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Ich treffe Martin Stampfer im Park des Hotel Laurin in Bozen. Ich erkenne ihn gleich, denn er ist der einzige Mann mit Baby auf dem Arm. Stampfer ist momentan im Vaterschaftsurlaub und genießt die Zeit mit dem neun Monate alten Jakob sichtlich. „Das ist eine Zeit, die mir sonst keiner zurückgibt“, sagt er über die ersten Lebensmonate seines Sohnes. Der 37-jährige ist einer der Organisatoren des Rock-im-Ring-Festivals auf dem Ritten und wohnt zwar in Bozen, ist im Herzen aber immer ein Rittner geblieben. Sein Tee steht neben meinem Aufnahmegerät auf dem Tisch, das Gespräch beginnt.
Im Juli findet auf dem Ritten bereits zum 21. Mal das Rock-im-Ring-Festival statt. Wie lange bist du als einer der Organisatoren schon dabei?
Schon seit 18 Jahren. Das ist als kleines Fest entstanden, hat sich dann etabliert und ist mit der Zeit immer mehr gewachsen.
Hast du dir damals vorstellen können, dass daraus je etwas so Großes werden wird?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind mittlerweile zu sechst im Organisationskomitee und basteln das ganze Jahr über am Festival. Wir haben immer Spaß an der Sache gehabt. Es hat sich aus einem Hobby heraus entwickelt – ich will nicht sagen zu einem zweiten Standbein, weil man davon nicht leben kann und wir das auch nicht wollen. Jeder von uns hat einen Brotberuf und wenn Geld übrig bleibt, spucken wir das alles wieder ins Festival. Die Organisation ist sehr aufwändig, wir treffen uns zweimal im Monat. Es ist eben kein Kindergeburtstag. (lacht) Letztes Jahr waren über 7.000 Leute auf dem Festival.
Mittlerweile spielen auch internationale Größen auf dem Ritten. Wie kommt man überhaupt an Bands wie den heurigen Headliner Slayer?
Das läuft alles über Agenturen. Das erste Mal, dass wir direkt mit der Band in Kontakt kommen, ist erst, wenn sie auf dem Ritten aus dem Tourbus steigt. Wir haben uns nun als Festival einen Namen gemacht und seriös gearbeitet. Dadurch sind wir auch an die großen Agenturen herangekommen. Die Live Nation, mit der wir jetzt arbeiten, ist die größte Agentur weltweit. Im Vergleich zu den anderen Festivals, die sie bedient, gehören wir zu den ganz kleinen. Wenn die Künstler dann kommen und die Rittner Straße rauffahren, sind sie vielleicht schon erstmal erschrocken: „Oh Gott, wo haben die uns denn hinvermittelt?" (lacht) Dann punktet aber schon einmal das Panorama, wenn sie oben ankommen, und die persönliche Betreuung.
Wie fühlt sich das an, wenn du die Headliner aus dem Tourbus steigen siehst?
Das ist dann schon immer etwas ganz Besonderes. Da kommen Leute – wie jetzt Tom Araya, der Leadsänger von Slayer – zu denen man vor 20 Jahren vor dem Spiegel gepost hat. (lacht) Zu diesen Bands hat man immer aufgeschaut und jetzt sitzt man im Backstage-Bereich auf ein Bier mit ihnen zusammen. Da geht man schon mit Respekt an die Sache. Es hat sich aber herausgestellt, dass das ganz normale und unkomplizierte Menschen sind.
Wie kann man so ein großes Festival überhaupt finanzieren?
Das ist schon schwierig. Wir haben viele treue Sponsoren, vor allem der Ritten steht hinter uns. Dann haben wir auch noch ein paar größere Sponsoren. Schon allein Bühnenaufbau und Strom – wenn wir das alles monetär bezahlen müssten, wäre es in dieser Größenordnung gar nicht möglich. Der Rest, ja der kommt aus der eigenen Tasche von uns sechs Organisatoren. Bis die Leute nicht ins Areal strömen, schlafen wir dann nicht so gut.
Also ist das auch ein persönliches Risiko für euch?
Mittlerweile ist es schon so, dass uns auch die Bank unterstützt. Aber falls es uns wirklich einmal alles verregnen oder sonst etwas passieren würde, dann müssten wir dafür grade stehen. Und dabei handelt es sich mittlerweile schon um Summen im sechsstelligen Bereich. Das ist also schon ein Risiko, und das geht auch nur, wenn man das mit Leidenschaft macht.
Warum tut man sich so etwas überhaupt an? Hast du nie daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
Man ist ein bisschen ein Junkie, wenn man das so lange macht. Und wenn man ein Baby so lange großgezogen hat, dann gibt man das auch bei einem Rückschlag nicht so schnell auf. Vor ein paar Jahren ist uns das mit dem Headliner Fettes Brot passiert, der bei uns überhaupt nicht funktioniert hat. Schon beim Aufräumen am Sonntag war eine Totenstimmung, man hat ja die Zahlen im Hinterkopf. Wir wussten, dass das existenzgefährdend war, also dass es uns hätte das Festival kosten können. Zwei Jahre mussten wir Rock im Ring dann in der Halle machen, weil wir kein Wetterrisiko eingehen konnten. Im dritten Jahr konnten wir es wieder nach draußen verlegen und hatten ein paar Glücksgriffe. Dann ist es steil aufwärts gegangen.
Dein persönliches Rock-im-Ring-Highlight?
Der Moment, als ich bei der Show der Beatsteaks auf dem Technikturm gestanden bin und unter mir die ganze Masse total abgegangen ist. Das war ein Gänsehautmoment. Schau, auch jetzt beim Erzählen! (zeigt mir seinen Arm). Da weiß man, dass sich jede einzelne Sekunde gelohnt hat, die man in die Organisation investiert hat. In den letzten Jahren habe ich mir das angewöhnt und schaue mir die letzte Gruppe immer vom Technikturm aus an. Der Moment gehört dann nur mir.
Was hörst du privat?
Rock ist schon meins, aber ich höre auch viel Ö1. Ich bin ein Stimmungshörer, auch Klassik gefällt mir gut. Ich bin da ein Chamäleon, bis auf Volkstümliche Musik, Schlager und Südtirol-1-Mainstream geht bei mir alles, aber je näher Rock im Ring kommt, desto mehr höre ich auch wieder Rock.
Hättest du ein Problem damit, wenn dein Sohn Schlagersänger werden würde?
Ja, ich glaube schon. Aber das kriegt er von der Attitüde und vom Umfeld zu Hause nicht so mit, also ist es sehr unwahrscheinlich. (lacht)
Wie würdest du allgemein die Südtiroler Festivalkultur beschreiben?
Ich finde es sehr, sehr positiv, dass sich im Livesektor so viel tut. Schon allein die Open Airs im Sommer mit 40 bis 50 Veranstaltungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Das ist super, aber die Problematik dabei ist eben auch, dass teilweise drei bis vier Festivals am gleichen Wochenende stattfinden und man sich so das Publikum gegenseitig wegnimmt. Aber kleine Festivals sind auf die Besucherzahlen nicht ganz so stark angewiesen.
Welche Unterschiede zu früher machst du in Südtirol fest?
Die vielen Festivals müssen ja auch mit Bands bestückt werden. Man kann ja nicht auf 40 Festivals dieselben Bands spielen lassen. Vor zehn Jahren hat der Trend begonnen, dass immer mehr junge Leute in Bands gespielt haben, die qualitativ sehr hochwertig waren. Sie sind aus den Musikschulen rausgekommen, waren musikalisch schon sehr gut ausgebildet und machten einen guten Sound. Die Musiklandschaft ist dadurch stark gewachsen und erst die ist der Nährboden für die Festivals.
Wie unterscheidet sich Südtirol von anderen Regionen?
Südtirol ist sehr rockaffin. In Nordtirol existiert Rock kaum noch. Wir haben auch bei Rock im Ring Anfragen von Bands, die in Nordtirol um jeden Auftritt kämpfen müssen, weil sie als Trashmetal-Band dort zu wenig Publikum haben. In Innsbruck laufen Afro und Electronic. Damit füllt man Hallen.
(Martin Stampfer steht kurz auf, um seinen Vaterpflichten nachzukommen, und singt Jakob in den Schlaf. Nach zwei Minuten schläft der Nachwuchs bereits friedlich in seinem Arm.)
Kann man die Südtiroler Bands nach ihren Herkunftsorten charakterisieren?
Man kann das Publikum charakterisieren, die Bands sind da offener. Beim Matscher-Au-Festival zum Beispiel gibt es sehr viel Reggae und tanzbaren Sound. Das ist eine Vinschger Eigenheit. Dasselbe Festival im Ahrntal würde komplett baden gehen. Dort ist das Metalpublikum zu Hause. Je härter, desto besser. In Ulten und im Passeiertal ist es ähnlich. Die Sarner sind eher in der Punkszene zu Hause, im Unterland gibt es dann schon mehr italienische Einflüsse, Rockabilly und Hardcore zum Beispiel.
Bist du auch selbst noch viel auf Festivals unterwegs?
Früher noch mehr, aber auch jetzt picken meine Kollegen und ich uns immer ein paar Highlights heraus. Eternity of Rock in Prad, das war immer ein verschworener Haufen, gibt es leider nicht mehr. Da haben die Rahmenbedingungen nicht mehr gepasst, was sehr schade ist. Das war ein Fixtermin für uns. Einmal im Jahr geht’s dann auch nach München. Und wenn es sich ausgeht, auf ein großes Sommerfestival. Aber Wacken nicht mehr. Das war lustig und bärig, aber ich latsche heute keine 45 Minuten mehr vom Zelt zur Hauptbühne. (lacht) Ich bin mittlerweile ein Hotelwohner, der belächelt wird.
Aber im Herzen noch Rocker geblieben?
Absolut. Das bleibt man. Die Haare werden kürzer, die T-Shirts ändern sich, aber Rocker ist und bleibt man.
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