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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 20.03.2017
LeuteConstantin Schreiber in Bozen

Der Flüchtlingsreporter

Veröffentlicht
am 20.03.2017
Constantin Schreiber wurde bekannt, weil er Flüchtlingen Deutschland erklärte. Der Journalist über die Herausforderung Islam, Hasspostings und darüber, was in Moscheen gepredigt wird.
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Constantin Schreiber lebte als Journalist und Reporter in Syrien, Dubai und im Libanon und beschäftigt sich vor allem mit Fragen rund um die muslimische Zuwanderung. Dafür produziert er Reportagen, Magazine und Bücher. Für die Moderation der deutsch-arabischen Sendung „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ wurde er 2016 mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Information ausgezeichnet. In der Sendung erklärte er Flüchtlingen auf Arabisch die deutsche Kultur.

Seit Jänner moderiert Constantin Schreiber die Tagesschau der ARD und ab dieser Woche auch das Medienmagazin „Zapp“ (Mittwoch, 23:20 Uhr, NDR). Am vergangenen Donnerstag sprach er beim Presseempfang des Raiffeisenverbandes Südtirol zum Thema „Herausforderung Islam – Wie die Flüchtlingskrise Europa verändert“.

Herr Schreiber, wie verändert die Flüchtlingskrise Europa?
Sie macht noch dringender deutlich, wie sehr wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, was Zuwanderung – insbesondere von so vielen Muslimen – für unsere Gesellschaft bedeutet. Wir haben lange ignoriert, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist. Das hat sich ganz eindeutig geändert. Aber ohne, dass wir sagen können, wie das in Zukunft funktionieren soll. In den Niederlanden werden im Jahr 2050 laut Prognose 40 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. In Berlin haben in manchen Bezirken 70 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Welche Rolle sollen diese Menschen bei uns spielen, und wie reagieren die alteingesessenen Deutschen auf diese Zuwanderung? Damit müssen wir uns beschäftigen. Ich habe dafür keine Antworten, ich kann nur den Mahner spielen und versuchen, darüber zu diskutieren. Ich habe immer noch den Eindruck, dass die Politik versucht, auf Zeit zu spielen: Jemand anderes, der später kommt, soll sich darum kümmern.

Der Spiegel schreibt über Sie: „Als alle über Geflüchtete redeten, sprach er zu und mit ihnen, ohne sich als ihr Fürsprecher zu verstehen.“ Wieso befassen Sie sich mit dem Thema?
Es hat sich so entwickelt. Als die Flüchtlingskrise präsent wurde, sagte ein deutscher Politiker zu einem anderen deutschen Politiker in einer Diskussionssendung, die Flüchtlinge sollten das Grundgesetz lernen. Das bekommt kein Flüchtling mit. Also muss man das so sagen, dass es die Betroffenen auch verstehen – in der Sprache, die sie sprechen. Man kann nicht erwarten, dass Flüchtlinge nach zwei Wochen in Deutschland Deutsch verstehen. Mit Videoclips wollten wir auf Arabisch über Deutschland aufklären.

Wie schafft man es, dabei eine professionelle Distanz zu wahren?
Ich bin aus gutem Grund Journalist geworden. Man muss für sich klären, ist man Aktivist, Politiker oder Journalist. Als Journalist sollte man sich mit allen Facetten aktueller Themen beschäftigen und nicht eine Botschaft aussenden. Man kann über vieles streiten, was gut oder schlecht läuft, was Flüchtlinge und was Deutsche tun müssen, aber es ist nicht nur eine Gruppe in der Pflicht, es macht nicht eine Seite alles richtig und die andere alles falsch.

Ich glaube, es war lange möglich, wegzusehen. Migranten leben in Deutschland konzentriert an wenigen Orten, in vielen Gebieten Deutschlands gibt es sie praktisch nicht.

Was läuft gut, was schlecht? Was müssen wir dringend ändern?
Mich hat beeindruckt, wie viele Freiwillige und Ehrenamtliche versucht haben, anzupacken und Hilfe zu organisieren. Das hat von staatlicher Seite oft nicht gut funktioniert, weil viele Kommunen überfordert waren. Das ging alles zu schnell.

Es war abzusehen, was auf uns zukommt. Die Flüchtlinge standen nicht von jetzt auf gleich vor Europas Grenzen.
Es ist zu einfach, immer nur mit dem Finger auf die Politik zu zeigen. Politik ist ein Spiegel der Gesellschaft und gesellschaftlicher Debatten. Uns hat das Thema wohl auch nicht wirklich interessiert. Ich glaube, es war lange möglich, wegzusehen. Migranten leben in Deutschland konzentriert an wenigen Orten, in vielen Gebieten Deutschlands gibt es sie praktisch nicht. Man konnte sich sein Leben drumherum bauen. Das Problem war unsichtbar, aber es wird zunehmend schwieriger, dem Phänomen auszuweichen.

Wir kommen von einer Phase des Notstandes in eine Phase der Normalität. Schaffen wir das?, um einen berühmt-berüchtigten Satz von Angela Merkel zu zitieren.
Ja, wir sind zurück in der Normalität. Es kommen ja fast keine Flüchtlinge mehr. Jetzt müssen wir mit denen arbeiten, die da sind, sie zurückschicken oder Integrationsarbeit leisten. Wenn ich zurückdenke, wie panisch und atemlos die Situation in Deutschland 2015 war – da haben sich viele Sorgen gemacht, wie das zu schaffen ist, ob die Stimmung kippt und so weiter. Ich fand den Satz damals übrigens banal. Merkel sagte auch nicht, was wir schaffen sollen, und bis wann. Aber was hätte sie sagen sollen? Wir schaffen das nicht, konnte sie schlecht sagen.

Ihr Engagement mit Flüchtlingen wird nicht allen gefallen. Wie geht man mit persönlichen Angriffen um?
Mich betrifft das relativ wenig. Ich kenne Kollegen, die diese Hasspostings und Shitstorms mehr angreifen. Da sind schon recht deftige Sachen dabei, aber ich lass mich davon nicht beirren.

Mit der Zuwanderung werden auch Konflikte importiert. Wie kann man damit umgehen? Muss der Staat Härte zeigen?
Strenger Staat klingt nach Unterdrückung und Einschränkung von Freiheiten, da muss man aufpassen. Andererseits muss man Freiheit auch mit Nachdruck vertreten: Thema Frauenrechte. Wie gesagt, ich bin Journalist und kein Politiker, ich kann nur Probleme benennen und keine Lösungen vorschlagen. Dafür braucht es den gesellschaftlichen Diskurs. Mein Eindruck ist aber schon, dass wenn bestimmte Handlungen keine Konsequenzen haben, man glaubt, die seien in Ordnung.

Sie sagen, der Islam ändert Europa, aber Europa ändert auch den Islam.
Ich glaube, Europa kann zu einer Reformation des Islam beitragen. Viele islamische Länder sind in Diktaturen oder extrem religiös-konservative Strukturen zurückgeworfen, da gibt es diese Diskussion gar nicht. In Europa treffen Muslime auf Freiheiten, auf die Trennung von Staat und Kirche, auf eine moderne Gesellschaft. Das ist für viele Muslime sicher erstrebenswert.

Ich habe noch keine Predigt gehört, die eine Brücke zum Leben in Europa war.

Für die ARD gehen Sie in Moscheen in Deutschland und zeichnen die Predigten dort auf. Ich nehme an, Sie hören dabei nicht nur Erbauliches?
Bei den Predigten, die ich mir bisher angehört habe, war wenig Erbauliches dabei. Das ist sehr ernüchternd. Der rote Faden, der sich durch die Predigten zieht, ist die Warnung vor dem Leben in Deutschland und Europa. Es gibt antisemitische Ausfälle, manche Texte sind krude religiös. Ich habe noch keine Predigt gehört, die eine Brücke zum Leben in Europa war.

Wo müsste man da ansetzen?
Das ist wieder eine politische Diskussion. Ich bin kein Politiker, ich kann nur sagen, was mir auffällt, oder was ich aus meiner Recherche als problematisch empfinde. Ein Problem ist, dass in den Moscheen nur Türkisch, Persisch oder Arabisch gesprochen wird. Manche Imame sind seit 13, 14 Jahren in Deutschland und können kein Wort Deutsch. Wie kann das sein? Ist es richtig, dass es keine Deutschpflicht gibt? Denn sobald man eine Sprache lernt, setzt man sich auch mit der Kultur eines Landes auseinander. Wir wissen oft auch nicht, wo die Moscheen sind, es gibt kein Register. Man muss die erst finden. Man weiß nicht, wer und wo die Ansprechpartner sind.

2015 haben Sie das Buch „1.000 Peitschenhiebe“ herausgegeben. Darin haben Sie Texte zusammengetragen, für die der Blogger Raif Badawi in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Wissen Sie, wie es ihm geht?
Das letzte, was ich gehört habe, war, dass er in Isolationshaft sitzt.

Leidet man da mit?
Es macht mich schon sehr nachdenklich. Ich finde es bewundernswert und beeindruckend, was manche Menschen für ihre Überzeugung auf sich nehmen. Mitleiden eher nicht, aber ich empfinde große Hochachtung und Wertschätzung.

Journalismus hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wie kann man dem begegnen?
Ich fand, dass bei der Flüchtlingskrise, vor allem aber bei der Berichterstattung zur AfD, die Grenze zwischen Berichterstattung, Kommentar und Aktivismus überschritten wurde. Wenn Leute das Gefühl bekommen, dass da nicht nur berichtet wird, sondern da will mir jemand sagen, was ich denken soll, dann bekommt Journalismus ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ich würde jedem empfehlen, das klar abzugrenzen.

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