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Wie kam es dazu, dass Sie sich für den Tatzelwurm interessieren?
Seit ich denken kann, zumindest seit Teenagertagen, habe ich mich für überlebende Dinosaurier interessiert – eine Faszination, die begann, als ich mit etwa zehn Jahren zum ersten Mal vom Ungeheuer von Loch Ness erfuhr. Die einschlägige Literatur enthielt immer wieder Hinweise auf den Tatzelwurm, und schließlich besorgte ich mir die alten Aufsätze in der Zeitschrift „Kosmos“.
Haben Sie selbst mal einen gesehen?
Meine Familie machte immer Urlaub in den Alpen und ich hielt stets die Augen offen. Aber der Tatzelwurm wusste mir auszuweichen.
Wenn jemand nicht weiß, wie ein Tatzelwurm aussieht: Wie ließe er sich beschreiben?
Das ist das große Problem: Viele Leute haben ihn gesehen, aber jeder etwas anderes. Generell ist ein Tatzelwurm zwischen 30 cm und zwei Meter lang, hat keine, zwei oder vier kleine Beinchen. Am häufigsten erzählen die Leute, dass er einen Katzenkopf hatte und einen stumpfen, Schwanz, wie abgehakt. Generell gleicht er einem Reptil und sein Gift ist gefährlich.
Sie haben für Ihr Buch 430 Augenzeugenberichte gesammelt und ausgewertet: Bis wie weit zurück lassen sich Zeugnisse finden? Und gibt es auch heute noch Sichtungen?
Im 17. Jahrhundert haben die ersten Naturwissenschaftler von Drachen in den Alpen berichtet, das Wort Tatzelwurm erscheint aber erst gegen Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Gesehen werden ungewöhnliche Reptilien in den Alpen noch immer, allerdings heißt es dann oft, ein Waran oder Leguan sei ausgebüxt und mache nun die Gegend unsicher.
Ist der Tatzelwurm regional eingrenzbar, oder kann man ihm überall auf der Welt begegnen?
Es gibt fast überall in der Welt Menschen, die ungewöhnlichen Reptilien begegnet sind. Der Tatzelwurm selbst als extrem giftige Echse mit Katzenkopf und Stummelfüßen ist auf die Alpen beschränkt, wo die Idee überall bekannt ist, allerdings unter jeweils wechselnden Namen.
Seine Namen sind mindestens so vielfältig wie sein Aussehen: Unter welchen Namen findet man ihn?
„Tatzelwurm“ ist ein Name, der vor allem in Deutschland und Österreich benutzt wird, auch in Südtirol. In der Schweiz spricht man vom „Stollenwurm“ und vom „Haselwurm“, in den italienischen Alpen vom „serpente gatto“ oder von „lucertoni“. Von springenden Drachen mit Katzenkopf wird aber in ganz Europa, von Schweden bis Sizilien, von den Pyrenäen bis zu den Karpaten erzählt.
Kryptozoologen beschäftigen sich mit unentdeckten Tierarten: Könnte es sein, dass es den Tatzelwurm tatsächlich gibt, oder dass es ihn mal gegeben hat?
Diese Möglichkeit besteht sehr wohl – und es wäre schön, wenn einmal ein echter Tatzelwurm bewiesen würde. Ich habe aber festgestellt, dass mehr als ein Fünftel aller Berichte von der Tötung eines Tatzelwurms spricht, dass in den letzten 200 Jahren also bereits über 80 Exemplare erlegt worden sein sollen. Nur – ein unbekanntes Tier war leider nicht darunter. In meine Begeisterung mischt sich also Skepsis.
Wenn es sich also um eine Legende, einen Mythos handelt: Wie lässt sich seine Verbreitung über dem gesamten Alpenraum erklären? Und wie, dass er so wirkmächtig war oder gar noch ist?
Solche Fragen lassen sich nur schwer beantworten. Ich würde sagen: Die Idee des Drachens war im Alpenraum, spätestens nach der Christianisierung, bereits weit verbreitet, als Menschen begannen, ihre eigenen ungewöhnlichen Beobachtungen als Begegnungen mit Drachen zu deuten. In gewissem Maße führte der Glaube an Drachen dazu, dass Menschen auch Drachen sehen konnten – giftig wie die Schlange im Paradies, mit einem Katzenkopf wie in den Legenden.
Ulrich Magin
Der Tatzelwurm
Porträt eines Alpenphantoms
Edition Raetia
Broschur
13,5 × 21 cm | 232 Seiten
Euro 17,90 [I], 19,80 [D/A]
ISBN: 978-88-7283-736-8
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