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BARFUSS: Warum ein Buch über Tiere?
Maxi Obexer: Eigentlich sollte es kein Buch über, sondern eines mit Tieren sein. Mit dem Thema beschäftige ich mich schon sehr lange, zuletzt in Essays und in einem Hörspiel. Ich würde sagen, es ist einer meiner Lebensthemen. Nach der theoretischen und persönlichen Auseinandersetzung wollte ich ein Erzählwerk schaffen. Ich wollte dem eine Sprache geben, was noch sprachlos geblieben ist – nämlich die beidseitige Beziehung zwischen Tieren und Menschen. Und ich werfe die Frage auf, wie es möglich ist, dass diese essentielle und grundlegende Beziehung zugleich so geleugnet wird. Wie kann es sein, dass eine heranwachsende Sau, die umsorgt wird und die ihrerseits Trost gibt, im nächsten Moment ohne jeden Bezug auf diese Verbindung geschlachtet wird? Nicht erst beim Töten, sondern vorher, nämlich beim Leugnen einer Beziehung, beginnt die Gewalt. Hier möchte ich also ansetzen, beim Verrat an einer Beziehung, und nicht bei dem, was ich einen Totschlag-Diskurs nenne: bei der Frage, ob wir Tiere töten sollen oder nicht.
Was passiert in deinem Roman „Unter Tieren“?
Es gibt die Bäuerin Antonia, die einerseits auf sehr zuverlässige und treue Weise für die Tiere sorgt, und andererseits das bäuerlich-patriarchale System eisern verteidigt. Der Roman beginnt, als ausgerechnet Antonia an diesem System zusammenbricht. Angesichts der bäuerlich-landwirtschaftlichen Vorgaben gerät sie selbst unter die Räder.
Mit dem Besuch ihrer Nichte Agnes in der psychiatrischen Anstalt beginnt die Rückblende, das Zusammenleben mit den Tieren und mit Antonia und ein ganzer Sommer, den Agnes mit den Kälbern und ihrer Hündin auf der Alm verbringt. Und schließlich: das gewaltsame Ende. Wie viele flieht auch Agnes vor der rohen Gewalt der Bauern in die Stadt. Vor dem bedingungslosen Aufdrücken eines einzelnen Willens auf andere Wesen, dem Zähmen und Niederringen der Geschöpfe. In der Philosophie erfährt sie weitere Ursachen dieses gewaltvollen Erbes. Was sie bei ihrer Flucht zurückließ, bleibt ein ewiger Schmerz: Es sind die Tiere und etwas, das im gemeinsamen Dasein mit ihnen so kostbar war. Sie kehrt schließlich zurück und wagt einen Neuanfang.
Tiere sind Partner, die uns vertrauen. Sie erinnern uns immer wieder daran, dass wir in einer Verabredung stehen, dass wir einander Sicherheit, Schutz und Nahrung bereitstellen, auch Trost, Zuwendung und Sanftmut.
Vorhin hast du gesagt, es ist kein Roman über, sondern einer mit Tieren. Wie kann man sich das vorstellen?
Tiere spielen – neben anderen menschlichen Figuren – eine wichtige Rolle im Roman. Ich wollte sie nicht zu Objekten machen, und ich wollte sie nicht vermenschlichen. So weit es möglich ist, verfolge ich also die Perspektive der Tiere, wie sie sich, die anderen Lebewesen und auch uns Menschen wahrnehmen. Das ist vor allem ein genaues Hinsehen auf die Details, auf unsere Gewohnheiten, eben aus der Sicht der Tiere. Vieles hat uns bisher daran gehindert, diese beidseitige Beziehung zu beobachten und die Tiere in ihrer Intelligenz und ihren Fähigkeiten zu zeigen. Erst dann ist ein Roman über Tiere möglich, wenn es um sie geht und nicht mehr nur um uns, wenn wir sie sehen und erkennen. Der Roman besteht aus sehr realen, aber auch aus magisch-poetischen Schilderungen. Denn wenn wir über Tiere sprechen, dann müssen wir dem auch dem Rechnung tragen, dass sie, und jede einzelne Art, auch noch ihren eigenen Kosmos bewohnt.
Wie setzt du in deinem Roman wertschätzende Akzente?
Bei einem Text, in dem es um Haustiere, Partner, Begleiter geht, ist es wichtig, sich nicht über sie zu erheben, sie nicht zu Objekten zu machen – also das zu vermeiden, was ständig gemacht wurde. Die ganze Sprache ist voller Abgrenzungen, Tabus und herabsetzender oder verächtlicher Zuschreibungen gegenüber den Tieren. Und das, obwohl wir gemeinsam sesshaft geworden sind, ein gemeinschaftliches Feld bewohnen und vollkommen aufeinander angewiesen sind. Tiere sind nicht (nur) geknechtete Lebewesen, sondern Partner, die uns vertrauen. Sie erinnern uns immer wieder daran, dass wir in einer Verabredung stehen, dass wir einander Sicherheit, Schutz und Nahrung bereitstellen, auch Trost, Zuwendung und Sanftmut.
Hast du selbst Tiere?
Ich habe eine Hündin, Joyce, und obwohl ich nicht auf dem Bauernhof gelebt habe, bin ich mit Tieren aufgewachsen. Ich habe früh dem Spiel und der Zärtlichkeit der Tiere beiwohnen dürfen, habe ein völlig natürliches Zusammenspiel von Tieren und Menschen erlebt. Und ich habe mich von Kindheit an gefragt, wie das menschliche Auge von einem Moment zum anderen so stumpf oder blind werden konnte, oder gar mitleidlos gegenüber dem, das zuvor noch bewundert wurde. Es gibt aber auch eine ganz spezifische Form der Gewalt, die wenig beschrieben wurde. Dabei soll über das Tier, das gequält wird, ein Mensch getroffen werden. Eine durchaus gängige Praxis, die es auch heute noch gibt.
Das heißt?
Wird ein Hund willentlich überfahren, passiert ja nicht viel. Zugleich kann damit gerechnet werden, dass eine Seele zerbricht. Tiere wurden auch aus politischen Gründen gequält. Claus Gatterer schildert in „Schöne Welt, böse Leut’“, also in der politischen Geschichte Südtirols, wie in der Optionszeit denen, die da bleiben wollten, die Tiere „aufgeknöpft wurden“. Es sollten Menschen über den Tod der Tiere gezähmt werden. Man wusste schon immer um die tiefe Beziehung zwischen Mensch und Tier, und wie tief man Bauern mit dem Tod ihrer Tieres treffen konnte.
Im Begriff „Nutztier“ ist alles enthalten, was gewaltvoll ist: Wir sprechen ihnen das Recht auf ein eigenes Leben ab.
Warum hast du bei den menschlichen Protagonist:innen die untypische Konstellation Tante-Nichte gewählt? Es hätten ja auch Schwestern oder Mutter-Tochter sein können …
Diese Konstellation ist mir am nächsten, weil ich aus meinen eigenen Erfahrungen sprechen kann. Außerdem würde eine Beziehung wie die von Mutter und Tochter viel mehr emotionalen Inhalt in Anspruch nehmen – ich wollte aber die Zeit schildern, in der Agnes mit der Hündin aufwächst, wie sie voneinander lernen. Es gibt einen Satz im Buch: „Nur die Angst, das wussten sie, wäre der Verlust des anderen.“ Diesen intersubjektiven Momenten, in denen Lebewesen voneinander lernen, wollte ich den größtmöglichen Raum schenken.
Was hat uns bisher daran gehindert, die Tier-Mensch-Beziehung zu benennen?
Es spielen verschiedene Setzungen hinein: Die westliche Philosophie der Aufklärung betrachtet das Tier als seelenloses, mechanisches Wesen. Die Emanzipation des menschlichen Selbstverständnisses war eine, die sich vom Tier abgestoßen hat. Das Leugnen beidseitiger Beziehungen und sozialer Interaktionen, aber auch das biblische Gebot „Mach dir die Erde untertan“, spielten hinein. Herrschaftssysteme, wie das patriarchale System. Es wurden ja nicht nur Tiere gezähmt, sondern auch Frauen und Kinder. Es gab schon immer diese Legitimierung von Gewalt und dem gewaltvollen Umgang mit Lebewesen. Am Ende spielt sicherlich auch der Profit eine Rolle, das, was wir aus Tieren herausschlagen können, wenn wir leugnen, dass sie kluge, fühlende, zur Freude wie zum Leid fähige Lebewesen sind. Im Begriff „Nutztier“ ist alles enthalten, was gewaltvoll ist: Wir sprechen ihnen das Recht auf ein eigenes Leben ab. Ich habe mit sehr vielen Bäuer:innen gesprochen und mindestens die Hälfte von ihnen sorgt sich über den Umgang mit der Natur, mit den Tieren und der Tatsache, dass ihnen die eigene Entfaltungsmöglichkeit abgesprochen wird.
Was ist die Besonderheit dieses Romans?
Es war mir wichtig, das Kostbare und die Schönheit am Dasein der Tiere, ihre Zärtlichkeit, ihre Sanftmut, das Vertrauen, das sie uns schenken, sichtbar zu machen. Es muss nicht erfunden, sondern nur gesehen werden. Es spielt sich ja vor uns ab. Nichts ist normal, sondern besonders. Es ist etwas Besonderes, die Welt mit Tieren teilen zu dürfen.
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