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Der Chlorgeruch gehört zu ihr, sagt sie. Seit zwei Jahren hat Lisa Fissneider aus Kaltern ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie ist Profischwimmerin, wurde schon Junioren-Europameisterin und Junioren-Weltmeisterin und trainiert nun für Olympia. Braungebrannt und mit strahlend weißem Lächeln kommt die 20-Jährige mir auf dem Kalterer Dorfplatz entgegen. Größer als gedacht, muss sie sich sogar etwas bücken, um mir zur Begrüßung drei Küsschen zu geben. Im September ist sie vom Olympiastützpunkt in Verona, wo sie für zwei Jahre wohnte, wieder zurück nach Kaltern gezogen und kommt zwischen Reisen und Trainings gar nicht mehr zum Stillstand. Bei einem Macchiato erzählt Lisa von ihrem Leben als Profisportlerin.
Rom, Zagreb, USA … Als Profischwimmerin bist du ständig unterwegs. Sei es für Wettkämpfe oder zum Trainieren. Gibt es da manchmal Heimweh?
Als ich in meinem Matura-Jahr für zwei Jahre nach Verona gezogen bin, habe ich das Heimweh schon gespürt. Mittlerweile habe ich aber verstanden, dass dieses Gefühl vor allem vom Ort abhängt. Wenn ich irgendwo bin, wo es für mich passt, ich von den richtigen Leuten umgeben bin und mich wohlfühle, dann ist das Heimweh nicht so groß. Auch wenn ich mein Zuhause über alles liebe.
Dein Zuhause ist Kaltern. Hast du denn hier im Kalterer See auch schwimmen gelernt?
Ja natürlich. Im Kalterer See hat alles angefangen. Da mein Vater auch Schwimmer war, haben meine Eltern, als ich klein war, beschlossen, dass ich als Sport doch das Schwimmen ausprobieren sollte. Also habe ich meinen ersten Schwimmkurs am See besucht, wo ich bereits zu den Besseren zählte. Wasser war einfach schon immer mein Element. Auch das Brustschwimmen war schon von klein auf mein Stil. Man sagt, als Brustschwimmerin muss man geboren werden, und das bin ich (grinst).
Und ich dachte immer, Brust schwimmen nur die Omas auf dem Kalterer See, damit ihre Haare nicht nass werden.
(lacht) Nein, so ist das nicht. Ich denke, viele schwimmen nur Brust, weil man bei diesem Stil immer atmen kann. Sobald man aber auf Profi-Level schwimmt, ist das der komplizierteste und der technisch schwierigste Stil.
Um seinen Stil immer und immer wieder zu perfektionieren, muss sicher hart trainiert werden. Wie sieht denn eine Trainingswoche bei dir aus?
Morgens stehe ich um halb sieben auf und lasse mir ausgiebig Zeit beim Frühstücken, ich bin nämlich eine Genießerin. Dann geht es ab nach Bozen, wo ich um acht Uhr bereits im Wasser bin. Das Training dauert zwei Stunden. Dann gehts ab nach Hause für eine kurze Pause. Nachmittags habe ich dann eineinhalb Stunden Krafttraining und anschließend nochmal zwei Stunden Schwimmtraining. Insgesamt trainiere ich also so sechs Stunden täglich, sechs Mal in der Woche. Mittwoch Nachmittag habe ich frei, deshalb ist Mittwoch auch mein Lieblingstag (lacht). Sonntags habe ich momentan eigentlich immer Wettkampf. Wenn ich Freitag und Samstag Wettkampf habe, habe ich Sonntag frei, zum Regenerieren.
Ist bei so einer Trainingsdichte der Spaß denn noch da?
Ja, Spaß ist für mich immer die Basis. Schwierig wird es nur manchmal den Winter über, weil ich einfach nicht der Winter-Typ bin. Da hoffe ich immer, dass die kalten Monate bald um sind und ich wieder raus ins Freie kann.
Hast du das Schwimmen wirklich nie satt?
Nein, eigentlich nicht. Das hört sich jetzt vielleicht verrückt an, aber ich liebe das Schwimmen total. Auch wenn morgen wieder zehn Kilometer auf dem Programm stehen, freue ich mich darauf. Das Gefühl im Wasser ist für mich unbeschreiblich, das ist Leidenschaft und dadurch geht es umso leichter. Darum bin ich auch überglücklich, dass ich vor zwei Jahren mein Hobby wirklich zum Beruf machen konnte. Das Jahr davor war nämlich unheimlich anstrengend. Neue Schule auf italienisch in Verona im Matura-Jahr, Training vor und nach der Schule, neuer Trainer und Heimweh haben sich schlussendlich auch auf meine Gesundheit ausgewirkt.
„Während der Schulzeit hat mir das Schwimmen sehr geholfen, einfach mal den Kopf abzuschalten. Sobald ich ins Wasser eingetaucht bin, konnte ich schwimmen und war in meiner Welt. Da, wo es mir gefällt.“
Schwimmen ist also jetzt dein Beruf. Kannst du wirklich davon leben?
Ich wurde vor zwei Jahren bei der Finanz-Sportgruppe aufgenommen. Dadurch kriege ich monatlich mein Stipendium und kann ganz gut davon leben. Schwimmen ist aber eine Sportart, von der man nicht reich wird. Deshalb sage ich immer: Der, der als Profi schwimmt, macht es wirklich, weil er es gerne macht.
Und wie war das, als du vor einigen Jahren als kleine Lisa deinen ersten großen Sieg eingeheimst hast?
2009 habe ich in Bozen mit einer starken Gruppe trainiert und habe mich plötzlich für die Italienmeisterschaft qualifiziert. Alle waren super froh darüber und ich habe damals noch gar nicht wirklich realisiert, was da gerade um mich herum passiert. Den ersten Lauf in Riccione habe ich dann mit einer super Zeit gewonnen, bin aus dem Wasser gestiegen und man hat mich gleich auf italienisch interviewt. Ich habe gar nicht verstanden, was die alle von mir wollten. Ich bin total ins kalte Wasser geschmissen worden. Wortwörtlich (lacht). Da hat das 14-jährige „Gitschele“ plötzlich die Italienmeisterschaft von den Großen gewonnen. Das war eine gigantische Veränderung in meinem Leben. Von einem „Gitschele“, das drei bis vier Mal in der Woche schwimmen gegangen ist und südtirolweit gut war, zu jemandem, der von einem Moment auf den anderen in ganz Italien bekannt war.
Anfangs habe ich gar nicht verstanden, was um mich herum passiert. Als ich dann plötzlich in allen Zeitungen war, habe ich nach und nach kapiert, was da eigentlich los ist, bin gewachsen und habe einen riesigen Sprung gemacht. Ich habe mir nie viel dabei gedacht, bin immer mit der gleichen Freude zum Training gegangen und die Erfolge kamen dann nach und nach. Zuerst Junioren-Europameisterin, dann Junioren-Weltmeisterin und so weiter. Ich denke, der Weg dahin war einfach Schicksal.
Lisas Spezialgebiet sind die 100 m Brust, die sie neben den 50 m schwimmt. Mittlerweile versucht sie sich mehr auf 200 m zu fokussieren. Im nächsten Jahr ist nämlich Olympia-Jahr und bei Olympia gibt es keine 50 m. Mit der Vorbereitung hat sie schon heuer begonnen. Wettkämpfe jedes Wochenende und harte Trainings, um perfekt vorbereitet und routiniert in das Olympia-Jahr zu starten.
Kann man nach so vielen Jahren eigentlich noch etwas an seinem Stil verbessern?
Weißt du, wie oft ich mir das denke? (lacht) Jetzt schwimme ich so lange, aber es gibt wirklich immer wieder Sachen, die man verändern kann. Vor fünf Jahren ist man beispielsweise total anders Brust geschwommen als heute. Es gibt einfach immer wieder technische Neuerungen, wie beispielsweise neue Schwimmanzüge. Schwimmen ist mittlerweile einfach hochtechnisch und man muss sich daran anpassen, überhaupt wenn man auf europäischem oder gar weltweitem Level schwimmen wil.
Was zeichnet den Lisa-Stil im Wasser aus?
Ich bin eher der Mensch, der nicht mit Kraft schwimmt, sondern mit Sensibilität und Gefühl. Ich bin nicht eine, die „matscht“, ich schwimme mit Leichtigkeit.
Spiegelt sich dein Schwimmstil denn auch in deinem Charakter wieder?
Ja. ich bin eindeutig eher der sensible Typ. Trotzdem habe ich aber einen starken Charakter, bin ehrgeizig und weiß, was ich will. Ich höre aber immer auf mein Bauchgefühl und entscheide meistens danach. Bis jetzt hat mein Bauch immer gute Arbeit geleistet (grinst und zeigt beide Daumen nach oben).
Und grummelt dieser Bauch denn noch manchmal vor Aufregung, auch wenn du mittlerweile jedes Wochenende an Wettkämpfen teilnimmst?
Ein mulmiges Gefühl gibt es immer. Dann ziehe ich mich entweder in meine Ecke zurück oder „ratsche“ ein bisschen mit jemandem, um abgelenkt zu sein. Musik hingegen macht mich nervös.
Warum hast du dich eigentlich gegen ein Studium nach der Matura entschieden?
Ich bin eine, die immer gerne gelernt hat. Leider habe ich aber festgestellt, dass es in Italien unmöglich wäre, als Profisportlerin zu studieren. Entweder man ist Student oder Sportler. Ich hätte auch Stipendien für Amerika bekommen, was mich sehr gefreut hat. Einige Unis habe ich mir auch angesehen, aber ich weiß nicht wirklich, ob ich mich für immer in Amerika wohlfühlen würde. Dazu bin ich einfach zu heimelig, glaube ich. Dann kommt auch dazu, dass ich vor Olympia keine große Veränderung mehr durchmachen wollte.
Was hat dir denn in den zwei Monaten, die du vor Kurzem zum Trainieren in Amerika verbracht hast, am besten gefallen?
Von den Amerikanern habe ich viele gute Dinge abgeschaut. Am besten gefällt mir ihre Einstellung zum Training. Beim Training sind sie immer zu 100 Prozent dabei, kaum ist die Einheit jedoch vorbei, schalten sie ihren Kopf total ab. Hier in Italien und Europa ist das anders, man macht sich zu viel Druck und dadurch geht die Leichtigkeit, die man bräuchte, verloren. Hier wird nach dem Training nicht entspannt, sondern rumgekopft, was besser gemacht werden könnte. Auch den Weg zum Wettkampf gehen die Amerikaner viel gelassner an. Während man sich hier gleich denkt, alles wird schlecht gehen, wenn man nicht in Topform ist, singen und tanzen die Amerikaner zum Startblock. Das sind so Sachen, die mich fasziniert haben und die ich mir abgeschaut habe. Deshalb möchte ich unbedingt wieder nach Amerika. Im Herbst und im Januar ist es wieder soweit.
Mit muskulösen Oberarmen sitzt Lisa vor mir. Auch wenn sie noch eindeutig weibliche Konturen hat, sieht sie trotzdem so aus, als könnte sie so manchen Mann im Armdrücken schlagen.
Haben Männer im Armdrücken bei deinen Armen überhaupt eine Chance, Lisa?
Also mit meinem Trainer kann ich im Armdrücken schon mithalten (grinst frech), das ist immer lustig. Geschlagen habe ich ihn aber noch nie.
Olympia ist das größte, was eine Schwimmerin erreichen kann und dadurch auch dein Ziel, oder?
Ja. Alle reden immer von diesem Olympia-Gefühl. Das macht mich so neugierig, dass ich es einfach auch ein Mal selbst miterleben möchte.
Wer hilft dir dabei, dein Ziel zu erreichen?
Natürlich mein Trainer, der neben Mama und Papa meine wichtigste Bezugsperson ist und dessen Motivation für mich sehr wichtig ist. Aber natürlich auch meine Familie. Meine Schwester, mein großer Sonnenschein, mein Papa und vor allem meine Mama. Sie ist „die Mami“ und sieht mich immer als Mensch, als Tochter und ist in dieser Hinsicht einfach jemand, der mir eine Stütze ist, zu der ich immer gehen kann.
Zu ihrer Mama hat Lisa auch gleich noch eine Anekdote parat:
https://api.soundcloud.com/tracks/211892585
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