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Lissi Mair
Veröffentlicht
am 20.04.2022
LeuteAuf der Straße

Carlo und die Comics

Veröffentlicht
am 20.04.2022
Carlo lebt seit neun Jahren auf der Straße in Bozen. Über einen Obdachlosen, den die Comic-Helden Tex Willer und Kit Carson durch den Tag begleiten.
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Carlo ist 56 Jahre alt. Seit neun Jahren ist er täglich am Bozner Waltherplatz anzutreffen, auf einem Bankl in der kleinen Gasse zwischen Stadthotel und Sparkasse. Die Parkbank bleibt sozusagen für ihn reserviert, niemand macht sie ihm streitig, auch die Gemeinde nicht. Mit seinen Taschen, vollgestopft mit Comics, obendrauf liegen Pralinenschachteln und jetzt gerade ganz aktuell Schokohasen und Zuckerküken, kommt er frühmorgens hier an. „Die Süßigkeiten kaufe ich mir im Supermarkt und ich achte da besonders auf das Fälligkeitsdatum. Abgelaufene Lebensmittel sind gefährlich für die Gesundheit”, sagt Carlo.

Das Gespräch beginnen wir auf Italienisch, erst nach und nach reden wir auf Deutsch weiter, als mir Carlo erzählt, dass seine Mutter aus dem Pustertal kommt und sein Vater aus Wien. Vielmehr als südtirolerisch aber spricht Carlo mit Wiener Akzent, ein mondäner Hauch umgibt jetzt den sonst recht schüchternen Menschen. In jungen Jahren hatte er seine Heimat verlassen, er lebte in Wien, Rom und Palermo, auf Malta und im Schweizer Frybùrg, wo es ihm besonders gefiel. In Südtirol lebte er auch in Mals und in Meran.

Das Bankl vor dem Eingang zum Bozner Stadthotel ist zu seiner Tagesstätte geworden. Als Francesco D’Onofrio noch das Stadthotel führte, „da ließ er mir öfters einen Teller heißer Tortellini herausschicken. Das ist ein guter Mann!”, erinnert sich Carlo. Und er durfte bei der alten Hotelführung auch täglich den Waschraum nutzen und die Toilette – jetzt geht das nicht mehr. „Aber ich bekomme jeden Morgen einen Macchiato serviert“, sagt Carlo dankbar. Die Zeiten ändern sich. Er nimmt es gelassen hin.

Carlo bekommt täglich einen Macchiato serviert.

Carlo liebt das bunte Treiben in der Stadt und das in allen vier Jahreszeiten – vor allem den Sommer und den Monat August, die warmen Tage und Nächte genießt er. „Einen heißen Monat braucht der Mensch“ – aber auch den Winter und den Monat Dezember mag Carlo samt den dazugehörigen Rummel am Christkindlmarkt. Seine Augen beginnen zu leuchten. „Ja, Weihnachten ist eine gute Zeit“. Da sind die Menschen auch immer großzügig mit jenen, die auf der Straße leben.

Carlo ist sehr diskret und ich habe ihn in den vergangenen Jahren öfters gefragt, ob er etwas brauche, ob ich ihm etwas vorbeibringen könne. Die Antwort war immer dieselbe: „Nein, danke, ich habe alles.“ Wer Carlo Geld geben will, der muss es behutsam tun. „Ich bettle nicht!“ Das ist für Carlo wichtig hervorzuheben, und zu sagen, dass er jene, die aggressiv betteln, nicht mag. „Nein, das geht nicht!“. Er freut sich, wenn Hunde vorbeikommen, für diese hat er immer ein Leckerli dabei.

Einmal in der Woche nimmt sich Carlo frei von der Stadt, da trifft man ihn nicht an seinem Stammplatz an. Da zieht es ihn in die Natur. „Ich stelle meine Taschen bei einem Freund in den Keller und gehe dann wandern. Bis zu 25 Kilometer lege ich da am Tag zurück. Meistens gehe ich Richtung Meran“, erzählt Carlo und fügt hinzu: „Das muss so sein. Der Mensch braucht Bewegung in der frischen Luft. Das tut der Gesundheit und der Seele gut.“ Und gutes Essen braucht der Mensch: „Ich esse gerne gutes Fleisch direkt vom Fleischhacker. Schweinsbraten oder besser noch einen Hasenbraten, aber den gibt es nur selten. Wildbret wäre das Beste!“ Nur Brathühner mag Carlo nicht, „die vertrage ich nicht.“

Carlo mit der Autorin Lissi Mair

Ein Liter Cola steht am Boden und auch Orangensaft hat er dabei. „Ich trinke keinen Alkohol und nehme auch keine Drogen. Das habe ich nie gemacht. Mir schmeckt der Alkohol nicht. Und als Ältester von sechs Geschwistern musste ich in meiner Jugendzeit ja ein Vorbild sein.“ Mit seiner 76-jährigen Mutter und seiner einzigen Schwester hat er regelmäßig Kontakt. Seine Eltern trennten sich vor 30 Jahren, sein Vater kehrte nach Österreich zurück. „Früher bin ich öfters nach Wien gereist, jetzt fahre ich nicht mehr dorthin.“ Carlo steckt sich eine Zigarette an und zieht nachdenklich daran.

Meine Hobbies? „Ich lese gerne, vor allem Comics der 1960er-Jahre, ganz quer durchs Beet. Ich bin ein großer Fan der Storia del West und seiner Figuren Tex Willer und Kit Carson, aber auch The Jaguar von Robert Bernstein mag ich.” Die von Gino D‘Antonio und Renzo Calegari ab 1967 veröffentlichten Streifen „Storie del West“ sind vor ein paar Jahren neu aufgelegt worden und als Nachdruck wieder am Kiosk erhältlich. „Ich kaufe mir die Hefte regelmäßig und habe eine ganze Sammlung angelegt“, so Carlo. Und diese führt Carlo ständig bei sich, in Kartons und in großen Taschen, schön aneinandergereiht und nach Ausgaben sortiert. Er zeigt sie mir. Zwei Sackkarren stehen daneben. Mit diesen karrt er abends sein Hab und Gut zum Schlafplatz, abseits der Innenstadt.

Nach Sonnenuntergang packt Carlo also seine Siebensachen zusammen. Zweimal muss er den Weg gehen, soviel hat er bei sich. „Alles in allem an die 100 Kilo.“ Kein Zigarettenstummel bleibt am Boden zurück, kein Zuckerlpapier, keine leere Flasche. „Ich räume immer auf und bringe meinen Müll weg“. Darauf ist Carlo stolz: „Ordnung muss sein“. Dann zieht er langsam von dannen, jeden Schritt scheint er zu genießen. Ich hatte einmal zufällig beobachten können, wie ordentlich er sein Nachtlager aufbaute, mit wieviel Sorgfalt und Ruhe er seine Decken auslegte, seine Schuhe abstellte und sich dann dem Schlaf des Gerechten hingab.

„Einsam? Nein, ich bin nicht einsam, ich bin gerne allein, sehr gerne sogar. Ich bin kein Beziehungsmensch.” Und Angst? „Nein, die kenne ich nicht, ich habe keine Angst, auch nicht nachts.“ Carlo antwortet knapp und bestimmt. „Nur einmal, da hat man mich nachts bestohlen. Als ich aufwachte, sah ich einen Mann über mir. Das Geld, das ich in der Brieftasche hatte, 100 Euro, waren weg. Ich würde sein Gesicht sofort wieder erkennen, aber ich habe ihn nie mehr gesehen. Aber nein, Angst habe ich nicht. Ich schlafe gut.”

Viele Wünsche an die Fee hat Carlo nicht, aber wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann wäre es frei nach Virginia Woolfs Buch: „Ein Zimmer für sich allein.” Er sagt: „Ein Privater hat mir ein solches Zimmer angeboten, aber das kann noch 40-50 Tage dauern.“ Carlo hätte gerne ein Zimmer mit eigenem Eingang und keines, das in einem Heim mit anderen zu teilen ist. „Ich würde gerne für mich selbst kochen“, sinniert Carlo. Wir trinken noch Kaffee und rauchen eine Zigarette. Carlo hat Zeit, Hektik kennt er keine.

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