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Man stelle sich vor: Jemand sammelt 57 Spinnen im Freien, setzt sie in seinem Schlafzimmer aus und verbringt die Nacht dort. Freiwillig. Für eine wie mich, die seit jeher eine Spinnen-Phobie hat, unvorstellbar. Nicht so für Wolfgang Dibiasi. In einem seiner Videos sitzt der YouTuber in seinem Bett, spricht in die Kamera – ganz ruhig. Und während er erklärt, warum ihn Spinnen faszinieren, krabbeln sie im Hintergrund über die Wände, den Boden, das Fensterbrett. Große, kleine, flinke. Manche mit haarigen Beinen, andere mit langen, einige kleine, andere echt groß. Wer das Video anschaut, das Hunderttausende begeistert, weiß nach wenigen Sekunden: Dieser Mann hat entweder Nerven aus Stahl – oder ein ganz anderes Verhältnis zur Welt als wir. Ich jedenfalls hätte bei Spinne Nummer drei den Raum evakuiert. Oder die Viecher mit meinem Schuh erschlagen.
Von Spinnen und Spinnern
Weil ich wissen wollte, was in einem Menschen vorgeht, der freiwillig mit 57 Spinnen die Nacht verbringt oder sich von irgendeinem giftigen Krabbelgetier beißen lässt, bin ich nach Tramin gefahren, wo Wolfgang Araneus Dibiasi wohnt.
Meine Hände sind feucht, als ich ankomme. Nicht nur wegen der Spinnen. Was, wenn er völlig abgedreht ist? Was, wenn er aus Versehen eins seiner Terrarien offengelassen hat? Aber dann öffnet Wolfgang die Tür. Ein freundliches Lächeln, eine nette Begrüßung. Kein Exzentriker in Sicht, keine Schlange um den Hals, keine Spinne im Haar. Nur ein Typ, der es gewohnt ist, über Dinge zu sprechen, bei denen anderen der Puls hochgeht. Und auf einmal geht es nicht mehr nur um Spinnen. Sondern um Neugier. Mut. Und diese seltene Gabe, genau hinzuschauen – selbst dort, wo andere lieber wegsehen.
Wolfgang Dibiasi lässt sich nicht in eine Schublade stecken. YouTuber, Biologe, Wissenschaftskommunikator, Gift-Experte, Mentaltrainer und selbsterklärter Hobby-Philosoph – ein Tausendsassa, der sich intensiv mit allem beschäftigt, was ihn fasziniert. Er lebt in Tramin, doch geistig ist er überall zu Hause: in der Welt der Schlangen und Spinnen, der Heil- und Giftpflanzen, der Medizin und Psychologie.
„Ich habe keine Hobbys – aber eine Berufung“
„Wenn mich jemand nach meinen Hobbys fragt, sage ich: Ich habe keine. Eher eine Berufung“, erklärt Dibiasi bestimmt. Und wer ihn beobachtet, merkt schnell, dass das keine leere Phrase ist. Er macht nichts halbherzig. Was ihn interessiert, das will er verstehen – und zwar bis ins kleinste Detail. Früher waren es vor allem Gifttiere, die ihn fesselten: Was passiert im Körper, wenn man von einer Schlange gebissen wird? Welche Rezeptoren werden blockiert? Heute geht sein Interesse darüber hinaus. „Viel spannender ist, was Gift sonst noch alles kann“, sagt er. Denn Gift kann nicht nur töten, sondern auch heilen.
Schlangen, Spinnen und ein bisschen Skurrilität
Schon als Kind sammelte Wolfgang alles, was kreucht und fleucht, bis seine Eltern kapitulierten und ihm eine Kornnatter kauften. Willi lebt heute noch – stolze 23 Jahre alt. „Eigentlich ist er längst über dem Verfallsdatum“, grinst Dibiasi, „aber eine gute Pflege verlängert das Leben – wie beim Menschen ja auch!“
Früher hielt er zahlreiche Gifttiere, darunter einige, die in Italien verboten sind. Diese ließ er bei einem Freund in Deutschland, wo ihre Haltung legal ist. Vom Inland-Taipan – der giftigsten Schlange der Welt – bis zur Wanderspinne war so ziemlich alles dabei. Heute besitzt er „nur“ noch zwei Schlangen und ein paar Spinnen.
Zu seinen „Haustieren“ gehört auch die Ornament-Vogelspinne, deren Biss Fieber, Schweißausbrüche und Muskelkrämpfe verursachen kann. „Nor isch amol a Ruah für zwoa Wouchn“, sagt er trocken. In Costa Rica beobachtete Dibiasi die Lanzenotter in ihrem natürlichen Habitat. „Die war erstaunlich ruhig“, sagt er. Aber die gleiche Art im Zoo? „A richtigs Huarnvieh!“
Dass er sich nicht nur für „ausländisches“ Krabbelgetier interessiert, bewies er letzten Sommer, als er über 15.000 Wespen an seinem Balkon angesiedelt hat. Dort durften sie nach Herzenslust ihre riesigen Nester ausbauen, während Wolfgang Dibiasi gemütlich daneben saß, sie beobachtete und studierte – und natürlich ein Youtube-Video dazu drehte.
Trotz seiner giftigen „Mitbewohner“ hat Dibiasi keine Angst. „Ich fürchte mich mehr vor einem bissigen Hund als vor einer hochgiftigen Schlange.“ Verantwortungsbewusstsein sei das A und O: „Eine hochgiftige Schlange oder Spinne ist wie eine Waffe – die kannst du auch nicht geladen rumliegen lassen.“ Und er weiß, wovon er spricht – immerhin besitzt er auch einen Waffenschein.
Vom Gift zur Gesundheit
Dibiasi weiß: „Die Dosis macht das Gift.“ Das Gift der Sandrasselotter zum Beispiel tötet Tausende Menschen pro Jahr – doch richtig dosiert kann es Leben retten. In seinem eigenen Labor experimentiert er mit verschiedenen Substanzen, betont aber, dass er sich strikt an die gesetzlichen Vorgaben hält und nichts von Illegalität hält. Aktuell plant er, Kobragift zur Entwicklung eines Schmerzmittels zu nutzen. „Ich würde die Kobras sogar selbst melken“, erzählt er, „vorausgesetzt, es findet sich ein legaler Weg – etwa über eine entsprechende Einrichtung.“ Das Gift würde er mit anderen Substanzen kombinieren, damit es durch die Haut eindringen kann – eine Salbe soll entstehen. Ob das Produkt eines Tages auf den Markt kommen wird, wird sich zeigen – Medikamente erfordern schließlich teure Zulassungen.
Neben seinen Experimenten hat Dibiasi bereits ein eigenes Nahrungsergänzungsmittel entwickelt: „Wolfs Vitalkapseln“ – eine Mischung aus vier Heilpflanzen zur Unterstützung des Immunsystems und der Konzentration. „Es ist kein Medikament, aber die Leute schwören drauf“, sagt er mit hörbarem Stolz in der Stimme.
Schmerz verstehen – und besiegen
„Fast jeder hat irgendwo Schmerzen, aber oft gibt es keine Antworten“, sagt Dibiasi. Viele Menschen rennen jahrelang von Arzt zu Arzt, ohne eine Lösung zu finden. „Irgendwann muss man aber an sich selbst arbeiten.“ Dibiasi verbindet seine biologischen Kenntnisse mit psychologischem Wissen und Mentaltraining. Er weiß: Schmerzen sind nicht nur körperlich, sondern auch tief in der Psyche verwurzelt. Mit gezielten Techniken will er helfen, Schmerzen nicht nur zu lindern, sondern deren Ursachen zu verstehen.
Das Studium – Fundament seiner Mission
Sein Wissen kommt nicht von ungefähr. Er hat Biologie in Innsbruck studiert, einen Master in Zoologie gemacht und sich darüber hinaus mit Biomedizin, Astro- und Teilchenphysik beschäftigt. Zusätzlich absolvierte er eine Mentaltrainerausbildung. „Ich bin nur ein Durchschnittsmensch, der sich interessiert“, sagt er bescheiden. Doch sein Interesse hat ihn weit gebracht: Heute hält er Vorträge, schreibt Bücher (sieben bisher) und vermittelt sein Wissen einer breiten Öffentlichkeit.
YouTuber mit Biss – und Meinung
Sein größtes Sprachrohr ist YouTube. Und damit verdient er auch hauptsächlich sein Geld. In seinem Studio – das er sich übrigens wie sein Labor zu Hause eingerichtet hat – produziert er jede Woche neue Videos, erreicht monatlich Millionen von Menschen und baut kontinuierlich seine Community aus. Sein Ziel: komplexe Themen verständlich und spannend zu vermitteln. „Nicht zu kompliziert, wenig Fachsprache, passend für die breite Masse.“
Neben Wissenschaftlichem spricht er auch gerne über persönliche Entwicklung. „Meine eigene Reise begann mit dem Buch: ,So denken Millionäre‘“, erzählt er. „Das war der Startschuss in Richtung Unabhängigkeit.“ Wolfgang Dibiasi nimmt selten ein Blatt vor den Mund – auch nicht in gesellschaftlichen oder politischen Fragen. Seine direkte Art polarisiert. Das bringt ihm Kritik ein, aber auch viele Fans. „Von mir aus kann jeder tun, was er will, solange er die anderen in Ruhe lässt“, sagt er. Seine Fangemeinde auf Social Media reicht längst über Südtirol hinaus – viele seiner Videos gehen im gesamten deutschsprachigen Raum viral. Darin spielt er mal charmant mit seinem Traminer Dialekt, mal flucht er derbe auf Italienisch – ein Stil, der provoziert, aber auch bestens ankommt.
Ein Leben voller Begeisterung
Mentaltraining, Forschung, Biologie, YouTube – und derzeit auch noch Daytrading. Wie passt das alles zusammen? „Irgendwie gar nicht, aber dann doch wieder“, lacht Dibiasi, der sich selbst als Hobby-Philosoph bezeichnet. „Es braucht oft mehr Begeisterung als Intelligenz.“ Und genau diese Begeisterung treibt ihn an.
Was als Nächstes kommt? Das weiß wohl nur Wolfgang Dibiasi selbst. Sicher ist nur: Es wird spannend – und wahrscheinlich auch ein bisschen verrückt.
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