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Er twittert zu Politik, Medien, Religion. Täglich, fast stündlich. Meist kurz und zackig, gern auch provokant. Eigentlich nicht ungewöhnlich – wäre der Absender der Tweets irgendwer und nicht ein Franziskaner. Bruder Moritz.
Moritz Windegger, so sein weltlicher Name, hatte schon früh bei den „Fränzi“ in Bozen seine zweite Heimat gefunden. Ministrant mit zehn Jahren, Schüler mit zwölf, schließlich Matura am Franziskanergymnasium Fränzi. Windegger ging dort ein und aus. Trotzdem war damals noch nicht klar, dass dieses Haus seine Bestimmung sein sollte.
Stattdessen machte er erst einmal eine „normale“ Karriere. Nach einem nicht abgeschlossenen Geschichtestudium in Padua und drei Jahren als Aushilfslehrer am Franziskanergymnasium ging er zur Tageszeitung „Dolomiten“, bei der er ab 2005 als Redakteur arbeitete, meist in der Politikredaktion. Zudem war er Obmann des Männergesangsvereins Bozen. Doch die Welt hinter den Klostermauern ließ ihn nicht los. Schon früh, sagt er, habe er mit dem Gedanken gespielt, ins Kloster einzutreten. Aber immer mit dem Zusatz: Das mache ich vielleicht einmal, aber nicht jetzt. „Und irgendwann wachte ich auf und dachte mir, wenn du es jetzt nicht machst, bist du irgendwann zu alt“, sagt er.
Die Menschen seien es gewesen, die ihn für das Kloster gewannen, sagt Windegger. Nie die Konzepte. Man lebe Wochen oder Monate dahin, habe ab und an Kontakt zu den Brüdern, „und plötzlich sagt einer so nebenbei, du suchst auch schon eine Weile nach Antworten.” Da fühlte er sich erst ertappt, dann fasziniert. Er wollte auch einmal so werden: Einer, der sein Gegenüber wahrnimmt und versteht, warum dieser so und nicht anders denkt.
Er war jung, bekannt, erfolgreich, als Journalist bei den Dolomiten in einer gewissen Machtposition – was in den Dolomiten steht, wird gelesen, vor allem seine Kommentare auf Seite 1. Warum dann 2015, mit 38, der Schritt ins Kloster? Genau diese Frage sei Teil des Problems, sagt Windegger. Wer entscheide, ins Kloster zu gehen, werde oft angeschaut wie ein Marsmensch. Kein Wunder, dass sich da wenig Nachahmer finden.
Und so leben nur mehr zehn Brüder im Bozner Franziskanerkloster anstatt 80 wie noch in der Zwischenkriegszeit. Auch sonst ist es gerade ruhig hier im Klosterhof. Die Schüler der Franziskanermittelschule und des Franziskanergymnasiums haben Sommerferien. Bruder Moritz redet viel und gern, über Gott und die Welt. Während wir durch den Klosterhof flanieren, holt er eine Packung Zigarren aus seiner Kutte mit den vielen versteckten Taschen, reißt eine auseinander, bietet die eine Hälfte an, steckt sich die andere in den Mund und greift zum Feuer. Bevor er sie sich endlich anzündet, nimmt er sie mehrmals wieder aus dem Mund, um das eine noch schnell fertig zu erklären.
Der Schritt zu den Franziskanern – einem Bettelorden – war für ihn logisch. Er ist Franziskaner geworden, weil er andere Gleichgesinnte und ihre Geschichten kannte. Er erlebte Franziskaner, die in Denken oder Beruf unterschiedlicher nicht sein konnten, die sich aber wie selbstverständlich gemeinsam zur Marende trafen. Oder Brüder, die hauptsächlich mit einfachen Alltagsarbeiten beschäftigt waren und mit denen man plötzlich in einer tiefgründigen Diskussion über Glaube, Philosophie oder Politik steckte.
Es kommt ihm entgegen, dass die Franziskaner keine Eremiten sind, sondern nach außen gehen und an keinen Ort gebunden sind. Für ihn ist die ganze Welt „unser Kreuzgang“.
Es gibt unter den Franziskanern Priester, Lehrer, Gärtner, Diplomaten (Franziskanische Gesandte hatten den Vorteil, dass sie wegen des Armutsgelübdes über den Verdacht erhaben waren, in die eigenen Tasche zu wirtschaften), und eben Journalisten. Man würde sich nicht wundern, würde auch Windegger am Ende nicht Priester, sondern wieder Journalist. „Journalist ist ja auch eine Art Berufung“, sagt er.
Zum Wesen vieler Journalisten gehört ihre Extrovertiertheit. Bei Windegger ist es auch heute nicht anders. Die Person Moritz Windegger ist seit dem Eintritt nicht weniger öffentlich geworden. Bruder Moritz postet auf Facebook und Twitter – Privates, Ordensinternes und viel Politisches. Die politischen Themen sind es dann auch, bei denen er am klarsten Stellung bezieht. Trump, Europa, Salvini, Syrien, der macht das weil, und ich sehe das so.
Bei religiösen Fragen wie Priestermangel und -nachwuchs, Frauenpriestertum, Ehe für alle, Homosexualität, Schöpfungstheologie und dem Zulauf der Freikirchen sind die Antworten weit weniger klar. Es gibt oft kein Ja und kein Nein, sondern Zitate, Spitzfindigkeiten, weites Ausholen, Umschiffen. Statt klarer Antworten der Verweis auf kirchliche Denker und Autoritäten.
Anders klar seine Meinung beim Thema Religionsunterricht: Dass der Religionslehrer sehr wohl den Glauben weitergeben soll und Religionsunterricht keinen Sinn macht, wenn nur wissenschaftlich über Christentum, Judentum und Buddhismus berichtet wird. Oder dass man Ostern vom Gründonnerstag über den Karfreitag bis zur Osternacht bewusst erleben müsse. Ohne Glaube sei Ostern nur ein Frühlingsfest. Und Windegger zweifelt nicht daran, dass der Katholizismus die wahre Religion ist. Es könne auch in anderen Religionen „Strahlen der Wahrheit“ geben, aber Jesus Christus sei der Retter, der gestorben ist und auferstanden. Deswegen könne man aber trotzdem Respekt vor dem anderen als Mensch haben.
Im Moment studiert Windegger in Graz Theologie und lebt im dortigen Franziskanerkloster. Für ihn hat sich der Schritt ins Kloster gelohnt, es hat seinen Blick auf die Welt verändert. Es sei alles weiter weg, sagt er. „Früher habe ich mir bei vielen Menschen gedacht, was redet der für einen Schmarrn. Heute frage ich mich eher, warum der einen solchen Schmarrn redet. Und was Menschen dazu bringt, sich in manche Themen so reinzusteigern.
Auf die Frage nach der großen Wut, nach den Menschen die glauben, zu kurz zu kommen, findet dann der Seelsorger Windegger Antworten. Der Einzelne sei wütend, nicht die undefinierte Masse. Dem Einzelnen müsse man zuhören und ihm das Gefühl geben, etwas wert zu sein: „Kim, geamar oans trinkn und red mar“, als kleiner Beitrag zum Weltgeschehen.
Windegger führt durch den Kreuzgang und lenkt seine Schritte dann raus aus dem alten Gemäuer und hin zu einem Café am Waltherplatz. Wenn er durch die Stadt geht, wird er ständig angehalten, oder er hält die Leute an. Ein kurzer Plausch mit diesem und jenem, Bozen ist klein, man kennt sich. In die Stadt geht er meist ohne Kutte, „sonst halten mich nur alle an, und ich komm nicht weiter“. Die Aufmerksamkeit schmeichelt ihm aber sichtlich.
Und so ist er der etwas andere Mönch, kein Eremit, kein Aussteiger, sondern einer, der von einer Welt in die andere hinüberwechselt. Und ein bisschen in beiden bleibt. Moritz Windegger hat seinen Platz gefunden. Von seinem alten Leben vermisst er am ehesten, einfach ins Auto zu steigen und einen Tag wegzufahren, ohne zu fragen. Aber das hätte er als verheirateter Mann ja auch nicht gedurft, also was soll’s.
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