Schritte zu antizipieren. Es ist oft Verhandlungsgeschick gefragt. Erich sagt auch: „Spielen geht tiefer als Reden.“ Man sieht wie das Gegenüber mit dem Verlieren, aber auch dem Siegen umgeht.
Das Spielen führt zusammen und schafft Verbundenheit.
Erich NiedermayrZudem behandeln Spiele oft hochaktuelle Probleme der Gesellschaft und bieten einen neuen Ansatz sich damit auseinanderzusetzen: Zum Beispiel bei „CO2 Second Chance“, wo es darum geht den Übergang zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Oder man lernt über Geschichte. Erich nennt das Spiel „Gleichgewicht des Schreckens“, wo der Konflikt zwischen den USA gegen die UDSSR im Kalten Krieg nachgestellt wird – alles basierend auf realen Ereignissen.
Erich organisiert auch regelmäßig Events in der Spielebar, wo alle eingeladen sind, sich am Spieltisch auszuprobieren. Zu Halloween gab es einen thematischen Spieleabend. Und er würde auch mal gerne einen Dating-Spieleabend organisieren. Die Ideen gehen ihm nicht aus. Die größere Gefahr ist, dass ihn sein Tatendrang übermannt. Er schläft zurzeit sehr wenig und arbeitet sehr viel. Zu selten sieht man ihn in diesen Tagen am Spielbrett. Dadurch, dass er seinen Traum zum Beruf gemacht hat, hat er nun kaum mehr Zeit zum Spielen.
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