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Als vergangene Woche die Starship-Rakete von Elon Musk explodierte, war das für den Weltraum-Experten Ulrich Walter keine Überraschung: „Beim Start einer neuern Rakete geht zu 50 Prozent immer etwas schief.“ Dass dieser kleine Rückschritt der Raumfahrttechnik aber noch lange nicht das Aus für den wachsenden Weltraumtourismus bedeutet, ist sich der ehemalige Astronaut sicher. Bereits als kleiner Junge war Ulrich Walter von den Apollo-Missionen fasziniert. Allerdings dachte er niemals, dass er eines Tages ins All fliegen würde, weil Raumfahrt lange Zeit den Techniken der Amerikaner:innen und Russ:innen vorbehalten war. Als Mitte der 1980er-Jahre die Deutschen begannen, Wissenschaft im Weltall – im sogenannten Space Shuttle – zu betreiben, bewarb sich Walter bei der Ausschreibung als Physiker und wurde tatsächlich als einer von 1.800 Bewerber:innen genommen. Nach seiner Mission im Weltraum war Ulrich Walter fünf Jahre lang bei IBM als Projektmanager tätig, der 69-Jährige arbeitet heute als Professor der Raumfahrttechnik an der TU in München.
BARFUSS: Herr Walter, wie wird man Astronaut?
Ulrich Walter: Es gibt zunächst zwei Jahre Grundlagenausbildung, bei der die Basics gelernt werden: Wie funktioniert Raumfahrt? Wie bewege ich mich im Weltraum? usw. Zusätzlich gab es ein psychologisches Training, wie man in kleinen Gruppen auf wenig Raum gut zusammenarbeiten kann. Für etwa drei Jahre bereitet man sich für eine konkrete Mission vor, da wir Wissenschaftsastronaut:innen sind und Experimente im Weltall durchführen. Meine Mission hatte den Namen D2: Die zweite deutsche Wissenschaftsmission, bei der ich genau zehn Tage unterwegs war.
Gibt es eine Erfahrung, die Ihnen besonders in Erinnerungen geblieben ist?
Wir haben sehr viel gearbeitet und hatten eine 12-Stunden-Schicht. Was aber unglaublich faszinierend war und was ich nie vergessen werde, waren die Blicke aus den Fenstern: Nach dem Frühstück und Mittagessen aus dem Fenster schauen und einmal auf die kleine Erde hinuntersehen sehen. Das ist etwas, das jede:r erleben sollte.
Der Weltraum bietet eine neue Möglichkeit, unseren Planeten sehen und verstehen zu können.
Wirklich jede:r? Was halten Sie vom sogenannten „Weltraumtourismus“?
Ich bin ein großer Verfechter des Weltraumtourismus. Der Weltraum bietet eine neue Möglichkeit, unseren Planeten sehen und verstehen zu können. Die Relation zwischen der Größe der Erde selbst, der Kontinente, der Länder bis hin zu den Menschen untereinander, wird einem erst im All so richtig bewusst. Für globale Verständnisse von der Erde fehlt uns schlichtweg die Vorstellungskraft, wenn wir nicht im Weltraum sind. Aus dieser mangelnden Perspektive resultieren viele falsche Vorstellungen der einzelnen Länder.
Zum Beispiel?
Ein Beispiel dafür ist, dass die Deutschen denken, dass Deutschland allein irgendetwas am CO2 Gehalt der Atmosphäre bewirken könne. Wenn wir uns Deutschland vom Weltraum aus ansehen, handelt es sich um einen Fliegenschiss auf der Erde. Insbesondere Europa neigt hier zur Überheblichkeit der eigenen Handlungsmacht. Vieles muss man erst sehen, um es zu verstehen. Erst vom Weltraum aus können wir die wichtigen Relationen der Erde erkennen.
Die da wären?
Es existieren viele globale Einschätzungen, die unzutreffend sind. Wir erkennen vom All aus zum Beispiel, dass die angebliche grüne Lunge in Südamerika gar nicht die grüne Lunge der Erde ist. Mehr als 50 Prozent des Sauerstoffs der Erde wird durch das Algenmeer produziert. Wenn man von oben diesen gigantischen Algenteppich der Ozeane, der sich über Dimensionen der Erde zieht, sieht, versteht man, dass der Amazonas in Relation zum Ozean ziemlich unwichtig für die Sauerstoffproduktion ist. Die Menschheit ist aber noch nicht so weit, das verstehen zu wollen. Der Weltraumtourismus würde das ermöglichen.
Müssen wir für diesen Perspektivenwechsel wirklich Bürger:innen ins All schicken? Reichen hierfür keine Erfahrungsberichte oder Satellitenbilder aus?
Nein. Es reicht nicht, wenn einzelne Astronaut:innen hochfliegen und dann davon berichten und Satellitenbilder zeigen. Wenn ein Freund von uns in Italien war und uns von der Küche, der Musik und der Mentalität der Menschen erzählt, können wir die Kultur nie vollkommen verstehen und nachvollziehen, solange wir nicht selbst nach Italien gereist sind. Dasselbe gilt für das Weltall.
Viele Klimaaktivist:innen sehen im Ausbau der Raumfahrt eine Belastung für die Umwelt.
Erst die Raumfahrttechnik hat uns viele Erkenntnisse auf der Erde ermöglicht. Die Studien, die belegen, dass der Meeresspiegel um eine gewisse Anzahl von Millimetern im Jahr ansteigt, verdanken wir der Raumfahrttechnik. Diese Informationen bekommen wir nur über Satelliten im Weltall. Umweltschutz ist somit an Satelliten gebunden. Auch die CO2-Gehalte in der Atmosphäre können nur durch Satelliten ermittelt werden, da der CO2-Gehalt in der Stadt per se nur eine kleine Rolle spielt. Die globale Messung ist die einzig relevante Zahl.
Die Kosten für einen Flug mit der Rakete ins All sind gigantisch: Wie realistisch ist der Weltraumtourismus?
Sehr realistisch. Versetzen Sie sich in die Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Damals galt die weitläufige Meinung, dass ein Auto etwas Abgedrehtes ist, das sich niemand leisten könne. Nach heutigem Vermögen hat damals ein Auto eine Million Euro gekostet. Selbst Wissenschaftler von damals dachten, es könne höchstens ein paar Tausend Autos auf der Welt geben. Doch plötzlich produzierte Henry Ford die Autoteile auf dem Fließband und die Kosten für ein Auto sanken rapide. So sehr, dass mittlerweile jede:r den Führerschein macht und ein Auto besitzt.
Wie teuer ist ein Flug ins Weltall?
Ein Flug ins Weltall kostet, je nachdem wohin man fliegen will, zwischen 200.000 und zehn Millionen US-Dollar. Die Preise werden aber sehr stark fallen. In meinem Buch Reiseziel Weltraum: Der ultimative Guide zu den Sternen habe ich eine sehr ausführliche Schätzung der Raumfahrtkosten ausgearbeitet. Darin schätze ich, dass die Preise für eine Reise ins Weltall in naher Zukunft um die 20.000-50.000 US-Dollar pro Woche kosten werden. Da man da nicht jeden Monat oder einmal im Jahr, sondern nur einmal im Leben hinfliegt, ist es theoretisch leistbar. Deswegen glaube ich, dass der Weltraumtourismus stark zunehmen wird. Aktuell ist er allerdings noch denen vorbehalten, die die Millionen in der Tasche haben.
Hierbei sorgen aktuell besonders Elon Musk, Richard Branson und Jeff Bezos mit den Entwicklungen von Tourismusraketen für Schlagzeilen. Ist Amerika besonders fortschrittlich, was den Weltraumtourismus betrifft?
Ja. Jede Kultur denkt anders und die Amerikaner:innen besonders. Die Mentalität in Amerika lautet: Wenn ich mich anstrenge, kann ich auch was erreichen. Diese Mentalität gibt es zum Beispiel in Deutschland nicht. Die Mentalität hierzulande lautet: Der Staat ist dafür verantwortlich, dass ich Arbeit bekomme. In Amerika leben aber viele nach dem Motto: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Dass diese Utopie nur für wenige Glückliche aufgeht, ist uns allen klar. Zu den wenigen Glücklichen gehört Elon Musk. Er hat mit einer kleine Firma X begonnen, dann kam Paypal, dann Tesla und jetzt Space X. Sicherlich war Musk ehrgeizig, aber er hatte auch einfach enorm viel Glück.
Elon Musk & Co sind heute einfach an einem Punkt und an einem Reichtum ihres Lebens angekommen, wo sie sagen, ich hatte so viel Glück in meinem Leben, ich will etwas an die Menschheit zurückgeben, nämlich den Weltraumtourismus.
Ist die Raumfahrt eine gute Investition für Musk & Co. oder steckt finanziell ein hohes Risiko hinter dem Fortschritt?
Wenn man so reich wie Musk ist, ist das sicher eine super Investition. Elon Musk & Co sind heute einfach an einem Punkt und an einem Reichtum ihres Lebens angekommen, wo sie sagen, ich hatte so viel Glück in meinem Leben, ich will etwas an die Menschheit zurückgeben, nämlich den Weltraumtourismus. Elon Musk will in die Geschichtsbücher als derjenige eingehen, der die Menschheit zum Mars gebracht hat. Dafür investiert er jährlich eine Milliarde Dollar aus seinem Privatvermögen: Aus diesem Grund sehe ich Musk nicht als Egoisten dieser Welt sondern als Philanthropen. Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass er Monopolismus betreibt. Zugleich zwingt sein Monopol an günstiger Raketenproduktion, andere Produzent:innen ihre Preise zu regulieren, was wiederum ein gutes Zeichen ist.
Das größte jemals gebaute Raketensystem „Starship” von Space X hätte am 20. April in den Weltraum abheben sollen. Allerdings ist die Rakete beim Orbitalflug explodiert. Handelt es sich hierbei um einen wissenschaftlichen Erfolg oder um ein Fiasko?
Es war ein absehbares Fiasko. Ein Erfolg wäre es gewesen, wenn das Ding in den Weltraum geflogen wäre und heil zurückgekommen wäre. Aber so funktioniert Raumfahrt nicht. Das weiß auch Elon Musk. Beim Start einer neuen Rakete geht zu 50 Prozent immer etwas schief. Ich habe gestern noch vor dem Start gesagt, dass ich mit allem, auch einer Explosion rechne. Dieses „Fiasko“ ist für Musk kostentechnisch egal: Das sind Peanuts für ihn.
Wie geht’s weiter?
Er wird jetzt die Ursache finden und beheben müssen. Der nächste Schuss wird sicherlich nicht, wie er sagt, in den nächsten zwei Monaten stattfinden. Die Zeit sitzt Musk aber im Nacken, weil die NASA schnelle Lösungen braucht, da er im Jahr 2025 mit dieser Rakete eigentlich eine Mondlandung machen sollte. Jegliche Explosionen, Verzögerungen und Rückschritte ändern aber überhaupt nichts daran, dass er so lange weiter machen wird, bis das funktioniert. Und ich kann sagen: Es wird funktionieren.
In welche Richtung wird sich die Raumfahrt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiterentwickeln?
Es wird eines Tages eine kleine Kolonie auf dem Mond geben. Zusätzlich wird es eine Mars-Mission geben, die rund zweieinhalb Jahre dauern wird, weil der Flug zum Mars so viel Zeit in Anspruch nimmt. Bei der Mars-Mission wird es sich um eine kleine Kolonie von maximal 100 Personen zur wissenschaftlichen Erkundung handeln.
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