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Ein warmer Frühlingssonntag vor 30 Jahren. Auf der Promenade, in der Nähe des Meraner Kurhauses, sitzt ein Kauz in seinem Festgewand auf einer Bank. Er beginnt mit einem kleinen Holzhammer auf die Saiten seiner Gitarre, an der ein rot-weißes Band hängt, zu schlagen. Touristen und Einheimische bleiben stehen, wundern sich über das merkwürdige Spiel und den undefinierbaren Gesang. Manch einer wirft einen alten Lireschein in seinen Gitarrenkoffer. Die meisten Einheimischen kennen ihn, er gehört zum Stadtbild. Nach getaner Arbeit packt der Sonderling mit Vollbart und Trachtenhut – der sein gegerbtes Gesicht versteckt – die Gitarre auf den Rücken und fährt mit seinem alten Fahrrad nach Hause. Daheim ist er auf einer Mülldeponie in Lana, am Ufer jenes Flusses, dem er seinen Namen verdankt: der Falschauer.
Südtiroler Unikum
Der Falschauergeist war ein Südtiroler Unikum, der die Plätze und Märkte rund um Meran bunter machte. Mit seinem urigen Motorroller tingelte er durch die Gegend und verdiente sich mit dem Spielen auf seiner selbstgebastelten Harfe, seiner Gitarre und Geige seinen Lebensunterhalt. Viel brauchte er nicht. Ernst Rifesser, so sein richtiger Name, lebte von dem, was der Müll hergab. Kleidung und Essbares, alles was er unterwegs fand, packte er in Plastiksäcke. Altes Gerümpel, von Antiquariat zu sprechen wäre übertrieben, machte er scheinbar zu Bargeld. Jedenfalls betonte er stets, dass er sein Geld mit seiner Arbeit verdiente. Neugierige, die ihn auf seiner Müllhalde besuchten, konnten beobachten, wie er altes Eisen zu einer Couch verarbeitete oder verdorbene Würste auf einem Gasherd briet. Trotz der widrigen Lebensbedingungen hatte der Sandler ein fröhliches Gemüt und war auch für einen Spaß zu haben. So setzte er einer Touristin, die sich auf der Meraner Promenade gerade auf einer Bank sonnte, unbemerkt seinen Hut auf. Die Frau staunte nicht schlecht, als sich ein lachender Sandler als Scherzbold zu erkennen gab. Damit machte er sich sympathisch. Als ihm die Polizei eines Tages das Motorrad weggenommen hatte, solidarisierte sich auf den Leserbriefseiten der Dolomiten eine kleine Fangemeinde, die ihre Empörung darüber ausdrückte.
Lebende Legende
Um den Falschauergeist rankten sich schon zu seinen Lebzeiten die Legenden: Dass er eigentlich reich sei, aber dieses Leben als Einsiedler für sich gewählt habe. Oder dass er Lehrer gewesen sei, unter dessen Obhut ein Schüler ertrunken sei und dessen Tod er nie überwunden habe. Gerüchte, Legenden, Mythen. Fest steht: Ernst Rifesser stammte aus Lajen, am Eingang des Grödnertales. Vor mittlerweile fast 20 Jahren wurde er auf den Talferwiesen in Bozen tot aufgefunden. Am Vormittag hatte der fahrende Straßenmusikant in der Bozner Altstadt noch Passanten mit seinem Gitarrenspiel beglückt. Zeugen hatten dabei bemerkt, dass sein Bein blutete, vermutlich aufgrund eines offenen Geschwürs. Rifesser wurde 61 Jahre alt und war angeblich sein Leben lang bei keinem Arzt. Wieder so eine Legende.
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