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Max Leitner hat ein bewegtes Leben hinter sich. Erst überfiel er Banken und Geldtransporter, so richtig berühmt wurde er aber erst, als er das Leben im Gefängnis satt hatte und immer wieder erfolgreich ausbrach. Nun ist er 60 Jahre alt und hat die wilden Zeiten hinter sich. In einer Pension in Seis verbringt er die letzten Monate seiner Strafe im Hausarrest, zur Ruhe setzen will er sich aber noch lange nicht. Gesundheitlich gehe es ihm allerdings nicht so gut, das letzte Jahr im Gefängnis habe ihn sehr geschädigt, sagt er. Leitner hatte einen Herzinfarkt und einen Hirnschlag. Er empfängt in der Stube der Pension, fragt sofort „bisch alloan?“, bietet Obst an und erzählt dann freimütig aus seinem Leben.
Herr Leitner, wie kommt man auf die schiefe Bahn?
Aus purer Armut. Wir waren viele Kinder daheim, ich hatte kein Geld, dann beginnt man halt. So bin ich reingerutscht. Mit 18 habe ich angefangen, da es mir nicht gelungen ist, die Handelsschule abzuschließen.
Wie beginnt man da? Mit der Kasse im Geschäft um die Ecke?
Man beginnt mit den Banküberfällen. Man fängt gleich groß an, oder man lässt es bleiben.
Sie waren bei den Überfällen nicht allein. Wie kommt man zu einer Bande?
Man muss eine bestimmte Autorität haben und eine Kühnheit. Damit die anderen sehen, dass du was wert bist. Dann bilden sich Organisationen. Meine Männer waren alle nicht aus Südtirol, es waren Italiener aus Gegenden, wo die organisierte Kriminalität herrscht.
Waren es immer die gleichen?
Viele waren nur eine Weile dabei, andere länger. Der Held war ich, ich war der Chef. Viele wurden uns vorgestellt, aber nur wenige waren gut genug. Jeder konnte aussteigen, wenn er es nimmer „derpockt“ hat. Das ist menschlich, ich habe nie jemanden zu etwas gezwungen.
Haben Sie noch Kontakt zur Bande?
Sind alle im Gefängnis.
Was musste man haben, um in die Bande zu kommen? Nervenstärke? Skrupellosigkeit?
Absolut edle Prinzipien. Und Ahnung von Geschichte. Zum Beispiel die Einigung Italiens durch Garibaldi. Die haben gestohlen und geraubt. So war es auch beim amerikanischen Bürgerkrieg. Uns ging es nie um politische Ziele. Wir wollten uns bereichern.
Wie viel Geld ist so zusammengekommen?
Kann man nicht sagen.
Was habt ihr mit dem Geld getan – verprasst? Oder liegt noch irgendwo eine Schatzkiste?
Kann man leider nicht sagen.
Einen Teil der Beute haben Sie verschenkt?
Ich habe sehr vielen armen Leuten geholfen, mit hunderten Millionen Lire. Das war in den 80ern sehr viel Geld.
Wie viele Raubüberfälle waren es?
Wie viele Raubüberfälle wir gemacht haben, kann ich leider nicht sagen. Kann man nicht sagen. Auch wie viele Überfälle auf Geldtransporter wir gemacht haben. Kann man nicht sagen.
Wie war so die Beute?
Bei einem Banküberfall waren es meist so 150 bis 200 Millionen Lire. Bei den Geldtransport-Überfälle waren es bis zu zehn Milliarden.
Das muss man erst mal ausgeben.
Das ist bald ausgegeben.
Haben Sie das Leben genossen?
Das Leben sehr genossen, auf der ganzen Welt.
Leitner erzählt mal ausführlich und detailliert von seinen Taten, mal will er lieber nicht zu viel sagen. Er ist dabei aber immer sehr höflich, fast zurückhaltend. Man kann sich kaum vorstellen, wie dieser Mann mit einem Maschinengewehr bewaffnet eine Bank stürmt.
Banken überfallen zahlt sich ja kaum mehr aus. Da ist nur mehr wenig Geld zu holen …
Sobald wir gesehen haben, dass in den Bank nicht mehr so viel Geld liegt, haben wir uns eben auf Geldtransporte spezialisiert. Die Kuriere waren bewaffnet, aber sie haben die Geldsäcke einfach fallen gelassen, sie waren ja versichert. Es wurde nie ein Schuss abgefeuert. Aus Glück und Vernunft. Ich habe immer versucht, keinen Menschen zu schaden.
Aber was geht in der Kassiererin vor, wenn plötzlich jemand eine Waffe auf sie richtet?
Ich habe nie auf jemanden gezielt. Der Lauf der Maschinenpistole war immer nach unten gerichtet. Und die Leute in der Bank kannten uns ja von früher. Sie wussten, wir sind Profis und sie haben nichts zu befürchten. Wir wollten nur das Geld.
Zwischendurch entschuldigt er sich immer wieder für seine leise Stimme und seine „schlechte Aussprache“. „Seit mein Schlagl tuats nimmer aso.“ Dabei klingt alles einwandfrei.
Sie nennen sich selbst einen Helden. Wie wird man zum Held, was ist das Heldenhafte an Max Leitner?
Wenn man sechsmal aus dem Gefängnis ausbricht, ist man ein Held. Aus einem Gefängnis auszubrechen ist eigentlich nicht vorgesehen. Das System ist lückenlos, ein Ausbruch unmöglich. Der Reinhold Messner hat ein paar Berge bestiegen. Kleinigkeit. Der wäre nie aus einem Gefängnis rausgekommen. Wenn man das schafft, ist man ein Mann!
Er erzählt lang und detailliert über die Sicherheitsvorkehrungen in den Gefängnissen, wer dort wen überwacht und wem Meldung machen muss, und dass man die Mafiabosse fragen muss, ob man ausbrechen darf. Und dass man ein Held sein muss, um das zu schaffen.
In wie vielen Gefängnissen waren Sie?
Es waren wohl 200. Allein in Marokko war ich in 27 oder 28 Gefängnissen. Viele scheinen offiziell gar nicht auf, ich wurde oft im Geheimen verlegt, damit ich nicht ausbreche.
Wie lange sind Sie insgesamt gesessen?
28 Jahre.
Was tut man den ganzen Tag im Gefängnis?
Sehr schwierig zu sagen. Jedenfalls, nach sechs Monate bin ich zum ersten Mal ausgebrochen.
Leitner erzählt von seinen Ausbrüchen und Fluchtversuchen, zum Beispiel wie man ihn in einem Kohlenkeller fand, wie er „tausend Carabinieri“ entkommen ist und er in der Nähe von Sillian den Österreichern ein Sprengstoffversteck zeigen wollte, dabei ausbüxte und über die Grenze nach Italien flüchtete. Weil hier die Gefängnisse besser sind: „In Österreich ist alles eine Schlamperei“. Er erzählt auch vom Alltag im Gefängnis, oft etwas konfus. Immer wieder verliert er sich in seinen Erinnerungen, wiederholt sich beim Aufzählen der Ausbrüche.
Die letzten Monate seiner Haftzeit verbringt Leitner im Hausarrest in Seis. Zuvor war er einige Monate in seinem Heimathaus in Elvas im Hausarrest, wurde dann aber weggebracht, weil es zwischen ihm und seinen Brüdern krachte.
Wie kam es zum Wechsel von Elvas nach Seis?
Die Carabinieri und die Staatsanwaltschaft haben hunderte Hausdurchsuchungen gemacht, um meine Familienangehörigen gegen mich aufzubringen. Da kam es zum Bruch. Jetzt bin ich in der Pension vom Cousin meines Anwalts. Er hat mir das Leben gerettet, im Gefängnis wäre ich gestorben.
Kommen die Carabinieri kontrollieren?
Die kommen ein paar Mal am Tag. Tag und Nacht.
Auf Sie wird man auch besonders gut aufpassen müssen …
Absolut nicht. Ich bin jetzt seit Mai hier, wenn es mir hier nicht gut ginge, wäre ich schon lange weg. Außerdem muss ich bald wieder zum Doktor. Die Belästigungen von Seiten der Carabinieri müssten nicht sein. Es gibt aber auch Tage, an denen sie überhaupt nicht kommen.
Bis November sitzen Sie im Hausarrest?
Nicht mehr. Durch die „Liberazione anicipata“, Artikel 47, wird der Hausarrest wegen guter Führung verkürzt. Vielleicht bin ich im April oder Mai ein freier Mensch.
Was kommt danach?
Das kann man noch nicht genau sagen.
Von was leben Sie? Die Anwälte kosten doch Geld, und auch hier in der Pension werden Sie nicht gratis leben können.
Darüber möchte ich keine Auskunft geben.
Ein Buch und ein Film sollen in Planung sein.
Das Buch kommt im Mai oder Juni, wenn alles gut geht – eine Autobiografie. Das Buch soll zeigen, dass es sich für Jugendliche absolut nicht auszahlt, Banken zu überfallen. Das können nur Helden, keine normalen Leute – ohne anzugeben. Der Rest ist Schicksal.
Und der Film?
Dazu kann ich nicht viel sagen. Das ist noch nicht so weit fortgeschritten. Es muss aber schnell gehen, weil es mir gesundheitlich nicht gut geht. Ich bekomme oft keine Luft. Es könnte ein Spielfilm werden, mit einem Hollywood-Regisseur.
Sie sagten in einem Interview, Sie könnten sich Stallone für die Rolle des Max Leitner vorstellen?
Das wissen wir noch nicht. Sylvester Stallone ist ein Angsthase gegen mich!
Er ist ja auch nur ein Schauspieler …
Schauspieler oder nicht, ich habe ganz andere Sachen erlebt als er und noch lange nicht alles erzählt. 30 Jahre sind ein lange Zeit. Und ich bin noch da!
Leitner ist gut vorbereitet. Er hat eine dicke Mappe dabei und zeigt Dokumente, Haftbefehle, Urteile und Zeitungsausschnitte. Einmal fragt er nach: „Sie nemmen schon alles auf, was ich sage?“
Bereuen Sie etwas?
Überhaupt nichts. Ich möchte nur den Jugendlichen und allen, die an Geldmangel leiden sagen, dass sie es mir nicht nachmachen sollen. Es gibt wenige richtige Helden auf der Welt, die keine Angst haben. Ich bin einer der wenigen.
Das Gespräch ist beendet, Leitner fragt nach dem Veröffentlichungsdatum des Interviews und sagt: „Ich bin ein Held in Südtirol. Das könnte der Titel für das Interview sein, der Held von Südtirol.“
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