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Ayseli* ist Muslimin, Kopftuch trägt sie nicht. Geboren wurde sie in der Türkei, aufgewachsen ist sie in Deutschland. Nun lebt sie in Südtirol – und irgendwie bewegt sie sich stets zwischen den Welten.
Warum trägst du als Muslimin kein Kopftuch?
Ich denke nicht, dass man für den Glauben ein Kopftuch tragen muss. Ich wurde aber auch nicht so erzogen. Meine Mutter trägt auch kein Kopftuch. Nur in der Türkei hat sie manchmal eins getragen. Da war ich noch ganz klein. Ich praktiziere meinen Glauben nicht wirklich, obwohl ich Muslimin bin und den Islam mag. Aber es trägt ja auch nicht jeder Christ ein Kreuz mit sich rum.
Ist das Tragen des Kopftuchs für dich ein Zeichen der Unterdrückung?
Nein, das ist es nicht. Ich glaube, es gibt genug Frauen, die das Kopftuch selbstbewusst und emanzipiert als Symbol ihrer Religion tragen – auch in der Türkei. Es gibt viele moderne Frauen, natürlich auch Akademikerinnen und gebildete Frauen, die einfach an ihrem Glauben festhalten, ihn praktizieren und das Kopftuch als Symbol ihrer Religion gern tragen. Das Kopftuch ist dabei auch ein Schutz: Die Frau wird ja sehr oft als Sexsymbol gesehen. Indem Frauen ihre langen Haare und Reize vor den Männern verbergen, fühlen sie sich ihnen gleichgestellt.
Fühlst du dich auch gleichgestellt, obwohl du kein Kopftuch trägst?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir aber tatsächlich nie wirklich Gedanken darüber gemacht. Ich fand das Kopftuchtragen immer sehr lästig. Man grenzt sich dadurch auch irgendwie aus. In einem europäischen Land macht es vielen Angst, wenn man mit Kopftuch rumläuft. Für viele hat eine Frau mit Kopftuch eine gewisse Unnahbarkeit – die spricht man dann nicht gleich an. Die Frauen bauen also Distanz auf.
Was hältst du grundsätzlich von der Angst vor dem Islam in Europa?
In Europa wird nicht genug über den Islam aufgeklärt. Damit bildet sich jeder seine eigene Meinung. Dadurch, dass der Islamismus durch Kriege und Selbstmordattentäter so dominant ist, macht der Islam den Leuten hier einfach Angst. Selbst ich habe manchmal Angst. Es gab einmal eine Situation in der U-Bahn in Deutschland: Da saß ein Mann mit Bart, der den Koran las und dabei stark schwitzte. Ich fand diese Situation sehr beängstigend, obwohl mir die Religion ja nicht fremd ist. Natürlich macht mir eine islamische Familie keine Angst, aber die ganzen Ereignisse, die im Namen des Islams geschehen, schon. Ich war in Berlin, als der Anschlag mit dem LkW auf dem Breitscheidplatz verübt wurde, am 19. Dezember 2016 – ich war ganz in der Nähe. Ich bin sogar noch blauäugig mit der S-Bahn gefahren, die am Ort des Geschehens vorbeifuhr. Da war der Täter noch auf freiem Fuß. Rückblickend denke ich natürlich, dass mir etwas hätte passieren können.
Erwischst du dich manchmal dabei, dass du über Ausländer schimpfst?
Ja, das mache ich schon manchmal. Ich bin zwar selbst Türkin, habe in Deutschland aber oft über die Türken dort geschimpft. Sie halten gewisse gesellschaftliche Regeln nicht ein, die man in Deutschland lernt. Sie stellen sich nicht an und drängeln sich geschickt vor. Es sind so kleine, alltägliche Dinge des Lebens. Sie sind einfach etwas chaotischer als die meisten Deutschen. Trotzdem habe ich mich in Deutschland selbst immer als Türkin gefühlt. Auch wenn ich perfekt Deutsch spreche, beinahe nur deutsche Freunde habe und fast mein ganzes Leben da verbracht habe. In meiner neuen Heimat Südtirol werde ich immer als „die Deutsche“ gesehen. Erst hier merke ich, wie „deutsch“ ich eigentlich bin.
Wie stehst du zu Schweinefleisch?
Ich habe einen anerzogenen Ekel davor. Der Geruch ist für mich fremd und unangenehm. Ich würde daher niemals Schweinefleisch essen, auch meine Geschwister nicht. Das hat unsere Mama uns so anerzogen. Andere, nicht praktizierende Muslime, haben damit kein Problem. Es ist wirklich paradox. Alkohol trinke ich schließlich auch, obwohl das genauso verboten ist wie Schweinefleisch. Ich hätte auch keinen Christen heiraten dürfen, der ja laut Islam ungläubig ist, und habe es trotzdem gemacht. Von den fünf Säulen des Islams, den wichtigen Glaubensregeln, halte ich mich nur an eine. Ich habe nur das Glaubensbekenntnis aufgesagt. Ich faste nicht, ich bete nicht fünf Mal am Tag, ich spende nicht fünf Prozent meines Einkommens und ich bin noch nicht nach Mekka gepilgert. Dabei sind diese Dinge ja eigentlich ganz schön.
Glaubst du, dass du in die Hölle kommst, weil du dich nicht an die Regeln des Islams hältst?
Nein. Die Regeln hatten für mich ihre Berechtigung, als sie aufgestellt wurden, aber sie sind nicht verpflichtend. Schweinefleisch ist früher zum Beispiel einfach schnell verdorben, daher sollte es nicht gegessen werden. Der Islam wurde nie reformiert und an die heutige Zeit angepasst.
Möchtest du deine Kinder gläubig erziehen?
Ich habe natürlich viel mit meinem christlichen Mann darüber gesprochen und zum Beispiel über die Beschneidung diskutiert. Für mich ist das nichts Schlimmes, mein Mann ist aber ein Gegner davon. Wir haben ein kleines Kind, dem ich den Islam auf jeden Fall näher bringen möchte. Auch wenn ich die Religion nicht wirklich praktiziere, habe ich den Islam und seine Weisheiten sehr gern. Wenn unser Kind später möchte, kann es sich gern noch taufen lassen. Wir werden es aber zu nichts zwingen, weshalb es in jungen Jahren weder getauft noch beschnitten werden wird.
*Namen geändert
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