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Anna Luther
Veröffentlicht
am 13.11.2018
LeuteInterview mit Karl Friedrich von Pfeil

Das Erbe eines Völkermords

Veröffentlicht
am 13.11.2018
Karl Friedrich von Pfeil denkt in seiner Drittheimat Südtirol an seine Zeit in Namibia zurück. Ein Interview übers Schafezüchten in einem durch Kolonialismus geprägten Land.
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Das Schaf ist genügsam, in Namibia ebenso wie in Südtirol. Auf beiden Flecken der Erde wissen Menschen seit Generationen Schafrassen für sich zu nutzen. Karl Friedrich von Pfeil kennt Südtirol wie auch Namibia nur als Zugezogener. Von Pfeil stammt aus Schlesien, geboren wurde er 1924, zwischen den Kriegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er verarmt und zog nach Namibia, um seine Kräfte 15 Jahre lang in die wachsende Schafzucht zu investieren.

Er wählte das Land, das die Deutschen von 1885 bis 1919 besetzt gehalten hatten. Eine schrumpfende deutsche Minderheit lebt bis heute im Land. Sie hat es wohl wie kein anderes Volk geprägt. Bei Aufständen der Völker Herero und Nama kannten die Abgesandten von Kaiser Wilhelm II kein Mitleid. Sie trieben zehntausende Menschen in den Wüstentod, bis heute ist dieser ungesühnte Völkermord ein heikler Punkt in der Diplomatie zwischen Deutschland und Namibia.

Mit der deutschen Kolonialzeit kam auch die gewinnversprechende Zucht der Steppenschafrasse Karakul ins Land. Karl Friedrich von Pfeil verwaltete diese Zucht auf einer Farm im Auftrag von zwei europäischen Unternehmen für ein Jahrzehnt. Seit 50 Jahren aber lebt er in Südtirol mit seiner Familie beim Kränzelhof in Tscherms. Der Hof ist eine Erbschaft seiner Frau, einer Innsbruckerin mit Südtiroler Wurzeln.

Herr von Pfeil, Sie haben lange in Namibia Schafe gezüchtet. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich züchtete Schafe auf großen Farmen – die meiste Zeit die Rasse Karakul. Karakuls sind Schafe, die wunderbare Felle für Mäntel bringen. Sie kommen mit ganz kurzen Haaren auf die Welt und werden unmittelbar nach der Geburt geschlachtet. Die Fellpakete wurden zu Auktionen auf der ganzen Welt verschickt, zum Beispiel nach London und New York, und erbrachten Höchstpreise.

Und das Fleisch?
Die Einheimischen verwerteten das gesamte Fleisch. Einen Teil, wie etwa die Keulen, aßen sie. Was sie nicht aßen, fraßen ihre Hunde, was ihre Hunde nicht fraßen, die Hühner. Den Rest trockneten sie und verarbeiteten es mit der Hammermühle zu Fleischmehl, das sie als Tierfutter nutzten.

Wenn das Geschäft so einträglich und effizient war, wieso haben Sie es aufgegeben?
Es ist einiges zusammengekommen. Bei meiner Abreise aus Namibia 1968 hatte sich bereits die Grünen-Bewegung formiert, die in Europa und der übrigen Welt Menschen mit schönen Pelzmänteln mit Spraydosen besprühte. Damit war das Geschäft vorbei. Mein Schwiegervater hatte zur selben Zeit den Kränzelhof in Tscherms von einem Vetter geerbt. Er bot an, ihn uns zu schenken. So entschlossen wir im Hinblick auf die Zukunft unserer Kinder, nach Südtirol zu ziehen. Dort gab es auch eine bessere Bildung für sie.

„Wir hatten ein ausgezeichnetes Verhältnis zu den Einheimischen.“

Da hatten Sie den Einheimischen doch einiges voraus.
Als ich in Namibia ankam, standen da nur Wellblech- und Lehmhütten. Wir haben für die Schwarzen neben den Wasserstellen Steinhäuser mit einer Veranda und ein, zwei Räumen gebaut. Sie hatten ausreichend und abwechslungsreiche Nahrungsmittel.

Aber um sich eine eigene Perspektive zu schaffen, braucht es viel Geld.
Die Bezahlung war für keinen von uns besonders hoch. Jedoch wurden wir ärztlich betreut, und es gab Bildungsmöglichkeiten. Immerhin konnte jedes Kind zur Schule gehen.

Welches Verhältnis hatte Ihre Familie zu den Einheimischen?
Jedenfalls ein anderes, als es die Presse immer beschrieben hat. Wir hatten ein ausgezeichnetes Verhältnis zu den Einheimischen. Meine Frau hat jeden Vormittag auf die Kinder der Einheimischen aufgepasst. Als sie merkten, dass meine Frau und andere weiße Angestellte auf der Farm ihre Kinder mit Pulvermilch fütterten, wollten die Schwarzen das Pulver auch und sagten, sie hätten keine Milch mehr. Allenfalls solche Schwierigkeiten gab es zwischen uns.

Es gab schon einmal härtere Konfrontationen zwischen Deutschen und Einheimischen in Namibia. Unter deutscher Besatzung wurden die Aufstände der Einheimischen gewaltsam niedergeschlagen, Zehntausende Herero und Nama starben.
Es stimmt, dass es diese Aufstände gegeben hat. Aber die Zahl der Toten wird einmal höher, einmal niedriger beziffert. Jedenfalls vertrauten die Einheimischen in meiner Zeit in Namibia bei einem Tierkauf den Deutschen am meisten.

„Natürlich kann ich sagen, dass es Ausbeutung ist, wenn ich jemanden anstelle, der mit der Vergütung nicht zufrieden ist.“

Sie beschreiben das Leben in Afrika als sehr harmonisch. Das passt nicht damit zusammen, dass die Weißen die Schwarzen ausgebeutet haben.
​Ausbeutung ist ein weiter Begriff. Auch eine Kellnerin in Südtirol wird ausgebeutet, wenn sie Touristen Speisen serviert.

Die Arbeitsbedingungen einer Südtiroler Kellnerin und eines afrikanischen Arbeiters lassen sich kaum vergleichen.
Sind unsere Leute gut bezahlt, die hier heizen müssen, die das und jenes schaffen müssen? In den Zeitungen steht heute, dass die täglichen Lebenshaltungskosten immer höher werden und viele alte Leute mit ihren Pensionen nicht über die Runden kommen. Natürlich kann ich sagen, dass es Ausbeutung ist, wenn ich jemanden anstelle, der mit der Vergütung nicht zufrieden ist.

Waren Sie sich bewusst, dass die Farmen eine Erbschaft der Kolonialzeit waren?
Deutschland war, als ich in Namibia war, schon lange keine Kolonialmacht mehr. Bereits 1918 war damit Schluss. Das Deutsche Reich war für maximal 30 Jahre die Kolonialmacht Namibias. Unter der UNO beziehungsweise nach dem Ersten Weltkrieg war es südafrikanisches Mandatsgebiet. Die Deutschen hatten zuvor enorm in die Infrastruktur investiert, in Züge oder Straßen etwa. Dabei war das Gebiet riesig, so groß wie Frankreich, Deutschland und die Niederlande zusammen.

„Jeder Stamm war zunächst sehr klein, deshalb kann von keiner Besetzung durch das Deutsche Reich die Rede sein.“

Finden Sie Kolonialisierung nicht generell fragwürdig?
Wer sind denn die Menschen, denen das Land gehört? Ursprünglich war Namibia beinahe menschenleer und nur von Buschmännern bewohnt. Später wurde es von anderen Stämmen besiedelt. Jeder Stamm war zunächst sehr klein, deshalb kann von keiner Besetzung durch das Deutsche Reich die Rede sein.

In Europa wäre es nicht mehr vorstellbar, dass eine andere Nation nach Italien oder Deutschland einmarschiert und Besitzanspruch erhebt.
Das liegt daran, dass hier alles voll ist und jeder sagt, dass das sein Grund sei. Aber wer hatte in Afrika das Recht zu sagen, dass es sein Land sei? Jahrhundertelang kamen Menschengruppen ins Land und siedelten sich an. Die eine Gruppe hat mehr geleistet, die andere weniger.

Interessieren Sie sich noch für die Situation in Namibia?
Ja, sehr. Es gab durch den Niedergang der Karakulzucht wirtschaftliche Probleme. Ausländische Firmen fanden sehr viel Uran, das in Küstennähe abgebaut wird. Im Norden wurden Minen für andere Erze eröffnet. Aber der Hauptgewinn für das Land ist, wie bei uns in Südtirol, der Tourismus. Die Schwarzen waren so vernünftig, die Weißen nicht von den Farmen zu vertreiben. Jetzt zieht das Touristen an. Die Touristen kommen nicht nur, um einen Elefanten zu sehen, sondern auch, um ein Schwimmbad und eine anständige Wohnung zu haben. Zudem ist das Land im Vergleich zu anderen Ländern in Afrika sehr sicher.

Wenn Sie von hier aus, in Ihrem Garten des Kränzelhofs, zurückblicken – wie hat Sie Namibia geprägt?
Ich habe viel gearbeitet und das Land genossen. Rückblickend habe ich die Gewissheit, dass ich in den 15 Jahren für das Land viel Gutes getan habe.

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