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„Venezia, 11. Oktober 1954.
Fuhr gestern von Meran hierher um die Biennale zu sehen. Nur eine Woche habe ich es in Meran ausgehalten, in meiner eigenen Wohnung. Zehn Monate war ich dieses Jahr auf Reisen, habe in Hotelzimmern geschlafen. Ein trauriges Leben für eine Frau. Aber wenn ich nachhause komme, wird es noch trauriger, weil mich da die ganze Sinnlosigkeit und Leere anfällt. Es ist je eine Flucht vor meinem Schicksal des Gestrandetseins, dem ich aber nicht mehr entfliehe, selbst wenn ich bis an den Nordpol reise. (…) Nun schlägt die Leere über mir zusammen, die Sinnlosigkeit meines Lebens schreckt mich bis zu unerträglicher Qual. Sie wird manchmal so schlimm, daß ich meine, es nicht länger ertragen zu können. Meine Begabungen sollten bestätigt werden in einer sinnvollen Art. Daß ich es nicht tue, oder nicht tun kann, erfolglos blieb mit allem was ich bisher tat, daß ich keine Familie habe, keinen Ort wo meine Anwesenheit sinnreich ist, das treibt mich ruhelos von Ort zu Ort. In unermüdlichen Herumfahren, das doch zu nichts führt.“
(Archiv Gina Klaber Thusek, Palais Mamming Meran)
Sinnlos und leer. Ruhe- und erfolgslos, fast alles eine unerträgliche Qual. So beschreibt Gina Klaber Thusek einen Lebensabschnitt in ihren 50ern. Wie muss das Leben dieser Frau verlaufen sein, die solch traurige Worte wählt? Wer und was hat sie enttäuscht? Was hat sie erlebt, was gemacht, woran gearbeitet? Und welche Schuld trägt Meran, dass eine Frau immer wieder aus dieser Stadt flüchten will? Gina Klaber Thusek, eine vergessene Frau Südtirols, im Porträt.
Das „Gina“-Label
Gina Klaber Thusek wird im Jahr 1900 in Tschechien geboren. Als Neunjährige siedelt sie gemeinsam mit ihrer Familie nach Wien über und wächst dort auf. Sie ist kreativ und zeichnerisch begabt, noch als junges Mädchen verdient sie Geld mit ihren Zeichnungen. Der Vater stirbt im Ersten Weltkrieg und die Mutter ist froh, als ihre Tochter mit 21 den polnischen Staatsbürger Oskar Thusek heiratet, da sie ihre drei Kinder nicht mehr über Wasser halten kann. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs baut sich die junge Frau – ohne besondere Ausbildung oder Förderung – ein eigenes kleines Unternehmen in London auf. Unter der Marke „Gina“ entwirft Klaber Thusek Frauenmode: Strickjacken, Pullover, Mäntel. Ihre Zeichnungen und Entwürfe werden von professionellen Strickerinnen realisiert und anschließend in großen Warenhäusern ausgestellt. Interessierte Frauen können zwar nicht die fertigen Modelle kaufen, sondern ein kombiniertes DIY-Paket. Dieses Paket enthält – in der richtigen Menge für die jeweilige Größe – qualitativ hochwertige Angorawolle aus England und Irland sowie eine detaillierte Anleitung, die den Frauen helfen soll, den Pullover genau nach dem gewünschten Modell, welches im Geschäft ausgestellt ist, anzufertigen. Eine Idee, die erst viel später so richtig populär wird – die sogenannten Strickhefte, die vielleicht einige noch von ihren Müttern beziehungsweise Großmüttern kennen.
Staatenlosigkeit und Konfinierung
Als Gina Klaber Thusek 1939 ihren Mann in Mailand besucht, der dort als Ingenieur im Bereich der Wasserkraft arbeitet, wird ihr der Pass abgenommen. Sie ist Halbjüdin und hat einen Pass voller Stempel, die von ihrer Reiselust zeugen, der faschistischen Regierung allerdings suspekt ist. Nach einem gerichtlichen Beschluss wird sie nach Meran verpflanzt und darf aufgrund der angeordneten Konfinierung Meran nicht verlassen. Das bedeutet konkret: Sie darf nicht ausreisen, wird ständig kontrolliert, muss ihr Unternehmen in London aufgeben und verliert ihre Existenzgrundlage. Unfertige Modelle bleiben auf ihrem Schreibtisch in London liegen und verstauben.
Sie war eine Weltbürgerin.
Ursula Schnitzer über Gina Kleber ThusekBis 1953 bleibt sie staatenlos, erst dann erhält sie die italienische Staatsbürgerschaft und damit einen Pass und ihre Rechte zurück. Trotzdem kommt Gina Klaber Thusek in Meran nie richtig an – die Sommer sind ihr zu heiß und die Touristen zu lästig. Um Geld zu verdienen, arbeitet sie als Künstlerin und Bildhauerin in improvisierten Ateliers in Meran, reist im Land herum, um gegen Kost und Logie wohlsituierten Familien Kunstunterricht zu geben. Mit ihrem Mann führt sie lange Zeit eine Fernbeziehung. Allerdings wird er nach einem Arbeitsunfall frühpensioniert und zieht nach Meran zu Gina Klaber-Thusek, in eine Wohnung, die ihm seine Firma als Abfindung kauft. Oskar Thusek stirbt einige Jahre nach seinem Umzug nach Meran, Klaber Thusek darf in der Wohnung bleiben. Das Paar bleibt kinderlos.
Ursula Schnitzer ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und zurzeit an der Universität Bozen an der Plattform für Kulturerbe und Kulturproduktion tätig. Die passionierte Weberin verwaltet das Archiv von Gina Klaber Thusek im Palais Mamming in Meran und hat viel zur Person geforscht. Auf die Frage, was Gina Klaber Thusek auszeichnet, antwortet sie: „Ihre Neugierde, ihre Offenheit und ihre Bildung.“ Sie interessierte sich, so Schnitzer, eigentlich für alles, lechzte förmlich nach Informationen, las Zeitungen und kaufte Bücher, um das internationale Geschehen verfolgen zu können. Eigentlich sei sie eine Weltbürgerin gewesen, sagt Schnitzer.
Bunte Blumenwiesen und einfache Höfe
Kulturell und geistig findet Gina Klaber Thusek in Meran wenig Anhang und Verständnis. Kulturell ist sie 365 Grad interessiert, sie schreibt journalistische Aufsätze für diverse Zeitungen, besucht Ausstellungen in Wien, Opern und Theateraufführungen anderswo und ist selbst künstlerisch tätig. Es gibt wenige Personen, mit denen sie sich über zeitgenössische Kunst und Kultur unterhalten kann. Sie leidet unter der bestehenden Regionalität. Während sich Klaber Thusek für die international angehauchte surrealistische Kunst interessiert, bleibt die Kunst in Südtirol konservativ. Hierzulande beschäftigt sich die Kunstwelt insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg mit traditionellen Themen. Die Wunden sind andere. Ethnische Probleme stehen im Vordergrund und viele müssen sich erst in ihrer „neuen“ Heimat, im „neuen“ Staat organisieren lernen.
Ursula Schnitzer erklärt, dass lange versucht wurde, den persönlichen Eindruck von Heimat über einen künstlerischen Ausdruck im Gedächtnis zu behalten. Deswegen war auch der Kunstgeschmack der Moderne eigentlich fast zwei Jahrzehnte im Rückstand. „Je einfacher der Hof und je bunter die Blumenwiese auf einem Bild geblüht hat, desto mehr ist das geschätzt und positiv rezensiert worden. All jenes, das in die Moderne gewiesen hat, hat man zum Teil fast als Verrat an der Heimat empfunden.“
Eine Rampensau
Gina Klaber Thusek war Bildhauerin, arbeitete mit Keramik, Textilien und entwarf Mode. Was zeichnet ihre Kunst aber im Kern aus? Ursula Schnitzer stellt fest, dass Klaber Thusek eine exzellente Zeichnerin war, was man vor allem in ihren frühen Arbeiten erkennen kann. Ihre Arbeiten bewegten sich immer um zwei wesentliche Themen: die Mode und die Frau. Egal, ob es Skulpturen, Reliefs, aquarellierte Blätter oder schnelle Stiftzeichnungen sind, fast alle Arbeiten kreisten nachhaltig um diese beiden Zentren.
Doch für ihre Kunst erhält Gina Klaber Thusek wenig Anerkennung. Es gibt kleine Künstlergruppen in Südtirol, welche allerdings sehr männlich geprägt sind. Auch wenn Klaber-Thusek manchmal bei Gruppenausstellungen mitmachen darf, ist sie bei ihren männlichen Kollegen wenig beliebt: zu intelligent, zu gebildet. Sie bleibt zeitlebens eine Einzelkämpferin.
Ursula Schnitzer fügt hinzu, dass Klaber Thuseks Kunst zu fortschrittlich, zu modern gewesen sei. Außerdem beschreibt sie die Künstlerin als „Rampensau“ und erklärt: „Ich kenne Schilderungen und Erinnerungen von Zeitgenossen, die sagen, dass sich der Fokus sofort auf sie hat richten müssen, sobald sie irgendwo aufgetaucht ist. Wurde ihr dann die Aufmerksamkeit geschenkt, konnte sie alle unterhalten und blühte auf. Sie konnte sehr egozentrisch sein und das hat sicher Spannungen erzeugt.“
Oskar malt jetzt
Als Gina Klaber Thuseks Mann Oskar noch lebt, malt er in seiner Pension Aquarelle. Er liebt die Natur und verbringt seine Zeit gerne im Freien. Ursula Schnitzer: „Er hat ganz nette Naturstillleben und Landschaften gemalt. Gina schrieb einmal ganz nüchtern und trocken in ihr Tagebuch: Oskar malt jetzt.“
Das Paar beschließt, eine gemeinsame Ausstellung zu organisieren. Beide stellen ihre Bilder aus. Doch was passiert? Oskars Bilder verkaufen sich besser als Ginas. „Und das war natürlich bitter“, bemerkt Schnitzer. Gina sei nämlich die Künstlerin, die nach vorne schaut und Innovation liefert. Doch er, der pensionierte Ingenieur, verkauft seine Bilder besser, da er eher den Südtiroler Geschmack trifft.
Sich-arrangieren-müssen
Wie kann es sein, dass eine so interessierte und begabte Frau nie Erfolg erfahren hat und immer wieder um ihre Existenz kämpfen musste? Irgendwann steht natürlich die Frage im Raum, ob ihre Kunst wirklich gut war.Ursula Schnitzer ist davon überzeugt, dass man nicht dort in eine Huldigung verfallen darf, wo man alles für ausgefallen und besonders hält, nur weil man es mit einer interessanten und intelligenten Frau zu tun hat, deren Leben romanreif wäre. Schnitzer meint, nicht alle Werke seien gut gewesen. Allerdings habe Gina Klaber Thusek ein großes Talent gehabt und einige Spitzenarbeiten geliefert. Für Schnitzer ist es auch immer wichtig, den Kontext und das damalige Zeitgeschehen nicht aus den Augen zu verlieren und betont: „Das ist mir wichtig: dass man sie und ihre Kunst auch vor dem Hintergrund ihres Lebens betrachtet.“ Gina Klaber Thusek überlebte zwei Weltkriege, die ihr Leben zweimal umwälzten: Im Ersten Weltkrieg verlor sie ihren geliebten Vater, im Zweiten Weltkrieg ihre Existenz. Und genau deshalb meint Schnitzer, dass ihr Leben eigentlich darin bestand, sich andauernd arrangieren zu müssen. Dabei könne es schon mal passieren, das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren.
Es war eine Art Hassliebe, die sie zu Meran pflegte.
Der amerikanische Traum
Gina Klaber Thusek ist rastlos. Sie reist, will immer wieder fort aus Meran, denn sie fühlt sich dort nicht wohl und missverstanden, kann sich mit niemandem wirklich austauschen. Warum ist Gina Klaber Thusek nicht gegangen? „Irgendwann“, sagt Schnitzer, „war sie zu alt. Sie hatte nicht mehr die Kraft dazu, traute sich nicht mehr. Und vielleicht war es auch eine Art Hassliebe, die sie zu Meran pflegte.“
Immer wieder versucht Gina Klaber Thusek in die USA auszuwandern. Viele ihrer Freunde haben es bereits nach Amerika geschafft und sich dort als Künstler eine Existenz aufgebaut – klar also, dass sie auch dorthin will. Schnitzer erzählt: „Gina hätte ein Affidavit gebraucht, eine eidesstaatliche Versicherung von einer Person, die für sie als Einreisende bürgt.“ Die Künstlerin sucht akribisch nach Amerikanern, die ihr dieses Affidavit ausstellen können und schreibt in ihren Tagebüchern immer wieder, dass ihr von verschiedenen Männern das Affidavit zugesichert wird. Kurz bevor es allerdings dazu kommt, wird sie immer wieder fallen gelassen. Am Ende platzt ihr amerikanischer Traum. Denn nach einigen Jahren knickt ihr Emigrationswille ein. Ursula Schnitzer sagt: „Sie war eine stille Rufende.“
Gina Klaber Thusek im heutigen Kontext
Im Jänner wird von der Universität Bozen im Palais Mamming eine Ausstellung zu Gina Klaber Thusek organisiert. 15 Student:innen der Uni setzen sich unter der Leitung von Schnitzer mit der Bildhauerin auseinander, holen die Arbeiten aus dem Archiv und versuchen sie in der heutigen Zeit neu zu positionieren. Warum lohnt sich das? Was reizt junge Menschen an Gina Klaber Thuseks Leben? „Ich denke, ihre Selbstständigkeit. Sie war eine wahnsinnig emanzipierte Frau für ihre Zeit. Als junge Frau gründete sie ihre eigene Firma in London und das beeindruckt besonders junge Menschen immer noch und das ist etwas, das als vorbildlich betrachtet werden kann“, sagt Ursula Schnitzer.
Die Kunsthistorikerin kennt das Leben Klaber Thuseks so gut, dass es für sie manchmal schwierig ist, Ginas Kunst und ihr Leben durch eine objektive Brille zu sehen. Schnitzer hat von Anfang an fasziniert, dass das Leben der Künstlerin die Geschichte des wechselvollen 20. Jahrhunderts widerspiegelt: „Ich kannte die ‚Geschichte‘ immer nur aus den Schulbüchern. Und auf einmal lese ich in den Aufzeichnungen von Gina Klaber Thusek von genau jenen Ereignissen, die in meinen Schulbüchern beschrieben wurden – schmerzhaft erfahren und erlebt von einer Frau in Mitteleuropa, die sich in Meran, ganz in meiner Nähe, wiederfindet.“ Ursula Schnitzer nimmt ihr eigenes Leben als Frau, seit sie die Geschichte von Gina Klaber Thusek kennt, anders wahr: „Anders deshalb, weil es massiv privilegiert ist.“
Es hat ihr nicht an Begabung gefehlt. Es hätte einfach den richtigen Ort und den richtigen Moment gebraucht.
Ein Schlüssel, der keine Tür öffnet
Ursula Schnitzer hat einen Vergleich gefunden, der Gina Klaber Thuseks Leben zusammenfasst und es sehr treffend beschreibt: „Gina hält ihr ganzes Leben einen Schlüssel in der Hand, der nie passt. Einen Schlüssel, der immer wieder ins Nichts führt. Je mehr ich mich mit ihrem Leben auseinandergesetzt habe, desto mehr habe ich immer wieder an diesen Schlüssel gedacht und mich gefragt, wie es möglich sein kann, dass dieser Schlüssel nie irgendwo passte, dass sie immer nur zuschauen durfte, wenn andere Erfolge feiern: die Emigration schaffen, eine Ausstellung haben. Das ist bitter. Vor allem, weil es ihr nicht an Begabung gefehlt hat, es hätte einfach den richtigen Ort und den richtigen Moment gebraucht. Und den hat es halt nie gegeben.“
Gina Klaber Thusek stirbt am 11. April 1983 im Krankenhaus in Meran an einem Schlaganfall. Zwei Freunde sind an ihrer Seite.
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