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„Ruhig Blut“ – so heißt das Erstlingswerk von Eleonore Khuen-Belasi. Das Bühnenwerk der 27-jährigen Südtirolerin wurde aus über hundert Bewerbungen als eines von drei Stücken ausgewählt, um bei der Langen Nacht der Autorinnen- und Autorentheatertage erstmals gespielt zu werden. In ihrem Debüt-Drama, das im Juni 2019 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde, stellt die junge Autorin eine tragikomisch-philosophische Reflexion über die Gesellschaft und das menschliche Dasein an.
Worum geht es in deinem Werk „Ruhig Blut“?
Im Text geht es um drei ältere Frauen, die auf einem Bordstein sitzen. Die Straße, auf die sie blicken, ist kaputt, woraufhin sie beschließen, diese selbst zu reparieren. Die Straße wehrt sich jedoch gegen diesen Eingriff, bäumt sich auf, erschwert den drei Frauen die Arbeit. Der Asphalt möchte von ihnen gehört werden, wahrgenommen werden. Zusätzlich gibt es noch die Anmerkungen der Herausgebenden: Das sind Fußnoten, die ebenfalls in den Sprechtext eingreifen und das Geschehen manipulieren. Es gibt eine große Fläche an Sprechpositionen, die alle für sich die Deutungshoheit auf die Situation beanspruchen und sich aneinander reiben. So lange, bis nichts mehr zum Aufreiben übrigbleibt.
Ist es nicht gerade in der heutigen Umbruchzeit schwer, „ruhig Blut“ zu bewahren?
„Ruhiges“ bzw. „vernünftiges“ Verhalten wird in unserer Gesellschaft als eine Tugend angesehen. An den Auswahlkriterien, wer als wie vernünftig gilt, sind jedoch ganze Machtstrukturen beteiligt, die oft ausgeklammert werden. Die Suffragetten galten als unvernünftig, genauso die Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen beim Civil Rights Movement in Amerika. Man muss gar nicht so weit zurückgehen: Heute lobt man Kooperation, während der Ausdruck von Frust und Wut als kindischer Affekt abgetan wird. Wer wütend ist, ist prinzipiell im Unrecht. Nur wer sich hinsetzt und, sozusagen gefasst, das Gegenüber mit Argumenten über das erfahrene Unrecht „überzeugt“, hat eine Existenzberechtigung. Wütende Feministen und Feministinnen? Peinlich, weil überholt – da braucht man gar nicht hinhören. Black Lives Matter-Bewegung? Naja, aber all lives matter. Wer schreit, hat Unrecht, heißt es ja. Aber wer entscheidet darüber und warum?
„Das Theater ist keine tote Materie, die da liegt und die man betrachten kann oder auch nicht.“
Wie war es für dich, dein Theaterstück am Deutschen Theater Berlin das erste Mal auf der Bühne zu erleben?
Das Deutsche Theater ist ein Haus, das eine Liebe zur Dramatik pflegt und sich auch als Autorinnen- und Autorentheater versteht. Man merkt, dass Vertrauen in zeitgenössische Autorinnen und Autoren gesetzt wird. Deswegen gibt es auch die Autorentheatertage. Mein Stück wurde vom Schauspielhaus Graz inszeniert und am Deutschen Theater uraufgeführt. Auch das Schauspielhaus Graz hat ein großes Interesse an neuen Stücken und eine regelrechte Spiellust, wenn es um zeitgenössische Dramatik geht. Ich habe mich an beiden Theatern sehr wohl gefühlt. „Ruhig Blut“ in Berlin zum ersten Mal zu sehen, war ein tolles Erlebnis. Die Uraufführung eines eigenen Textes ist immer sehr aufwühlend.
Was reizt dich am Theater?
Ich wollte, dass das geschriebene Wort durch einen Körper geht – und so erst wirklich seine Funktion als Erzählung erfüllt. Ich selbst erzähle nicht. Ich lege Schauspielern und Schauspielerinnen Worte in den Mund, von denen ich hoffe, dass das Aussprechen ihnen Freude bereitet. Es ist ein gemeinsames Erzählen. Das Bühnenbild, die Regie, die Schauspielenden, Licht, Musik und der Text arbeiten gemeinsam an einem Abend, der von allen im Raum gleichzeitig erlebt wird. Das Publikum ist genauso Teil der Arbeit. Das Theater ist keine tote Materie, die da liegt und die man betrachten kann oder auch nicht. Wenn man in eine Theatervorstellung geht, ist man gleich mittendrin und Teil des Kunstwerks. Das Verhalten des Publikums wirkt auf das, was auf der Bühne passiert und umgekehrt. Ich finde es schön, dass es solche Orte gibt, an denen Menschen – ob sie es nun bewusst oder unbewusst tun – gemeinsam Denken, gemeinsam etwas erschaffen.
Du bist in Bozen geboren und teilweise aufgewachsen. In deinem Theaterstück geht es auch um Heimat. Inwiefern hat dich deine Herkunft geprägt?
Die Begriffe Herkunft und Heimat sind welche, mit denen ich auf persönlicher Ebene immer schwer etwas anfangen konnte. Ich fühle mich genauso wenig aus Südtirol „herkünftig“ wie aus anderen Orten, an denen ich bisher gelebt habe. Die bewohnten Orte haben natürlich ihre Spuren in mir hinterlassen, aber eher als Erlebnisse, die einen verändern und nicht zwingend als Identifikationspunkte. Diese Erinnerungen wirken natürlich auf mein Schaffen ein, jedoch eher unbewusst. Ich picke mir das heraus, was ich aus verschiedenen Orten mitgenommen habe. Das hat dann meistens nur im weitesten Sinne etwas mit den spezifischen Kulturen zu tun. Etwa die Kindheit auf Steinfelsen am Meer, das Gefühl von Aufgeregtheit am lauten Markt, blühende Apfelbäume, gewisse Handbewegungen. Solche Dinge auf eine Nation oder auf eine gewisse Kultur zu reduzieren, würde ihnen den Zauber rauben.
„Es ist generell schwierig, in der Kunstbranche Fuß zu fassen, weil sich das nicht an irgendwelchen Etappen festmachen lässt.”
Glaubst du, es ist nach wie vor schwerer, als junge Frau, junge Autorin, in der literarischen Branche Fuß zu fassen?
Es ist generell schwierig, in der Kunstbranche Fuß zu fassen, weil sich das nicht an irgendwelchen Etappen festmachen lässt. Und wie in den meisten Berufen ist es auch hier so, dass Menschen, die nicht weiß, männlich und/oder heterosexuell sind, mit zusätzlichen Hürden zu kämpfen haben. Die Theaterwelt ist von dieser Problematik nicht ausgeschlossen. Ich selbst muss jedoch für meine Erfahrung sagen, dass ich bisher viel Unterstützung von meinem Umfeld erhalten habe. Das ist gerade am Anfang besonders wertvoll.
Hast du ein besonderes Anliegen, das du durch dein Schreiben vermitteln möchtest, also ein Leitmotiv deines Schaffens?
Ein richtiges Leitmotiv lässt sich – gerade am Anfang des eigenen Schreibens – nur schwer finden, geschweige denn festlegen. Wenn es jedoch eine Sache gibt, die mich jetzt gerade sehr antreibt, dann sind es Fragen nach politischen Verhältnissen und der Art und Weise wie wir uns als Gesellschaft organisieren. Ich wage zu behaupten, dass es mich in 20 Jahren auch noch interessieren wird.
Wie bist du zum Schreiben gekommen und welche Hürden musstest du dabei überwinden?
Zum Schreiben bin ich über die philosophische Theorie gekommen. Die Hürden, die ich mit jedem Satz jedes Mal aufs Neue überwinde (oder zumindest versuche), sind die eigenen Ängste und die Selbstzweifel vor dem, was da dann schwarz auf weiß zu lesen sein wird.
Was rätst du Menschen, die selbst schreiben möchten?
Mit den eigenen unfertigen Texten behutsam umgehen. Nicht jede Person hat etwas Wertvolles zum eigenen Schreiben zu sagen. Zu viele Stimmen können einen schnell aus der Bahn werfen und das eigene Gefühl verunsichern.
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